Die ungewohnt ruhigen Feiertage haben es mit sich gebracht, dass ich das Buch fertiggelesen habe. Es fiel mir schwer, nur einzelne Kapitel zu lesen, weil ich die Handlungen der Protagonist*innen so weniger gut hätte verstehen können.
Der Schlüssel von Aidas Schweigen liegt offenbar im Tod von Nosche (S. 200). Wie ihr Vater seine Frau als Stück seiner Heimat in der Fremde brauchte, so war Nosche nicht nur die Initiantin für die Flucht in die Freiheit (der Verweis auf den Buchtitel, S. 203), sondern für Aida auch ein Stück der Heimat. Damit gleicht Aidas Schicksal dem ihrer Eltern. Dass Aida über ihre Vergangenheit und die Umstände der Flucht schweigt, ist angesichts der damit verbunden Ängste, Bedrohungen und Traumata nachvollziehbar. Sie hat am Schluss Schwester, Eltern, Heimat und auch die Sprache verloren, ist aber noch nicht in einer neuen Heimat angekommen. Erst gegen Schluss erfährt Aida dank des Schreibens und der Rückkehr von Daniel so etwas wie Hoffnung auf eine neue, unbeschwertere Zukunft.
Das Buch lässt die Leiden von Flüchtlingen erahnen. Es ist nicht nur die Zerstörung ihrer Heimat und die Flucht, welche sie erleben, sondern selbst in einer sicheren Umgebung wie in der Schweiz geht das Leiden angesichts des Verlusts der Heimat und vieler Ungewissheiten (auch der kulturellen Identität und des Status) weiter. Ob sich diese Fremdheit «heilen» lässt? Die Eltern von Aida kehren zwar in den Irak und die Heimat zurück, aber gerade wegen ihrer Flucht empfinden sie sich nun auch dort als fremd.
Das Buch regt zum Nachdenken an und bietet viele schöne Sprachbilder (dass Herr Al Shahmani übrigens sehr gut Deutsch kann, habe ich 2018 anlässlich seiner 1. August-Ansprache erlebt). Dennoch, dass Aida im Arabischen offenbar «Besucher» bedeutet, und Daniel ausgerechnet Student der Ethnologie ist (und Aida sein langjähriges Studienobjekt?), scheint mir gar bedeutungsschwanger. Dass selbst die Hirtin Amina über die vollkommene oder unvollkommene Hoffnung philosophiert, scheint auch etwas weit hergeholt.