Irgendetwas haben diese Bergromane an sich, das mich anzieht. Eigentlich schwärmt in meiner Familie jemand anderes für die Berge und mir war in meiner Kindheit oft über, dass wir jeden Winter an demselben Ort Skiferien machten. Trotzdem ist wohl etwas hängen geblieben.
Aber ich will jetzt nicht lange über Berge philosophieren. Die geben im vorliegenden Roman den Schauplatz vor, ziehen die Grenze, werfen ihren Schatten und warten in der Höhe mit eisiger Kälte - und der Möglichkeit eines tiefen Falls.
Ungewöhnlich auch, dass es sich zu einem nicht unerheblichen Teil um einen Krimi handelt. Nicht mein Ding. Aber auch nicht der Hauptfokus; der Fall fungiert ähnlich wie die Berge, als Rahmen, genauer: als Rahmenhandlung. Denn eigentlich geht es um die Menschen. Die Menschen in dieser kleinen, eng umrissenen Gemeinschaft – die auch mal Zwecks- oder Zwangsgemeinschaft sein kann. 11 Menschen kommen zu Beginn zu Tode. Stück für Stück lernen wir sie kennen. Die Frage nach Täterschaft und Motiv wird immer wieder neu gestellt, verhandelt, verworfen – nur für die überlebende Gemeinschaft scheint der Fall auch ohne Indizien klar zu sein.
Steht der Berg für dieses Vorurteil? Massiv, unverrückbar, seinen langen Schatten werfend, eisig und eindeutig?
Dies ist eine unangenehme Geschichte. Denn seine Figuren sind oft unangenehm. Menschlichkeit ist eine Gratwanderung; mit einem Fehltritt stürzt man ab – und manchmal ist es egal, ob man wirklich abgestürzt ist oder ob nur jemand geglaubt dies gesehen zu haben oder davon gehört hat, über zwei, drei, zwanzig Ecken. Egal, ob man sich den Fuss verstaucht hat, von einem Windstoss der Balance beraubt wurde, vorsätzlich von irgendwem geschubst wurde…
Mensch macht sich sein Bild. Und diese Bild kann veränderbar bleiben. Aber manchmal auch nicht. Oder dann nur zum Schlechten.
Der Berg legt Zeugnis ab. Doch der Berg schweigt.