Von der Bibliothek habe ich mir die Hörbuchversion ‘Das Volk der Bäume geliehen’ - Das Leben von Norton Perina, der Grossartiges leistete und dafür in den 70ern den Nobelpreis der erhielt - ~20 Jahre darauf wird er wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt und hinter Gitter gesteckt.

Die Frage über allem (Zitat): Wenn ein grosser Mann Schreckliches tut, ist er dann noch immer ein grosser Mann? -und- Wie betrachten wir eine Lebensleistung, wenn sich das Genie als Monster entpuppt?

Diese Fragen brennen auch mir unter den Nägeln, ich bin gespannt auf die 3 CD’s (1075 Minuten!!!) - …und scheitere kläglich…

Zunächst wird der Freund Dr. Ronald Kubodera aufs Lese-Parkett gebracht, er umschreibt das wichtigste des Lebens von Perina, sowie seine Freundschaft und wissenschaftliche Zusammenarbeit - ja, DAS ist wirkliche Freundschaft, wenn einer seinen Freund nicht fallen klässt, auch wenn dieser (schrecklich) fällt. - Doch wie sich dann Kubodera für seinen Freund im Gefängnis einsetzt, finde ich mehr als fragwürdig. Die Geschworenen, die den hochdotierten Wissenschaftler letztendlich für schuldig erklären, werden als Stümper hingestellt, da sie nicht in der Lage sind, seine wissenschaftliche Leistung und Grösse zu honorieren. 43 Kinder hat Perina von Ivu’ivu über die Jahre adopiert und diese wenden sich nun allesamt ab, obohl sie von ihm eine bessere Zukunft bekamen, als es ihnen in Mikronesien möglich gewesen wäre - Kubodera findet dies unerträglich. Er schlägt Pereina nach seiner Verurteilung vor, seine Memoiren zu schreiben, die er (K.) redigieren und herausgeben werde. Ihm geht es um die Rehabilitation des Wissenschaftlers - losgelöst von seinen Untaten - die (so scheint es mir) ein ‘kleiner Betriebsunfall’ waren… und nun das grossartige Leben ungerechterweise (!) in Misskredit und Verruf bringen.

Schon diese Ausgangslage machte mich wütend - ich fand es abstossend, Opfer von Missbrauch -dazu noch wehrlose Kinder- quasi zu verunglimpfen. Trotzdem fing ich an, die erste CD zu hören. Ausufernd die ersten Kapitel über die Mutter - langfädig - , störend die ewigen ‘Fussnoten’ dazwischen… - ich spulte vorwärts. Zu viel ‘Selbstherrlichkeit’ fand ich… Nein, das werde ich mir nicht antun, denke ich - und springe zum Nachwort der dritten CD. Dort höre ich noch (verstörter) den ‘Nachtrag’ - sozusagen mit dem uneinsichtigen Geständnis, dass er (Perina) den Opfern doch ‘alles’ gab - seine ganze Liebe.

Ich war schlichtweg entsetzt - dass man einem Menschen, der durchaus (was zu respektieren ist) Grosses und Bleibendes in der Wissenschaft/Medizin leistete, so grossen Raum zur Selbstdarstellung bot - während die Opfer kaum über eine Randnotiz hinaus kamen (wenn man die Minuten betrachtet, die für beide ‘Teile’ aufgewendet wurden).

Was ist an der Geschichte dran?! Kubodera wird als Herausgeber genannt - Autorin ist jedoch ‘Hanya Yanagihara’ - wie geht das zusammen?! - Nun habe ich recherchiert und fand unten stehenden Artikel in der Wiener Zeitung:

Norton Perina/ Das Volk der Bäume

Natürlich erscheint nun, da klar ist, was hier im Roman Fakt ist und was nicht, das ganze in einem anderen Licht. ABER: Ich frage mich, müsste das nicht ‘besser deklariert’ werden?! - Darf man bei einem so heiklen Thema die LeserInnen ‘hinters’ Licht führen?! - …und dann doch alles offen lassen?! - Zu einer eigentlichen Diskussion kommt es ja eben nicht - und der ‘Überhang’ ist und bleibt bei Perina/Gajdusek…

Wie seht ihr das? - Hat jemand das ganze Buch gelesen/gehört - und ist vielleicht zu einem anderen Schluss gekommen?! Es würde mich interessieren.

