Man wünscht sich zuweil vielleicht, dass man in die Geschichtsbücher von Morgen Einsicht hätte, um es in der Gegenwart anders zu machen, und so die Zukunft verändern könnte. Die von Vermes verfassten Briefe verfolgen diesen Zweck, gesendet aus einer nahen, möglichen, um nicht zu sagen allzumöglichen Zukunft.
Die Stimmen aus der Zukunft sind vielfältig und abwechslungsreich, oft politisch gefärbt, dann wieder eher von technischer Natur. Manch Lesenden wird das eine oder andere ansprechen, aber wahrscheinlich längst nicht alles. So ging es auch mir. Als Technik-Pessimisten sprachen mich die Briefe über Augmented Reality inklusive angehenktem Werbemoloch sehr an, wobei meine Augen vor Lachen tränten, während ich gleichzeitig einen esophagischen Reiz unterdrücken musste. Die politischen Briefe sprachen mich teils teils an, gerade aber der erste Brief, wenn auch auf Deutschland bezogen, wirkt trotz seines übermässig ironischen Tones fürchterlich real, spiegelt er doch auch aktuelle Tendenzen wieder, nachdem wir (die Menschheit o.ä.) auch nach Jahrtausenden von Geschichtsschreibung immer und immer wieder konsequent dieselben Fehler wiederholen - “wir konnten es ja nicht wissen”.
Ich gebe hier drei Sterne, weil ich gut die Hälfte der Briefe richtig toll fand - die andere Hälfte jedoch so gut wie nichts bei mir auslöste - beispielsweise der Brief mit Thomas Gottschalk und der Superinfluencerin; irgendwo erahne ich den satirischen Gehalt, aber er erschliesst sich mir nicht so richtig, bin dafür vielleicht auch zu wenig auf sozialen Medien unterwegs…
Derweil erhoffe ich mir mehr Bücher von dieser Sorte - den Krisenherden mit Humor, bissigem, gut recherchierten und treffsicher-niveauvoll präsentiertem Humor zu begegnen - dies fehlt m.E. in der Bücherlandschaft. Insbesondere um dem (zumindest in meinen Kreisen) entweder kritisch-optimistischen oder geradezu blauäugigen Technikglauben etwas entgegenzusetzen…