Da in der Mai-Challenge das Thema B¨ücher aus der Kindheit sind und mein gelesenes Buch von 1991 bereits vergriffen ist, die Nachfrage aber da war und es viele schade fanden, könnt ihr nun hier die Geschichte der Töpfchenhexe nachlesen, kopieren, ausdrucken und euern Kindern vorlesen, wenn ihr wollt 🙂

Die Töpfchenhexe“ (Vera Ruoff - Franz Josef Tripp) – Buch gebraucht kaufen – A02gcl8S01ZZk

Wenn man durch den tiefen Tannenwald geht und eigentlich nichts sucht, dann findet man plötzlich etwas: die Hütte der kleinen Töpfchenhexe. Da wohnt sie mit ihrem Kater Schluribumbi schon seit vielen Jahren. Die kleine Töpfchenhexe ist immer recht vergnügt und hat auch keine Sorgen. Aber eines Tages schien sie doch welche zu haben, denn sie sass sehr bekümmert auf ihrem einzigen Stuhl und dachte nach. Dabei murmelte sie andauernd vor sich hin: “Wenn ich bloss wüsste, welcher Tag heute ist!” Schluribumbi lag auf dem Schrank und schaute auf sie hinab. Er wusste es auch nicht. Wie gut war es daher, dass auf einmal der Zauberer Suseldrus erschien. Er war der Freund der kleinen Töpfchenhexe und er half ihr oft mit seiner Zauberkunst, an die Dinge heranzukommn, die sie sich durch ihre Hexenkunst allein nicht beschaffen konnte. Zum Beispiel die vielen kleinen Töpfchen, die sie mit grosser Leidenschaft sammelte. Alle ihre Töpfchen standen auf einem Regal und in jedem war etwas. Die meisten enthielten Teeblätter, aus denen die kleine Töpfchenhexe die verschiedensten Arten von Tee bereiten konnte. Besonders gut konnte sie Hustentee und Schnupfentee kochen. Aber am nützlichsten war ihr Rezept für einen Zaubertee. Mit diesem hatte es folgendes auf sich: Die Töpfchenhexe war eigentlich recht fleissig und ordentlich. Doch wenn sie einmal nicht so sehr fleissig und ordentlich sein wollte, dann kochte sie ihren Zaubertee. Damit bespritzte sie nun alle Dinge, die sie gern verschwinden lassen wollte. Hatte sie zum Beispiel keine Lust zum Auffegen, so bespritzte sie einfach den schmutzigen Fussboden mit diesem Zaubertee - und schon war der Schmutz verschwunden. Auch Papier, das herumlag und das sie wegräumen sollte, bespritzte sie mit dem Tee und im Nu verschwand die ganze Unordnung. Ja, dieser Zaubertee war eine feine Sache und die Töpfchenhexe war stolz auf ihre Kunst und ihre Töpfchen. Sie achtete sehr darauf, dass die Töpfchen immer sauber waren. Innen konnten sie nicht schmutzig werden, denn es war ja ein Deckel darauf aber aussen mussten sie jede Woche einmal abgestaubt werden. Diese Arbeit verrichtete die Töpfchenhexe regelmässig und zwar jeden Montag. Deshalb war sie so verzweifelt, als sie plötzlich nicht wusste, welcher Tag heute war. Denn es konnte ja sein, dass Montag war und dass sie mit dem Töpfchenputzen schon längst hätte anfangen sollen. Statt dessen sass sie da und überlegte, ob Montag sei oder nicht.