Wie steht ihr zu Büchern, bei denen (wie in diesem Falle) nötiges Hintergrundwissen fehlt, nicht geboten wird und eigenhändig recherchiert werden muss?

Liebe Grüsse Schoma

  • Moerischi hat auf diesen Beitrag geantwortet.

    Liebe Schoma,

    Ich habe das Buch tatsächlich letztes Jahr gelesen. Im Zentrum stehen Wissenschaftler, welche auf einer fiktiven Südseeinsel einen unbekannten einheimischen Südsee- Volksstamm entdecken. Durch langfristige Beobachtungen und Forschungen kommen sie schrittweise dem Geheimnis des Volkes auf die Spur und entdecken deren Rezept der Unsterblichkeit. Was danach geschieht erzählt Yanagihara meisterlich: verschiedene Themen werden angerissen. Vom Imperialismus, über kulturelle Unterschiede hin zu Machtmissbrauch und Bestechung. Nicht zu vergessen: auch die menschliche Gier wird sehr eindrücklich geschildert. Obwohl der Wissenschaftler weiss, welche Konsequenzen der Verzehr des Schildkrötenfleisches auf den menschlichen Körper hat, stiehlt er dieses dennoch und bringt es illegal in seine Heimat, um dort weitere höchst suspekte Forschungen anzustellen, wobei es sich meiner Meinung nach um Menschenversuche handelt. Dem gegenüber steht der sexuelle Missbrauch, dessen sich der Protagonist schuldig machte. Soweit mir bekannt ist, basiert der Fall auf tatsächlichen Begebenheiten im späten 20. Jahrhundert. Die pseudo- wissenschaftlichen Fussnoten des Buches verleihen ihm einen wissenschaftlichen Charakter, der jedoch nicht gegeben ist.

    Ich glaube, dass eigentliche Ziel der Autorin war die Darstellung der Komplexität der Thematik. Einerseits haben wir den Protagonisten, der eine sensationelle Entdeckung machte. Auf der anderen Seite den Skandal um den Missbrauch.

    Wenn der Leser das Vorwort des Buches weglässt, dann kommt er gar nicht auf die Idee, dass es hierbei auch um den Missbrauch der Schwächsten geht. Die eigentlichen Missbrauchshandlungen werden im Buch nicht thematisiert. Eigentlich erfährt man das als Leser nur im Vorwort und durch eine entsprechende Passage im Nachtrag.

    Beginnt man das Buch also erst bei der Schilderung Perinas, so liest es sich sehr spannend. Mich erinnerte es an die frühen Schilderungen der fremden Welt durch Entdecker und Ethnologen. Zu Beginn könnte es fast ein Abenteuerbuch sein. Man taucht immer mehr in die Welt hinein und lässt sich mitziehen. Man entwickelt sogar Sympathien für Norton Perina, wenn man seine Beschreibungen liest. Und das ist was uns Hanya Yanagihara zu verdeutlichen versucht.

    • Schoma hat auf diesen Beitrag geantwortet.

      Bolle Liebe Bolle, danke für Dein Feedback.

      Ja, die Geschichte ist nicht einfach ‘aus den Fingern gesaugt’, sondern hat einen realen Bezug, wie ich aus der Wiener Zeitung (Link oben in meinem Beitrag) sehen konnte.

      Bei Orell Füessli fand ich in einer Rezension ebenfalls einen guten Link zu D.C.Gajdusek, um den es grossomodo geht: Daniel Carleton Gajdusek.

      Vielleicht werde ich mir nun, mit meinen Recherchen und Deinem Feedback im Gepäck, doch noch die Zeit nehmen, die CD’s anzuhören… - Bin mir aber nicht sicher, weil mir die Thematik des Missbrauchs doch sehr nahe geht - und ich diese nicht (mehr) ausblenden kann…

      Im Buch lassen sich ja die Fussnoten überspringen, wenn man sie nicht braucht oder lesen möchte - im Hörbuch finde ich es echt mühsam, wenn sich Bundschuh’s Stimme mit ‘Fussnote’ meldet. (…leider mag ich auch seine Stimme nicht…).

