ACHTUNG, SPOILER_ALARM: Ich schreibe hier über Kapitel “Die Schritte der Diaspora”.
Diese Seiten haben mich richtig traurig gestimmt, dies aus mehreren Gründen. Ein Mensch wird dafür bestraft, weil er die Wahrheit erzählt. Anschläge und Explosionen in Bagdad (S. 176), die allgemeine Gewaltsituation (S. 178), mögliche Zwangsheirat , fehlende Freiheit, keine Schuldbildung und keine Stelle (S. 177), sprich keine Zukunft sind offensichtlich nicht ausreichende Asylgründe. Was dann? Nicht einmal die Gefahr, bei einer Rückkehr als Schande der Familie abgestempelt und allenfalls getötet zu werden (S.185f.) sind Grund genug. “Leider machen die Behörden zum Teil komische Sachen” (S. 196) bringt es auf den Punkt. Zu Recht beneidet Aida Daniel und die Schweizer_innen allgemein für ihre Sorglosigkeit (S. 190). Wie kann man eine solche Situation wirklich nachvollziehen, die Beweggründe, alles zurückzulassen, wenn man ein ganzes Leben lang zumindest strukturell privilegiert war? Da erscheint Daniels Ethnologie-Studium auf einmal leicht banal: Die Welt verstehen wollen, ohne sie erlebt zu haben. (S. 190).
Süss, dass wir die Kennenlerngeschichte der Eltern erfahren. Aida stellt allerdings zu Recht die Frage, ob es zwischen den beiden Liebe war, oder die Liebe des Vaters zur Heimat (S. 183). Jetzt wissen wir: Heimat kann auch in einer Person wiedergefunden werden. Das könnte erklären, abgesehen von religiösen Gründen, warum manche Geflohene lieber unter sich bleiben.
Gelungen fand ich die Geschichte mit den gestohlenen Blumen (S. 194). Blumen auf dem Grab sind hier etwas typisch Schweizerisches (Vgl. S. 195), weder Aida und ihre Schwester noch Kindake kennen diesen Brauch aus ihren Ursprungsländern. Als sie vom Diebstahl erfahren, sind sie verständlicherweise empört. Das sehen Aussenstehende aber nicht. Sie sehen allerhöchstens die schlechte Tat eines Mannes, die dann, wenn wir einen Blick auf die Berichterstattung werfen, selten einer ganzen Gruppe angehängt wird. Diese Szene ist so ein gutes Beispiel dafür, dass es so etwas wie “die” Flüchtlinge, die jenes und dieses tun, nicht gibt.
Der Tod von Aidas Schwester kommt ein bisschen unerwartet. Gut, wir wissen relativ früh im Buch, dass sie irgendwann sterben wird. Ich dachte aber tatsächlich, dass dies auf der Flucht passieren wird und sicher nicht über einen Unfall, und habe mich vom Autor ertappt gefühlt. Grausamkeit liegt manchmal eben auch im Kleinen, Zufälligen.