Zu Beginn des Buchs dachte ich, hier hat sich ein grober Fehler eingeschlichen. Wieso stehen hier chinesische Zeichen? Je weiter das Buch fortschritt, umso mehr verstand ich, was die Autorin mit diesen Zeichen bezweckte: Du hörst/liest mich zwar, aber du verstehst / siehst mich nicht. Mays Mutter findet immer etwas an ihr zu kritisieren. Du isst zu wenig. Du lernst zu wenig. Du …. Mays Bruder Danny hingegen ist perfekt. Schliesslich hat er gerade ein Stipendium von Princeton erhalten -er, ein Migrantenkind. Nach aussen scheint das Leben der Familie Chen perfekt. Doch Danny ist schwer depressiv. Sein einziger Ausweg: Selbstmord. Familie Chen verliert den Boden unter den Füssen. Doch mit diesem Schicksalsschlag nicht genug, nun werden auch noch Stimmen laut, die behaupten, die asiatisch-amerikanische Gemeinschaft sei Schuld am Druck, der auf amerikanischen Jugendlichen laste, sie würden sogar ihre eigenen Kinder in den Suizid treiben. Während May irgendwie darum kämpft, mit dem Tod ihres grossen Vorbildes, ihres Freundes und geliebten Bruder fertig zu werden, kämpft sie zur gleichen Zeit gegen massive rassistische Anschuldigungen. May will sich wehren, will sich gegen die gemeinen Verunglimpflichungen stellen, doch ihre Familie fürchtet sich vor den möglichen Konsequenzen und davor, dass der Rassismus nur noch schlimmer wird. Ho ist es in diesem Roman gelungen, eine Figur zu erschaffen, die den Leser vollkommen in ihren Bann zieht und dadurch alles miterlebt und mitfühlt, was die Hauptfigur gerade durchmacht. Zumal May sich mitten in der Pubertät befindet und nicht nur mit Dannys Tod, der plötzlichen Leere und dem erdrückenden Schweigen in ihrem Zuhause zurecht kommen muss, sondern auch mit sich und ihrem jugen Leben, ihren altersbedingten Gefühlen und Ängsten. Wir dürfen also eine Teenagerin begleiten, die sich in einem Tumult aus Ängsten, Wut, Liebe, Verunsicherung und Ohnmacht wiederfindet. Johanna Ho schafft es auf beeindruckende Weise, Mays Gefühle zu den Gefühlen des Lesers werden zu lassen. Im Konflikt zwischen May und ihren Eltern dürften sich jugendliche Leser bestens wiedererkennen. Er spiegelt das typische Leben eines pubertierenden Teenagers wieder, im Prozess der Abnabelung vom Elternhaus, hier einfach erschwert durch die rassistischen Vorwürfe, den Schmerz, die Wut und die Trauer, die diese Geschichte vom typischen Teenageralltag unterscheidet. Wer es schafft, sich voll und ganz auf diesen Roman einzulassen, wird die widersprüchlichen Gefühle die er auslöst, kaum abschalten können. Er bietet eine wunderbare Grundlage, um sich mit verschiedenen Ethnien und Herkünften auseinanderzusetzen und sich in Akzeptanz zu üben.