Als nun die Töpfchenhexe gerade am verzweifeltsten war, weil sie wirklich nicht wusste, ob Dienstag, Donnerstag oder Montag war, da erschien der Zauberer Suseldrus. Und er wusste es. “Montag ist”, sagte er und machte damit allen Zweifeln ein Ende. “Habe ich es doch geahnt!” stöhnte die Töpfchenhexe und wurde dann sehr ärgerlich auf sich selbst. Denn sie hatte auf die Uht geschaut und die zeigte an, dass der halbe Montag schon vergangen war. Zornig runzelte die Töpfchenhexe ihre Stirn. Den halben Montag hatte sie mit Nachdenken vertrödelt und noch kein einziges Töpfchen abgestaubt! Nun hatte sie es aber eilig. “Warum bist du so böse?” fragte Suseldrus. “Ach”, sagte die Töpfchenhexe, “ ich bin eigentlich nicht böse. Ich ärgere mich nur über mich selbst, weil ich nie weiss, welcher Tag ist und ich muss es doch wissen, weil ich montags immer meine Töpfchen abstaube.” “Und was ist”, fragte Suseldrus, “wenn du sie einmal nicht montags putzt, sondern dienstags?” “Nichts ist dann”, antwortete die kleine Töpfchenhexe, “aber ich halte nun mal auf Ordnung.” Während sie das sagte, öffnete sie die Tür zu ihrer Rumpelkammer und holte die Leiter heraus. Sie stellte die Leiter an das Regal, auf dem die Töpfchen standen. Dann kletterte die Töpfchenhexe auf die Leiter - sie musste einen grossen Schritt von der zweiten Sprosse gleich bis zur vierten Sprosse machen, denn die dritte fehlte schon seit vielen Jahren. Die Töpfchenhexe reichte nun ein Töpfchen nach dem anderen dem Zauberer Suseldrus hinunter, der sie alle, eines nach dem anderen, auf den Tisch stellte. Suseldrus half ihr für gewöhnlich gerne aber heute war er nur gekommen, weil er wieder einmal Husten hatte. Deshalb wollte er die kleine Töpfchenhexe bitten, ihm einen Hustentee zu kochen. Und nun musste er ihr helfen, die Töpfchen auf den Tisch zu stellen und das gefiel ihm gar nicht. Suseldrus hustete extra stark, damit die Töpfchenhexe auch merkte, wie schlecht es ihm ging.

“Hast du Husten?” fragte die Töpfchenhexe. “Sicher warst du heute Nacht wieder ohne Schal unterwegs, stimmt’s?” “Öh, öh, öh”, hustete der Zauberer nur. Das war seine Antwort. “Ja, ja”, begütigte die Töpfchenhexe, " ich höre es schon, dein Husten ist schlimm. Ich werde dir nachher auch deinen Hustentee kochen. Aber jetzt werden erst einmal meine Töpfchen geputzt. Sie stieg von der Leiter herunter und griff nach zwei Wolllappen. Einen behielt sie, den anderen drückte sie dem Zauberer in die Hand. “Nun los, putz schon”, sagte sie, “fang schon an! Guck, so musst du es machen.” Sie nahm in eine Hand ein Töpfchen und mit der anderen poliere sie es mit dem Wolllappen. Unmutig ging der Zauberer an die Arbeit. Links standen die geputzten Töpfchen, rechts die ungeputzten.