      • Bolle hat auf diesen Beitrag geantwortet.

        Schoma Liebe Schoma,

        als Buch ist es wirklich toll geschrieben. Und eben ich denke es ging in erster Linie um die Diskrepanz von beiden Gesichtern des Wissenschaftlers. Das eine schliesst das andere nicht aus, obwohl man da gerne vergisst, wenn man Dinge über eine Person erfährt, die wirklich schlimm sind.

        Das Thema geht, glaub ich, allen sehr nahe. Das andere Buch von Hanya Yanagihara “Ein wenig Leben” ist noch besser. Allerdings ebenfalls dieselbe Thematik, die dann auch recht tragisch endet. Ich wollte es Dir schon länger empfehlen, aber man weiss ja nie, wie Menschjen auf bestimmte Sachen reagieren. Daher hatte ich es nicht gemacht.

          Bolle Danke Bolle für all Deinen Input! - Ich denke, ich wage einen 2. Anlauf - in gut schweizerischer Neutralität 😉. - Tatsächlich ist es so, dass ich in meinem nahen und weiteren Umfeld Menschen kenne, die als Kinder Missbrauch erlebten - mit den entsprechenden Folgen für ihr ganzes, jetziges Leben - und das ist wirklich happig! - Von daher schrillten bei mir ja auch die Alarmglocken. Der erste Eindruck ist, dass hier einem (sicher verdienten) Wissenschaftler die Möglichkeit geboten wird (mit Hilfe seines Freundes) sein eigenes Monument zu errichten - auf Kosten der Opfer, die als ’Betriebsunfall) marginalisiert werden. - Dass dem nicht so ist, hätte (m.E.) vielleicht in einem Vor/Nachwort (o.ä.) zum Ausdruck gebracht werden sollen.

          Werde mich mit einer Rezension melden - falls ich tatsächlich die 1075 Minuten schaffe! Schoma

          • Bolle hat auf diesen Beitrag geantwortet.
            9 Tage später

            …nun habe ich einen zweiten Anlauf genommen - und mit dem erarbeiteten Hintergrundwissen und den Inputs von (danke!) Bolle kann es quasi als ‘Blick in den Abgrund’ tatsächlich faszinieren! - Kundera find ich nachwievor abstossend mit der Penetranz, mit der er die Gloriole seines Freundes zu retten und zu polieren versucht - mit diesen ‘rehabilitierenden’ Fussnoten (bin erst am Anfang) leistet er (mir) einen Bärendienst! - Bestimmt wenn ich ein wenig Mitleid mit dem armen Perina und seiner verkorksten Kindheit bekommen möchte, kommt ‘Fussnote’ - 😉 - und ich bin in der ‘Realität’ und jeder Anflug von Mitleid verstoben… bin also gespannt, wie’s bis zum (bitteren….) Ende weiter geht!

            • usum56 hat auf diesen Beitrag geantwortet.

              usum56 Exgüsi! - Ein ziemlicher Verschreiber! KUBODERA sollte es heissen! Schoma

              Schoma Etwas spät, habe den Beitrag erst jetzt gesehen. Ich habe “Das Volk der Bäume” auch kürzlich erst gelesen, nachdem ich “Ein wenig Leben” auf Deutsch sowie Englisch bereits gelesen und verschlungen habe - auch wenn es teilweise sehr verstörend ist. Ich habe das mit dem Vorwort zuerst auch nicht wirklich kapiert und dann nach den ersten Seiten gegoogelt, ob es diesen Norton Perina wirklich gibt und wusste deshalb von da an, dass es Fiktion ist. Dieses Wissen im Hinterkopf hat sehr geholfen.

