Hoi zäme
In gut 20 Minuten ist schon wieder Freitag. Ich erlaube mir, meine Gedanken schon jetzt anzubringen.
Kommen wir also zum 2. Akt. Akt deshalb, weil die Textform jener eines Dramas entspricht, also praktisch nur in direkter Rede gehalten ist (die Ergänzungen zur Art der Kommunikation wären dann «Regieanweisungen»). Gegen die Form des klassischen Dramas spricht die Tatsache, dass es sich bloss um drei Akte handelt anstelle von fünf. Und es gibt mindestens 2 Schauplätze. Egal. Klar dafür spricht, dass wir in der Mitte dieses Aktes und somit in der Mitte des ganzen Buches quasi den (traurigen) Höhepunkt erleben: Das Wort «Quotenschwarze» (natürlich zutiefst diffamierend, wenn auch zutreffend), Sota, stolz wie ein Schwan, verkennt die Bedeutung seines Verdikts und will sich nicht öffentlich entschuldigen. Die daraus folgende mediale Hetze bringen ihn zu Fall. Dies alles, nachdem der Chefredaktor mit hochtrabenden Leuchtturm-Plänen Stefan mit an Bord holen konnte. Nicht zuletzt, weil Stefan erkennt, dass der «alte» Journalismus beibehalten werden muss. Man bekommt mit, wie erbarmungslos ein Mensch, ja eine Familie fast alles verliert, was sie verlieren kann. Der «böse» Gegenspieler bleibt ungenannt, Anschuldigungen bleiben unbestätigt. Sota wie auch Tessa sprechen von einem Monster, das unbesiegbar ist.
Wie gesagt, der Sturz von Flori Sota wird medial ausgeschlachtet, es werden Statuen erstellt, um sie medienwirksam zu vernichten. Der Shitstorm auf allen Kanälen hat die Wirkung eines Flächenbrandes oder einer Flutwelle medialer Art. Auslöser aber ist lediglich ein einziges falsches Wort zur falschen Zeit. Mir scheint, dass Ursache und Wirkung diametral entgegengesetzt sind.
Wie auch immer, ich glaube, hier einen Bezug zu unserer Haltung zu unserer Religion zu sehen. Es geht ja auf Seite 301 (Z 27ff) darum, dass Sota erkennt, «unsere Gesellschaft wird einerseits immer säkularer, pflegt aber andrerseits einen immer drastischeren Moralkult» Warum wird in unserer Gesellschaft der Glaube an Gott zunehmend abgelehnt, nur, um einem virtuellen Götzenkult zu dienen? Sota will gegen einen neuen Trend ankämpfen, was ja kein Geheimnis bleibt und wird, wenn auch unter anderem Vorwand, von einer jüngeren Generation zum Ketzer, zum Ungläubigen erklärt und gebrandmarkt. Man könnte sogar von einer virtuellen Kreuzigung sprechen, denn die erhöhte Position eines Gekreuzigten dient auch als Mahnmal, damit möglichst viele über den Vorgang informiert und eingeschüchtert werden.
Tessa ergeht es wenig besser: Eine Weizenernte, die erst der Trockenheit fast zum Opfer fällt, um dann im Dauerregen zu ertrinken, ein Flächenbrand, ein entlassener Mitarbeiter, der zur Gefahr wird und ein Betrieb, der sich langsam aber sicher ins Aus manövriert (oder besser manövriert wird) sind auch insgesamt mehr, als man selbst miterleben möchte. Was es mit einem macht, wenn man in einer solchen Lage steckt, kann ich nicht nachvollziehen. Gerade der Flächenbrand weist aber Parallelen mit dem «Quotenschwarze-#byebyebote-Hype» auf: Beide sind unberechenbar, weil sie sich rasend schnell ausbreiten, ab einer gewissen Grösse unkontrollierbar sind und der Urheber ist schwer zu ermitteln. Ein weggeworfener Zigarettenstummel oder Ronny bei Tessa, Leonie bei Stefan? Anders ist, dass ein Brandstifter nach Ausmass des Schadens bestraft wird, beim «Shitstorm» gegen Sota werden die Urheber wohl eher gefeiert.
Auf jeden Fall lässt sich Tessa von Eva zu einer verdeckten Aktion überreden. Mit Gülle-Konserven will man Aufmerksamkeit erwecken. Die Aktion wird von der Presse aber total zerrissen: «Was ist los mit unserem Land? Bauern kassieren Subventionen in Milliardenhöhe, verüben Giftanschlag auf die Bevölkerung und verwechseln das mit politischem Protest». Gutgemeinter Zuspruch ist anders. Alles in allem ein gesellschaftliches Problem, wie wir es auch hierzulande kennen: Die Landwirtschaft muss als Sündenbock herhalten für das schädliche Konsumverhalten der Gesellschaft, die sie ernährt. Und jeglichem Protest dieser Landwirtschaft entgegnet man mit Unverständnis und altklugen Ratschlägen, was sie zu verbessern hat.
Stefan gelingt es, sich ein wenig der Wokeness zu entziehen und deshalb wird auch der Umgangston zwischen ihm und Tessa etwas freundschaftlicher. Man findet wieder vermehrt zu gemeinsamen Nennern (Martin Walser) oder gibt sich Ratschläge, ja ist besorgt um das Gegenüber, gelegentlich auch eifersüchtig. Das war nach dem erneuten Wiedersehen an der Alster nicht zu erwarten.
Apropos Martin Walser: Stefan hat Walser kräftig applaudiert, als er 1998 seine Paulskirchenrede hielt. Worum ging es da? Im Wikipedia ist der umstrittene Teil wiedergegeben, in dem Walser sich über eine «Instrumentalisierung des Holocaust äussert». Es geht darum, dass sich Walser über (deutsche) Intellektuelle nervt, die das deutsche Volk immer und jederzeit anklagen betreffend der Judenmorde in der Nazizeit. Er erkennt die Schuld des deutschen Volkes, aber er erträgt es nicht, wenn andere mit ihren Vorhaltungen sich in ein besseres Licht würden rücken wollen. Stefan hat sich damals zu Walser bekannt und somit die Haltung jener AfD-Wähler eingenommen, die er aktuell kritisiert. Dieses Thema (AfD, rechtsradikale Ansichten, Bezüge zum Nationalsozialismus und NS-Vergangenheitsbewältigung etc.) wird uns wohl auch durch den dritten Akt begleiten, vermute ich mal.
Ob sich daraus hingegen eine Lovestory mit Happyend ergeben mag? Da komme ich wieder auf die eingangs erwähnte Literaturgattung Drama zu sprechen, zu der ich Zwischen Welten zähle. Der Wendepunkt ist überschritten, eine fallende Handlung hat eingesetzt und es ist für mich logisch, dass nach dem Lesen von den ersten beiden Teilen nur noch eine Katastrophe folgen kann. Ob diese Prognose zutrifft, diskutieren wir nächste Woche, worauf ich mich freue!