Mir gefällt die Entwicklung, die Aida in den letzten beiden Kapitel macht sehr. Endlich kann sie sich dem Schwierigen stellen: Das Aufsuchen des Mirabellengartens in Salzburg, wo sie sich intensiv an das Zusammensein mit Nosche erinnert und mit der Bemerkung schliesst: „Ich hatte das Gefühl, dass sich etwas in mir zurückzog und ein Ende nahm, damit anderes beginnen konnte.“ Ein anderer wichtiger Moment ist die Reise Beyans in den Irak (Aida kann ihm für ihre Eltern etwas mitgeben und so wieder einen Kontakt zu ihnen herstellen). Ebenso wichtig ist natürlich Beyans Bericht über Vater, welcher sich ausführlich nach Aidas Wohlergehen erkundigte sowie das grosse Geschenk der Mutter, der Ring. Somit ist - wenn auch indirekt- ein Kontakt zu ihren Eltern wiederhergestellt worden. Ein Kontakt zu ihren lange verdrängten Gefühlen, ihren irakischen Wurzeln wird so möglich. Man stelle sich vor, nach über zehn Jahren verdrängen und schweigen. Die Zubereitung der irakischen Süssigkeit ist für mich ebenfalls ein Signal, dass sie sich ihrem „irakischen“ Anteil positiv zuwenden kann.
Auch den Schluss mag ich; er endet mit einer positiv gestimmten Aida: Sie spürt jetzt, dass es möglich werden könnte, den Frost zwischen ihr und der Welt zu beseitigen. Nicht nur Aida spürt etwas Leichtigkeit, auch ich.
Ich habe die Geschichte sehr gern gelesen, besonders gefällt mir, dass ich oft zum Nachdenken angeregt wurde. Manchmal empfand ich die Zeitsprünge (auf einer Seite manchmal mehrere Wechsel) als etwas anstrengend.Zum Kapitel “Die Schritte der Diaspora” möchte ich noch dies aufgreifen:
Auf S. 175 geht Aida als Zuhörerin in die Dorfschule und wird von einer Schülerin befragt: “Stimmt’s, du warst bei den Ungläubigen? Ist die Schule gemischt? Stimmt es, dass die Frauen dort sich mit Männern herumtreiben?” Dabei geht es nicht um ein echtes Interesse, sondern es sollen Pauschalisierungen bestätigt werden. Umgekehrt begegnen wir vielleicht muslimischen Frauen, die in der Schweiz leben, ebenfalls mit einer Erwartungshaltung (unterdrückte, unfreie Frauen), und sehen nicht den einzelnen Menschen, denke ich.Dass eine Heirat durch die Eltern arrangiert wird, das weiss ich. Auf S. 131/oben erfahre ich nun, dass eine Frau sich spätestens mit 20 Jahren verloben sollte. Ansonsten drohe die Gefahr, unverheiratet zu bleiben. Zudem sei eine unverheiratete Frau schlecht für den Ruf der Familie und bringe Unglück. Da musste ich leer schlucken. Für mich zeigt diese Textstelle auf, wie anders das Wertesystem der Eltern ist, verglichen mit westlichen Werten. Und was für ein Spagat für die junge Generation, die - wie Nosche/Aida - in der Schule in der Schweiz die westlichen Werte kennenlernten, zuhause aber nach ganz anderen Regeln lebten.
Ein weiteres, kleines Beispiel für die versch. Systeme auf S. 143: Während ihres Aufenthaltes in der Schweiz schenkt ihnen eine Nachbarin einen Korb mit Gemüse. Der Vater ist beleidigt. Seine Interpretation: Die Frau denkt, dass sie Bettler seien.
Wir selber würden uns freuen über das feine Gemüse. Für mich ein schönes Beispiel, wie schnell Missverständnisse entstehen, wenn man nicht versucht, die jeweils andere Seite zu verstehen.Dieser Wechsel von der Schweiz in den Irak ist für Nosche und Aida ein Schock. Sehr eindrücklich, die Sprachlosigkeit zwischen den Eltern und den Kindern.
Zum Aufenthalt im Iran: Obwohl die Familie 7 Jahre dort verbrachte, erfahre ich darüber fast nichts. Wie war das Leben dort? Was machte der Vater, die Mutter? Ebenso kann ich dann nicht nachvollziehen, warum der Vater den Iran verlässt und in die Schweiz reist.draho208
Die Kopftuch-Situation im Flugzeug finde ich auch interessant: Für mich ist klar, dass sich Aidas Mutter nicht einmal im Traum vorstellen kann, das Kopftuch abzulegen: Es gehört zu ihr, ihren Werten, die sie im Irak gelebt hat. Warum fällt es den Frauen aus Iran offensichtlich leicht, im Flugzeug diesen Wechsel zu vollziehen? Diese Frage veranlasste mich, zu googeln, was für eine Geschichte diese beiden Länder haben.Nach den ersten drei Kapiteln stellen sich mir folgende Fragen:
- Hat Aida den Kontakt zu ihren Eltern ganz abgebrochen? Falls ja, warum?
- Warum ist Nosche gestorben?
Interessant finde ich die Stelle auf S. 43 unten, wo sich Aida folgende Gedanken macht: “ Wieso scheiterte ich immer wieder, meinen Eltern ganz zu verzeihen? Mir war einiges klar, aber warum sie in die Schweiz flüchteten, obwohl sie kein Interesse an diesem Land hatten, verstand ich nicht.” Ich finde, Aidas Vater verhält sich ziemlich unflexibel (S. 58/59). So hört er mit dem Deutschkurs auf mit der Begründung, die Kursleiterin behandle die Teilnehmer wie Kinder. Alternativen sucht er aber nicht. Man ahnt schon, dass sich das Ganze negativ entwickeln wird.