              Ich fand dann - wie du auch erwähnst - die langen Erklärungen der Kindheit und die Beschreibung seines sehr egozentrischen Weltbildes etwas ermüdend. Was mich erstaunte, denn bei “Ein wenig Leben” empfand ich es eher so, dass die Abgründe der Menschheit immer beschrieben werden und man in einem Sog immer weiter darin versinkt. Ein langsames und schmerzhaftes darin eintauchen also. Deshalb war ich dann überrascht, dass sich die Geschichte von Norton Perina fast etwas langweilig fand und die Erklärungen der Natur und des Volkes auf Ivu’Ivu schön, aber teilweise langfädig wirkten. Ich liess mich richtig von Hanya Yanagihara einlullen, empfand mit der Zeit Mitgefühl mit Norton Perina, verstand seine Haltung und seine Perspektive und nahm ihm die Böshaftigkeit von Victor sogar ab. Und dann schlug das Nachwort ein und ich war kurzfristig völlig verstört - All das Böse, auf das Hanya Yanagihara in “Ein wenig Leben” schrittweise eingeht, kommt bei “Volk der Bäume” auf einen Schlag.

              Ich glaube, dass das auch das Ziel war. Durch die langen Erläuterungen von Norton Perina, all seine Erklärungen und Rechtfertigungen sympathisiert man als Leser:in mit ihm. Man hat das Gefühl, sein Handeln zu verstehen und er rechtfertigt ja seine Taten (v.a. gegenüber den Ureinwohner:innen) auch. Und genau dann, wenn man die Anschuldigungen aus dem Vorwort schon fast vergessen hat, er immer noch seine Unschuld beteuert und man dann das Nachwort liest, dann trifft einem diese Böshaftigkeit mit einer noch grösseren Heftigkeit. Einerseits literarisch sehr stark gemacht, andererseits könnte ich das Buch niemandem mit gutem Gewissen weiterempfehlen.

                Moerischi Hallo Moerischi! Danke für Deinen wertvollen Beitrag!

                Ich bin jetzt erst auf der 1. CD. Gunter Schoss liest den Text von Perina sehr glaubwürdig - beinahe in echt 😉 - entsprechend gern höre ich ihm zu! - Matthias Bundschuh passt zu Kubodera - auch wenn ich den Klang dieser Stimme nicht mag (sie ‘elektrisiert’ mich jedesmal!). -

                Aus Perina lese ich schon zu Beginn eine grosse Portion Selbstgefälligkeit heraus, ebenso Abfälligkeit über Menschen, die ihm nicht passen - ohne sich dessen ‘zu schämen’ - eine wirklich eigene ‘Persönlichkeit’, die mir total von sich selbst überzeugt scheint - und das wenige an Selbstkritik, das hie und da aufschimmert, ist kontaminiert - Perina scheint keine Verantwortung zu übernehmen - für nichts - und das auch im Rückblick nicht - er ent-schuldigt sich selbst - kein Wunder, kann er auch nicht einsehen, was er angerichtet hat!

                ‘Ein wenig Leben’ kenne ich nicht - ‘Das Volk der Bäume’ ist mein erster Titel von H. Yanagihara. - Ich bin nun gespannt, wie sich das ganze weiter erzählt und entwickelt.

                • Moerischi hat auf diesen Beitrag geantwortet.

                  Schoma Dann bin ich gespannt, wie sich das Weiterhören für dich noch entwickelt. Die Hörbuchsprecher kenne ich gar nicht. Aber wenn du sagst, dass dich die Stimme von Kubodera jedes Mal “elektrisiert”, dann scheint mir das sehr passend!

                  Perina ist eigentlich absolut unsympathisch, arrogant, hat eine fehlende Empathie und schert sich auch nicht darum, welche Konsequenzen sein Handeln hat. Umso beeindruckender finde ich die Leistung der Autorin, dass man ihn dann irgendwie trotzdem toleriert und teilweise sogar zu mögen oder verstehen scheint.

                  Ich habe gesehen, dass im Januar mit Zum Paradies ein neues Buch von Hanya Yanigihara erschienen ist. Bei der Rezension, die ich dazu gelesen habe, stand:

                  “Schwere Kost ist das. Absolut brillant, aber auch erstaunlich behäbig mit vielen Wiederholungen geschrieben. Ein Gefühl der Erleichterung stellte sich bei mir ein, als ich das Buch zu Ende gelesen hatte, und dazu der Wunsch, den Inhalt so rasch wie möglich wieder zu vergessen.”

