Buecherfreundin

Wie wird die Welt, in der wir leben, in einigen Jahren aussehen? Naomi Aldermans Buch “The Future” nimmt uns mit auf eine Reise in eine nicht allzu ferne Zukunft, in der drei Tech-Konzerne unter der Leitung skrupelloser, egoistischer Narzissten die Gesellschaft massgeblich prägen. Einige Akteur:innen dieses Systems sind jedoch nicht mehr bereit, dies hinzunehmen. Sie schliessen sich zusammen und fassen einen Plan… Alderman analysiert die Welt, in der wir aktuell leben, setzt sie in einen historisch-religiösen Kontext und entwirft eine erschreckend realistische Zukunftsvision. Dabei fordert sie ihre Leserschaft, vor allem zu Beginn des Romans, mit häufigen Wechseln der Erzählperspektive und -zeit heraus. Rückblenden und Bibel-Passagen, welche in Online-Foren diskutiert werden, machen das Buch extrem vielschichtig, abwechslungsreich und dadurch reizvoll. Wer sich darauf einlassen mag, findet viele grosse Fragen in der Erzählung angelegt, wie beispielsweise der Frage nach der Natur des Menschen und den Grundlagen eines gelungenen Zusammenlebens, aber auch nach Macht, Verantwortung und Kontrolle einzelner Individuen - und ganz zentral die Frage danach, ob wir das Ruder noch herumreissen können und welche Opfer wir dafür bereit sind zu erbringen. Leichte Lektüre geht anders! Alderman erweist sich erneut als begnadete Erzählerin und legt ein beklemmend realistisches Buch vor, welches aufrüttelt und zum Nachdenken anregt. Nur der allzu vorhersehbare Schluss enttäuscht nach einem grossartigen Lesevergnügen.

Ein Vater sucht seine vor Jahren auf Mallorca verschwundenen Tochter und muss sich dabei nicht nur allerlei dubiosen Gestalten der mallorquinischen Schattenwelt, sondern vor allem seinen eigenen Dämonen stellen: Tim Blanck, dessen Tochter vor fünf Jahren während eines Urlaubs spurlos verschwand, kann nicht eher ruhen bis er herausgefunden hat, was damals mit ihr passiert ist - und ob sie nicht vielleicht noch am Leben ist. Auf seiner Suche sieht er sich mit der Mafia, korrupten Elementen aus der Politik und aus den Reihen der Polizei und schliesslich sogar mit einem düsteren Kapitel spanischer Geschichte konfrontiert. Gleichzeitig versucht seine Frau Rebecka mit ihrer neugeborenen Tochter Maia, ein neues Leben aufzubauen, wechselnd erfüllt von verzweifeltem Hoffen und abgrundtiefer Verzweiflung. Wird es Tim gelingen, seine Tochter Emme wiederzufinden - und um welchen Preis? Der Krimi “Das dunkle Herz von Palma”, die Fortsetzung von “Verschollen in Palma”, zieht den Leser in einen Strudel von Emotionen und Ereignissen. Die beklemmende Stimmung, der erzählerische Sog wird vor allem durch eine sehr dichte Sprache, die dem Leser einiges abverlangt, erzeugt. Immer wieder springt die Erzählung dabei zwischen der Gegenwart und den Ereignissen des ersten Teils sowie der Gedanken- und Traumwelt der Protagonist/innen hin und her. Es empfiehlt sich daher, zuerst den Vorgängerroman zu lesen. Neben der Handlung, die nach einem schleppenden Anfang Fahrt aufnimmt, ist es besonders die psychologische Ebene, die den Krimi reizvoll machen. Die beiden Protagonisten gehen mit dem Verschwinden ihrer Tochter und der Geburt ihres zweiten Kindes sehr unterschiedlich um, was einen als Lesende/r unweigerlich zur Frage führt, wie viel Schmerz ein Mensch auszuhalten vermag - und wie man selber eine solche Tragödie zu bewältigen versuchen würde. Fazit: keine leichte Kost, aber ein Roman, der atemlose Spannung bis zum Schluss verspricht, wenn man sich auf die ungewohnte Sprache einlässt - und gut damit leben kann, dass auch der Schluss nicht alle Fragen abschliessend beantworten kann…

Im Roman “Im Reich der Schuhe” begleiten wir den 26-jährigen Alex Cohen nach China, wo er gegen seinen Willen von seinem despotischen Vater zum Partner seiner Schuhfabrik ernannt wird. Alex kann die Missstände, denen er in der Fabrik begegnet, je länger je weniger hinnehmen. Die Fabrikarbeiterin Ivy, in die sich Alex verliebt, weckt in ihm den Wunsch, Land und Leute besser zu verstehen und den Arbeiter*innen in der Fabrik eine menschenwürdigere Beschäftigung bieten zu können. Während er immer tiefer in die chinesische Kultur eintaucht, beschäftigt ihn auch die Auseinandersetzung mit seinem jüdischen Erbe, dem er sich verpflichtet fühlt. “Im Reich der Schuhe” ist weit mehr als ein Coming-of-Age-Roman, sondern rückt den Fokus auf die Schwächsten in der Produktionskette der Güter, die wir in unseren Breitengraden mit grosser Selbstverständlichkeit konsumieren, auf die Verlierer der Globalisierung. Die Leser*innen werden nicht geschont, sondern sehen sich mit teilweise sehr plastischen Beschreibungen dessen, wie es in der Schuhfabrik, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit auch in anderen Produktionsstätten in China, zu und hergeht. Der Roman beschäftigt sich mit Fragen nach unserer Verantwortung als Konsumenten und lässt darüber spekulieren, ob eine menschenwürdigere Weltwirtschaft möglich ist - aber immer gewürzt mit einer Prise Humor, so dass beim Lesen trotz der komplexen Zusammenhänge keine Langeweile aufkommt.