Ja, das wars dann mit dem dritten Akt!
Der letzte Teil beginnt mit vielen Problemen, was den Protagonisten und die Protagonistin zumindest im Geiste zusammenführt: Ein Whistleblower verbreitet ein paar Zeilen aus Stefans Mail. Bei Tessa brennt eine Trocknungsanlage. Im späteren Verlauf vernimmt man, dass auch Tessa Biogas genutzt hat, also eine Technologie, die vom Klimaaktivismus vermehrt gefordert wird. Tessa ist, wie wir wissen, Biolandwirtin und hat den Betrieb soweit «umgebaut», dass sie ukrainische Flüchtlinge hätte aufnehmen können, kurz: sie macht das, wovon Stefan ständig nur spricht. Trotzdem findet sie mit dem Betrieb kein Auskommen, und amtliche Verfügungen wie das Nutzungsverbot machen ihr das Leben zusätzlich schwer.
Schliesslich, die Pläne für ein gemeinsames Weiterleben sind weit gediehen, ist es Stefan, der sich von DVB, von Carla wie auch von einem seltsam anmutenden Sota (wirkt wie auferstanden) einwickeln lässt und zusammen mit Carla Chefredaktor der Bot*in wird. Stefans Entscheid wie auch Lars Suizid veranlassen Tessa dazu, die gemeinsamen Pläne zu vergessen. Mir erscheint diese Szenerie so, als hätte das «Monster» in letzter Sekunde Stefan gefügig gemacht. Der Relaunch wird durchgeführt, Stefan fühlt sich dem Boten verpflichtet, erkennt aber, dass er nur Marionette sein wird.
Er versucht auf allen Kanälen, Tessa zu erreichen, welche aber, wenn überhaupt, ihn dahingehend informiert, mit anderen Tätigkeiten beschäftigt zu sein. Tessa hat sich hier komplett von Stefan abgewendet. Stefan hat sich, in dem er das Angebot von DvB angenommen hat, ideel von Tessa abgewendet. Sie wiederum hat sich von einem Aktionismus einfangen lassen, den sie an Stefan kritisiert hatte.
Stefan hat anfangs des dritten Teils geäussert, dass er Angst um sie habe, dass sie sterben, einfach verschwinden könnte. Das Finale zeigt aber, dass das Gegenteil, die andauernde mediale Präsenz, wohl noch viel schlimmer ist: Ein Bild von Tessa zeigt, wie sie den Umweltminister ohrfeigt. Stefan weiss um die Bedeutung, die Folgen dieses Bildes auf ihre weitere Zukunft, kann als Chefredaktor nicht verhindern, dass es viral geht. Der Widerspruch, dass er als Journalist ausserstande ist, für seine Freundin einzustehen, bleibt. Er hat es geschafft, in seiner Welt ganz nach oben zu kommen, und hat am Ende alles geopfert, um dieses Ziel zu erreichen.
Er erkennt, dass Tessa gerade aus gegenteiligen Gründen es ihm gleichgetan hat. Er fasst Tessas Motivation kurz zusammen im Ausspruch: Tötet uns, aber verhöhnt uns nicht!
«[…] Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.» Dieses Zitat dürfte wohl Pate gestanden sein, als Zeh/Urban obigen Ausspruch kreierten. Es stammt von Otto Wels (SPD), und sie werden als letzte freie Worte vor dem Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 1933 betrachtet. Notabene meint Ehre auch Stolz, und da wären wir wieder beim Schwan. Auch mit der Ohrfeige hat man sich eines historischen Vorbilds bedient, und der Satz «[] Ich könnte dich in Hamburg abholen, und wir fahren zusammen nach Konstanz. Stundenlang auf der Autobahn, stundenlang reden, Kaffee an den Raststätten.» stützt meine Jan-Hus-Theorie ein wenig. Ja, da ist so einiges an geschichtsträchtigen Momenten eingepackt. Gemein haben sie, dass es um eine Allgemeinheit geht, die Andersdenkenden keinen Platz einräumen will, oder aber, im Fall von Beate Klarsfeld, der Aktionismus als einziger Ausweg erscheint. Ich denke nicht zuletzt deshalb, der Anspruch dieses Buches, etwas Bleibendes für die deutsche Literaturgeschichte zu schaffen, ist gelungen.
Ich verstehe den Roman als Warnung vor Zuständen, wie sie Deutschland zum einen während der Nazizeit, wie auch während der 68er Studentenunruhen erlebten. Als sich Medienhäuser zum Teil freiwillig zugunsten des Staatapparates einspannen liessen. Als Mahnmal erinnert es an die «Kanzlerwahl» 2021, als ein Lacher Armin Laschets medial dermassen ausgeschlachtet wurde, dass man heute eingestehen muss, dass das deutsche Volk durch die Rolle elektronischer Medien um die Wahl betrogen wurde. Und als Gebot, dass wir uns von keinem Medium und keiner Weltanschauung weismachen lassen sollten, dass es etwas Wichtigeres gäbe als die Beziehung zu unseren Nächsten.