                  Ich werde es bestimmt lesen, aber diese Rezension bestätigte mich darin, noch etwas zuzuwarten und eine Verschnaufpause mit leichterer Kost einzulegen 😉

                    Moerischi Hallo und guten Tag! 😉 Inzwischen bin ich auf Ivu’ivu gelandet. Das Zuhören hat etwas abstossend-faszinierendes! Diese unverblümte Arroganz, wie er z.B. beim ersten Treffen mit der Assistentin auf der Insel beschliesst, sie zu hassen und zu überflügeln, weckt bei mir Abscheu. Auch die Art, wie er alles wertend, mit einem Hang zum Hässlichen, beschreibt, ist mir eigentlich zuwider… Der Kerl, der nie zum eigentlich Schönen durchdringt, kann einem leid tun…

                    Es ist bis anhin mein erstes und einziges Buch von Yanagihara, die andern Titel sah ich ebenfalls im Katalog, waren aber grad ausgeliehen, so dass ich mich für die Bäume entschied.

                    Hast Du für Dich beim Lesen ‘Schlüsse’ gezogen? - Mir wird irgendwie klar, dass man zwar keine Verantwortung dafür hat, wie man aufwächst - dass man aber an den Punkt kommen muss (zumindest sollte…), wo man Verantwortung dafür übernimmt, das beste daraus zu machen… - Chancen hätte Perina ja zuhauf gehabt - aber er scheint sie alle für seinen Narzissmus zu verzwecken, der ihn immer mehr abstumpft gegenüber dem Liebenswerten der Andern. - Wie war’s bei Dir?

                    • Moerischi hat auf diesen Beitrag geantwortet.
                      10 Tage später

                      Schoma Huch, ich war lange nicht online, sorry! Ich denke, du bist mittlerweile schon Ivu’ivu-Expertin und vielleicht auch ganz fertig mit dem Buch? Falls ja, bin ich gespannt, wie sich deine Einschätzung vielleicht geändert hat?

                      Mir ging es ähnlich. Perina hätte viele Chancen gehabt, Menschlichkeit oder Mitgefühl zu zeigen, und diese nie genutzt. Die Autorin schaffte es aber irgendwie, sein Verhalten aus seiner Sicht immer wieder zu rechtfertigen und ich fand es auf eine besorgende Art “beeindruckend”, wie empathielos er war oder wie er häufig auch nicht zu merken schien, wie unangebracht sein Verhalten war - geschweige denn, die Konsequenzen seines Handelns. Ich glaube, dass Vieles nicht mit böser Absicht geschehen ist, was es aber nicht weniger schlimm macht - Und genau das ist für mich der Hauptkonflikt des ganzen Buches, der fesselnd, teilweise aber auch beängstigend ist.

                      • Schoma hat auf diesen Beitrag geantwortet.
                      • Schoma gefällt das.

                        Moerischi Danke, MOERISCHI für Dein Feedback! - Nein, ich bin immer noch auf der Insel unterwegs - etwas über die Hälfte des Stoffes ‘intus’. Ich bin fasziniert von der Art und Weise, wie G. Schoss den Text liest - das gibt innere Bilder und eine Art von ‘Piktogramm’ des Charakters von Perina - ich hab das Gefühl, er deckt ihn recht gut ab und liest nicht einfach deutlich-schön-neutral.

                        Leider weiss ich nicht, inwieweit das, was von der Insel und dem Volk erzählt wird, effektiv stimmt… Aber schockierend war doch das Initiationsritual, bei dem ein Knabe von mehreren Männern missbraucht wird - mit zustimmendem Nicken der Eltern, die dabei waren! - Einfach grotesk! - …aber leider nicht abwegig (was mitunter Einwilligung von Eltern/teilen zu Missbrauch eigener Kinder anbelangt…). Unerhört finde ich, wie Perina das als ‘normal’, ‘kulturell bedingt’ anschaut und nicht versteht wie ‘Esmé’ (ich weiss nicht, wie man den Namen korrekt schreibt, da ich ihn bloss höre) sich darüber echauffieren kann und partout von ‘Vergewaltigung’ spricht. Ja, Perina findet sogar, dass Kinder daran Gefallen haben! - Da wird’s einem/mir übel!!! - Möglicherweise hat er in sich bereits etwas von der pädophilen Neigung oder Prädestination gespürt… und sich nun ‘gerechtfertigt’ gefühlt.

