Kathrin1014
So, jetzt habe ich es auch geschafft, bin auf dem gleichen Stand wie ihr und kann mich an eurer hochinteressanten Diskussion beteiligen! Vieles von dem, was mir beim Lesen durch den Kopf ging, gerade zu den Personen aus der Tech- und Prepperszene und der Risiken neuer Technologien wurde von euch bereits sehr ausführlich besprochen, dem kann ich eigentlich nichts hinzufügen.
Mich persönlich haben die Rückgriffe auf die Bibel, die einige von euch eher kritisiert haben, besonders gepackt. Ich habe seit kurzem angefangen, mich mit der Bibel zu beschäftigen und was mich besonders fasziniert, ist die Vielschichtigkeit dieses literarischen Werks. Natürlich kann man sie fundamentalistisch auslegen und als festes Regelwerk auslegen. Das ist schade, denn daneben gibt es viele weitere lohnenswerte Lesarten. So kann man sie aus anthropologischer Sicht auch als eine Erzählung der Entwicklung der Menschheit verstehen, also eine Antwort auf die Frage “Woher kommen wir?” “Warum leben wir, wie wir leben?” “Wie sieht unsere Beziehung zu anderen Völkern aus - und warum?”, etc. Dass die in Marthas Blogposts zitierten Bibelpassagen reflektieren beispielsweise (wahrscheinlich?) wirklich diesen Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausende andauernden Konflikt zwischen zwei konträren Lebensweisen und versuchen zu erklären, warum sich letztlich eine davon durchgesetzt hat. Die Passage von der Zerstörung von Sodom und Gomorrha bildet einen Bezug zum bevorstehenden (befürchteten) Weltuntergang in Aldermans Roman und stellt die Frage danach, ob und welche Personen denn in einem solchen Fall “davonkommen” dürften - eine Frage, mit der sich Menschen also schon vor Tausenden von Jahren auseinandergesetzt haben und welche trotzdem bis heute aktuell bleibt! Interessant finde ich, dass Alderman zwei Legenden in ihren Text einbettet, welche eine ganz ähnliche Aussage haben: einerseits die ausführlich geschilderte Geschichte von Lots Frau, die bei der Zerstörung von Sodom und Gomorrha zurückblickt und deswegen zur Salzsäule erstarrt und dann die Legende von Orpheus und Eurydike aus der griechischen Mythologie, in der Orpheus seine geliebte Eurydike, die er aus der Unterwelt retten will, verliert, weil er zu ihr zurückblickt. Beide Legenden können dahingehend interpretiert werden, dass es nichts bringt, der Vergangenheit nachzuhängen, stattdessen soll man sich kompromisslos auf die Zukunft fokussieren, ohne Rücksicht auf Verluste. Gleichzeitig macht Alderman das Gegenteil davon, indem sie selber diese uralten Geschichten in Bezug zu einer nicht allzu fernen Zukunft setzt. Ein erzählerischer Konflikt auf der Metaebene, sozusagen… Macht das für euch Sinn?
Spannend finde ich, was Wikipedia zu den biblischen Namen “Simri” (=Zimri?) und “Martha” sagt:
Simri: "Der Name lässt sich (…) mit „(Gott) hat beschützt“ übersetzen. Im Alten Testament wird Simris kurze Herrschaft (…) beschrieben. Simri war Kommandant der Kriegswagen unter König Ela, den er in Tirza ermordete, um sich selbst zu dessen Nachfolger zu machen. (…) Gemäß der biblischen Erzählung herrschte Simri allerdings nur sieben Tage, da das israelitische Heer, das vor Gibbeton lagerte, den Feldhauptmann Omri zu seinem König wählte. Dieser zog mit dem Heer nach Tirza und belagerte die Stadt. In aussichtsloser Lage setzte Simri den Burgturm seines Königspalastes in Brand und kam in den Flammen um."
Martha: "Martha und Maria sind hier offensichtlich als Typen gezeichnet, die bestimmte Anteile des christlichen Lebens repräsentieren. Dabei steht Maria für die vita contemplativa, Martha für die vita activa. (…) Der Name Martha ist aramäischen Ursprungs und bedeutet „sie war rebellisch“[2]^ oder „Herrin“[3]^. Im Hebräischen trägt der Name die Bedeutung „die Bittere“[4]^."
Ich bin sehr gespannt, ob die biblische Bedeutung der Namen noch eine Rolle spielen wird!
Über die doch sehr häufigen Sexszenen bin ich auch etwas gestolpert. Ich habe den Eindruck, dass Alderman hier eine Gegenposition zum Transhumanismus einnimmt, indem sie illustriert, dass unsere menschliche Natur sowohl von Geist / Intellekt als auch von körperlichen Bedürfnissen geprägt ist und dass wir diese Dualität auch mit technologischen Mitteln nicht werden aufheben können… Aber vielleicht ist das auch zu weit hergeholt 🙂…