Eines vorneweg, Hanya Yanagihara schreibt in einer packenden Sprache und ist eine Meistererzählerin sondergleichen, aber mit diesem Buch hat sie mich überfordert. Ich habe es dennoch gelesen,in der Hoffnung, die vom Verlag kolportierte Sogwirkung noch zu erfahren. Man startet im 19. Jahrhundert in einer theoretischen Erzählanlage: Die USA sind aufgeteilt in Freistaaten und arme Kolonien. In den Freistaaten sind arrangierte, auch gleichgeschlechtliche Ehen zwischen den reichen und kultivierten Gründerfamilien Gang und Gäbe. So soll David Bingham, sensibler Kunstlehrer in einer von den schwerreichen Binghams gestifteten Schule für die Heerscharen verwaister Kinder von Flüchtlingen aus den verarmten, rückständigen Kolonien, die dann von den reichen Paaren der Freistaaten adoptiert werden, auch auf seinen Wunsch hin mit einem reichen verwitweten Unternehmer vermählt werden. Die Anbahnung der Beziehung in diesem Milieu gelingt, dumm nur, dass sich David kurz nach Anbahnung in den Klavierlehrer der Schule verliebt, während sein fürsorglicher Grossvater den sensiblen und kränklichen David mit dem reichen Witwer versorgt wissen will. Der verwöhnte David stürzt sich so kopflos in eine leidenschaftliche Affäre, die er versucht geheim zu halten. Doch der Patron der Binghams, Boss einer Bank aus der Gründerzeit der Freistaaten, kommt dahinter. Der Klavierlehrer versucht David zu einem Neuanfang ausserhalb der Kolonien zu bewegen, der schwerreiche Grossvater stellt den Enkel vor die Wahl, kleines Erbe und Verstoss aus dem Paradies des wohlhabenden Clan oder Abbruch der Beziehung mit dem zweifelhaften Klavierlehrer. Es hat in diesem ersten Romanteil Szenen, die mich wirklich gepackt haben, weil sie so perfekt geschrieben sind, zum Beispiel als der verwöhnte David erstmals die ärmliche Kammer seines Liebhabers betritt, und realisiert, wie privilegiert er wirklich gebettet ist. Aber die Kulisse der wohlhabenden Gründerfamilie am Washington Square (in Anlehnung an Henry James) wirkte auf mich zu gestellt und klischiert. Im nächsten Buch lebt ein weiterer David Bingham mit seinem reichen und älteren Partner im Haus am Washington Square. Er stammt natürlich von der königlichen Familie Hawaiis ab, er hatte seinen Vater verlassen müssen als Teenager, als sich abzeichnete, dass der geistig abbauende Königssohn in dem Vorhaben, auf einem abgelegenen Grundstück mit seinem nationalistischen fanatischen Kumpel die Unabhängigkeit Hawaiis wieder herzustellen, scheitern wird. Nun erhält er einen bewegenden Brief seines Vaters, der seinen verlorenen Sohn noch einmal wiedersehen will. Hier sind wir in den 90er-Jahren, und einer der bewegendsten Szenen des Teils, als sich der Freund Davids in einem mondänen Mahl von seinem an AIDS tödlich erkrankten Freund aus Jugendtagen verabschiedet, der demnächst zum Sterben in Schweiz fahren will. Im letzten Teil sind wir in der Zukunft, wechselnd zwischen 2060 bis 2090, indem nach diversen Pandemien der Grossvater, seines Zeichens Virologe mit Connections zum neuen Regime, mit der durch eine Krankheit gezeichneten Enkelin namens Charlie am Washington Square lebt.Auch hier haben sich die Vereinigten Staaten aufgelöst, es herrscht Notrecht eines Regimes, das vor allem die Kranken von Gesunden trennen will, koste es, was es wolle. Zivile Freiheiten werden unterdrückt, Verelendung greift um sich. Diese Dystopie wird in verschiedenen Perspektiven und Zeitsprüngen eindringlich und beklemmend geschildert. Auch hier ist eine Familiengeschichte erzählt, die durch den Kontext aber fast vergessen geht. Charles Griffith ist einerseits Teil des Systems, das in seiner Rigorositüt die Seuchen zu überwinden, alle demokratischen und freiheitlichen Prinzipien missachtet. Er ist Initiator von Internierungslagern, die Kranke von Gesunden trennen. Andererseits wird er auch Opfer des Systems, weil sich zuerst sein Sohn David und dann sein Ehemann von ihm abwenden, bis zum tragischen Ende. Oft wird das aus den Briefen von Charles an seinen Freund Peter in Neubritannien, das Grossbritannien ersetzt hat, ersichtlich. Durch die Erzählung der durch die Seuche versehrten und eingeschränkten Enkeltochter Charlie wird das Elend einer dystopischen überwachten Welt in aller Düsterheit plastisch erzählt. Längst ist der Washington Square Zeuge von Verelendung, Rebellion und Elend. 892 Seiten können nicht kurz zusammengefasst werden. Das Buch ist ein ambitioniertes Werk, Yanagiharas Meisterschaft ist unverkennbar. Bei allem Können dieser tollen Autorin, das Buch will zu viel, ist zwischenzeitlich zähflüssig, fordert mit Zeitsprüngen oder Wechsel der Erzählperspektiven und strapaziert mit einer Komplexität von verschiedenen Gesellschaftsentwürfen.