                        Weil’s hier um diese Thematik geht, erlaube ich mir einen Link anzuhängen, der mir SEHR WICHTIG ist: kein Täter werden. Keiner kann etwas dafür, wenn er in sich eine Neigung zu Kindern (Pädosexualität) spürt - ABER jeder hat VERANTWORTUNG, konstruktiv damit umzugehen, heisst, sich Hilfe zu holen, damit er/sie Strategien lernt, damit die Neigung NICHT zur Handlung werden muss. Ich finde die Plattform, die entsprechende Hilfe anbietet SEHR WICHTIG - und auch, dass sie BEKANNT wird. - Wir müssen nicht nur die Täter und die Tat verurteilen, sondern auch helfen, dass es nicht so weit kommt - und das bedeutet, nicht bloss strenge Strafandrohungen, sondern Hilfe bieten für Menschen, die in Gefahr sind, sich schuldig zu machen - wir müssen reagieren, BEVOR etwas passiert.

                        …Exgüsi, nun bin ich etwas abgeschweift… - Weisst Du inwieweit die Angaben zu den Wissenschaftlern, die in den Fussnoten mit Eckdaten und wissenschaftl. Schwerpunkt aufleuchten, echt sind? Und wieviel stimmt von der Insel, dem Volk, seinen Riten Sprachen, der Natur? - Kann man sich das alles ‘aus den Fingern saugen’?!

                        Eine ganz gute Woche Schoma

                        • Moerischi hat auf diesen Beitrag geantwortet.

                          Schoma Schön, dass du immer noch auf Ivu’ivu unterwegs bist! Die Beschreibungen der Insel und das immer besser kennenlernen der Flora und Fauna, des Volkes, aber auch der drei Forscher hat mir sehr gefallen.

                          Grundsätzlich ist die Geschichte ja einfach erfunden und das muss man schon aktiv im Kopf behalten, wenn man sie liest - Es ist schon so heftig genug. Wie du habe ich auch die Links zu Parallelen eines realen Wissenschaftler gefunden, allerdings denke ich, dass man da nicht zu viel reininterpretieren sollte. Das kann als Inspiration oder Idee für das Grundgerüst der Geschichte gedient haben, ich würde aber Perinas Eigenschaften und Taten nicht einfach direkt mit diesem Wissenschaftler in Verbindung setzen.

                          Ich weiss natürlich nicht, wie das im Hörbuch genau ist. Aber beim Lesen des Buches lassen die Fussnoten mit den wissenschaftlichen Zitationen (die Werke gibt es ja alle nicht) und den Erläuterungen von Kubodera es wie eine reale Geschichte erscheinen - Was sicher auch das Ziel war und weshalb ich sehr früh gegoogelt habe, ob das wirklich eine reale Geschichte ist und dann sehr froh war, dass dies nicht der Fall ist. Da sind wir wieder beim Anfangsthema: Wenn man das liest und nicht im Hinterkopf hat, dass die Geschichte erfunden ist, dann ist alles noch viel heftiger, als es sowieso schon ist!

                          • Schoma hat auf diesen Beitrag geantwortet.
                          • Schoma gefällt das.

                            Moerischi Hallo Moerischi! - Danke für Deine Zeilen und Gedanken darin! …bald ist die 2. CD auch zu Ende - die Geschichte ist unglaublich vielschichtig - man kann sich nicht ‘einfach nur’ auf die Pädophilie von Perina ‘einschiessen’, da werden noch ganz andere Themen angeschnitten:

                            • die Unsterblichkeit
                            • der menschliche/geistige Verfall
                            • die Kultur

                            …ich denke, dass damit herausfordernde Fragen aufgeworfen (und an sich zur Debatte gestellt) werden:

                            • ist Unsterblichkeit erstrebenswert? - Ewiges Leben auf Erden? …und was, wenn es ‘bloss’ physisch ‘machbar’ ist (wie in der Erzählung)?
                            • wie gehen wir mit Mitmenschen um, die geistig verfallen (Demenz, Alzheimer)? - der Stamm merzt sie als ‘Verfluchte’ aus - auf uns umgemünzt: Euthanasie-Frage
                            • wenn Auffassungen, die bei uns entweder abgelehnt oder strafrechtlich verfolgt werden, als Teil einer Kultur akzeptiert und öffentlich gelebt werden (in diesem Fall ‘Kindsmissbrauch’ als Initiationsritus und Aussetzung alter (wohl dementer) Stammesmitglieder als Verfluchte), dürfen wir das verwerflich finden und ‘bekämpfen’? Oder ist es als Teil der Kultur zu akzeptieren?

                            Je länger ich das Buch höre, desto mehr Bewunderung habe ich für die Autorin, die hier enorm viele existenzielle Themen ‘wissenschaftlich verpackt, koloriert und aufbereitet’. Und das ‘nur’ mit einer biografischen Anlehnung im Hintergrund… Man müsste wirklich mehr darüber austauschen können! - Schoma

                              Schoma Liebe Schoma,

                              das war es was ich damals meinte mit:

                              Bolle Und eben ich denke es ging in erster Linie um die Diskrepanz von beiden Gesichtern des Wissenschaftlers

                              Hanya Yanagihara ist wirklich eine tolle Autorin. Sie packt in ihre Bücher immer auch sehr viel Kritik an bestimmten Systemen, gesellschaftlichen Normen etc.

                              7 Tage später

                              Schoma Absolut, das Buch umfasst viele spannende Fragen und regt zum Nachdenken an! Danke für deine Gedanken dazu, ich habe diese einmal kommentiert resp. ergänzt 🙂

                              • Das mit der Unsterblichkeit finde ich sehr spannend! Die “Version” der Unsterblichkeit, die allein die physische Existenz dauerhaft möglich macht, aber mit Verlust des Verstandes, erscheint überhaupt nicht erstrebenswert. Gerade in Kombination mit dem Verstossen sein, wie es in diesem Volk gehandhabt wird - Eher ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Der Preis (scheint zumindest mir) zu hoch!
                              • Interessanter Vergleich - Auf Ivu’ivu scheint der Fall klar: Einmal nicht mehr “gut/fit genug”, wird man ausgestossen. Bei einem Naturvolk irgendwie auch noch nachvollziehbarer, obwohl es ihnen ja eigentlich gut genug gehen würde, um einige zusätzliche ältere Menschen zu pflegen und durchzufüttern, auch wenn diese nicht mehr zum Stammesleben beitragen können.
                                Mich hat dieser Punkt auch stark beschäftigt, da meine Grosseltern beide stark dement sind und ich das Zusehen manchmal als sehr schmerzhaft empfinde. Mein Grossvater war der intelligenteste Mensch, den ich kenne - und ihn jetzt im Altersheim zu sehen, das er als Hotel bezeichnet, weil er nicht mehr versteht, dass er dort wohnt und auf Pflege angewiesen ist, das ist nicht einfach. Ist das Wegschicken auf Ivu’ivu vielleicht auch eine Art, um die eigene Zukunft auszublenden und nicht miterleben zu müssen? Denn Konfrontation kann unangenehm sein und alle Ivuianer wissen, dass ihnen dasselbe Schicksal einmal ebenfalls blühen wird. Wegschicken ist zwar keine Lösung, aber so können Sie das Wissen vielleicht eher ausblenden als wenn sie ihr Schicksal täglich sehen?
                              • Die letzte ist eine extrem schwierige Frage und ich weiss nicht, was es da in der Sozialanthropologie für Diskussionen und Lösungen dazu gibt. Wäre vielleicht interessant, dort einmal Abhandlungen zu diesem Thema nachzulesen. Auf den ersten Blick ist es natürlich schnell verurteilt, aber es ist auch schwierig, keine kolonialistische Haltung einzunehmen und alles Bestehende als rückständig und verwerflich abzustempeln.

                              Ich finde es ebenfalls ein absolut beeindruckendes Werk mit so vielen Inhalten und Denkanstössen. Ich denke, dass ich mich bald an ihr neustes Werk wagen werde und bin gespannt, was mich da wieder erwartet 🙂

                              Liebe Grüsse Michelle

                                Moerischi Vielen Dank für Dein Mit-Denken und Mit-Teilen!

                                Inzwischen hat Perina sein Mäuse-Experiment gemacht - und als No-Name gefloppt - kaum wiederholt von einer Koriphäe kommt der Stein ins Rollen…

                                Yanagihara verstrickt unglaublich viel Wolle in diese Geschichte - ohne dass es ein Gnusch gibt!!! 😉 - Die nächsten Fragen wären die ethischen betreff Menschenwürde - und Perina sagt ja selbst, dass er quasi Glück hatte bei seinem Menschentransport (sediert und narkotisiert!), dass es zu jener Zeit keine Ethik-Kommission gab und er freie Hand hatte - darf man Menschen zu ‘Zootieren’ degradieren, um der ‘Menschheit’ zu dienen?! Es ist ja fürchterlich, wie ‘die Träumer’ gehalten werden! - Und mit der Zeit wird sich auch die Frage aufdrängen ‘wie weiter mit ihnen?!’ - Nur schon die beschönigende Bezeichnung ‘Träumer’ ist eine Verharmlosung eines desaströsen menschlichen Zustandes!

                                Seine dritte Reise auf die Insel, bei der die Ureinwohner ja bereits ihrer eigentlichen Identität beraubt wurden, ist ein Elend mehr in der Geschichte - Du tippst ja die Arroganz des Kolonialismus ebenfalls an. - Ich bin wirklich gespannt, wie es noch weiter geht… Er würde es wieder tun - meint Perina, auf die Frage, die er sich selbst stellt, betreff seiner ‘wissenschaftlichen Forschung’ und deren ‘Veröffentlichung’ - Und ich frage mich, wo sind die Grenzen? und gibt es überhaupt welche? - Dass ethische Absperrlinien ausgetrickst und übergangen werden, kennen wir ja auch (z.B. Dolly). Manchmal frage ich mich, wohin das noch führen wird… Wann der Mensch bereit ist, seine Endlichkeit und Begrenztheit zu akzeptieren - und vielleicht genau darin die Kostbarkeit des Lebens zu entdecken… Weil nicht alles und alle Zeit möglich ist, muss man sorgfältig wählen und bewusst geniessen - das könnte auch eine Chance sein…

                                Vielleicht ist es die Sehnsucht nach ‘Unsterblichkeit’, die soviele zum ‘Ausverkauf im Netz’ antreibt - einmal wenigstens gesehen werden - nie mehr gelöscht werden können… - Die Tragik von Ivu’ivu wiederholt sich auf virtueller Ebene - wie es scheint…

                                Das ein weiterer Eindruck kurz vor dem CD-Endspurt! Schoma

                                P.S.: Was Du von deinen Grosseltern schreibst, berührt mich. In meinem Umfeld leben viele Menschen mit Demenz, bzw. demenzieller Erkrankung - aber es ist etwas komplett anderes, ob ich die Menschen nicht anders kannte oder/und ihnen nicht näher vertraut bin. - Bei Vertrautheit kann man dann nur auf eine wohlwollende Distanz gehen - wenn die Betroffenen in ihrer neuen Realität angekommen sind, sind sie meist im Frieden, weil das ihre neue Welt ist - das allerschlimmste ist der Übergang, das Entgleiten, das noch erlebt und erfahren wird, verzweifeln lässt oder aggressiv macht. Ich merke, dass man im Kontakt nie das tiefe Wesen des Menschen aus dem Auge und Herzen verlieren darf - weil auch dieses in der Demenz nicht verloren gehen kann - der Mensch ist mehr als sein Verstand - er ist und bleibt immer kostbar.