Oben auf dem Schrank lag der Kater Schluribumbi und schaute abwechselnd auf die emsig arbeitende Töpfchenhexe und auf den weniger emsig putzenden Suseldrus. Dann blinzelte Schluribumbi zum Herd hinüber. Dort stand das Abendbrot der kleine Töpfchenhexe: eine Schüssel mit Erbsensuppe, die mit einem Teller zugedeckt war. Und auf diesem Teller lagen Würstchen, zwei Paar. Auf die musste Schluribumbi jetzt andauernd schauen. Sie sahen zu appetitlich aus. Schliesslich hatte Schluribumbi genug geschaut. Er vergewisserte sich rasch, dass die Töpfchenhexe nicht hersah, dann sprang er auf den Herd, schnappte die Würstchen und verschwand mit ihnen unter dem Bett der kleinen Töpfchenhexe. Dort frass er die Würstchen auf. Sie schmeckten köstlich! Als Schluribumbi die Würstchen im Bauch hatte, hopste er zurück auf den Schrank. Oben angekommen, rollte er sich zusammen und schief ein. Dem Zauberer Suseldrus war dieser Diebstahl nicht entgangen. Er hatte alles beobachtet und er hätte die Töpfchenhexe darauf aufmerksam machen können. Aber er tat es nicht, weil er sich darüber ärgerte, dass die Töpfchenhexe das Töpfchenputzen wichtiger nahm als seinen Husten. “Öh, öh, öh”, hustete Suseldrus jetzt wieder. Aber die Töpfchenhexe merkte von alldem nichts. Sie dachte nach. Und zwar dachte sie an etwas ganz Bestimmtes. Sie hatte nämlich wieder einmal ein Töpfchen gesehen, das sie gar zu gern haben wollte. Es stand auf einem Fensterbrett des Hauses, das dem Lehrer Lummelbuck gehörte. Der Lehrer Lummelbuck hatte einen kleinen Sohn, der Fridolin hiess und dieser hatte sich das kleine Töpfchen mit Goldpapier beklebt. Darin bewahrte er nun seine bunten Kieselsteine auf. Das Töpfchen sah so hübsch aus. Die Töpfchenhexe wollte es gar zu gerne haben. Nun überlegte sie ununterbrochen, wie sie in den Besitz des ersehnten Töpfchens kommen könnte. Die Fenster und auch die Tür des Hauses waren immer geschlossen. Wie konnte sie trotzdem in das Haus gelangen? Diese Frage beschäftigte die Töpfchenhexe unentwegt. Plötzlich hatte sie eine Idee. Der Zauberer sollte ihr das Schlüsselloch der Haustür so gross zaubern, dass sie hindurchschlüpfen konnte, um so in die Wohnung des Lehrers Lummelbuch zu gelangen. Dann wollte sie sich das Töpfchen heimlich holen. Und das hatte nachts zu geschehen. Nachts, wenn alle schliefen. Am liebsten heute Nacht.

Aber die Töpfchenhexe wusste nur zu genau, dass der Zauberer Suseldrus heute Nacht lieber schlafen wollte, weil er doch von seinem Husten so sehr geschwächt war. wie also brachte sie ihn dazu, dass er ihr diesen Wunsch heute Nacht erfüllte? Denn heute Nacht musste es sein. Die Töpfchenhexe hatte sich dieses Töpfchen schon so lange gewünscht, nun hatte sie einfach keine Lust mehr, noch länger zu warten. Und weil der Wunsch so stark in ihr war, hatte sie gleich noch eine gute Idee. Sie dachte: “Ich koche jetzt dem Suseldrus seinen Tee. Dann vergeht sein Husten. Darüber wird er sehr froh sein und mir sehr dankbar. Deshalb wird er mir sicher gern diesen kleinen Wunsch erfüllen.” Kaum hatte sie das fertig überlegt, als sie auch schon aufstand und den Wolllappen beiseite legte. “Nein, putze du nur ruhig weiter, ich will dir nur schnell deinen Tee kochen. Ich kann es nicht mehr mit anhören, wie sehr dich dein Husten plagt”, antwortete die Töpfchenhexe. Suseldrus war gerührt. Wie lieb wawr doch seine kleine Töpfchenhexe und wie besorgt sie um ihn war! Vor lauter Dankbarkeit staubte er noch schneller und noch gründlicher die Töpfchen ab. Immer wieder schaute er zu der kleinen Töpfchenhexe hin, denn es interessierte ihn schon lange, wie sie eigentlich ihre verschiedenen Tees zubereitete. Zuerst schleppte sie einen grossen Kessel herbei. Den stellte sie auf den Herd, in dem schon ein schönes Feuerchen brannte. Dann holte sie den Wasserkrug an den Herd heran und begann, Wasser in den Teekessel zu geben - fünfzehnt Teelöffel voll. Sie passte gut auf, dass sie sich nicht verzählte, denn die Wassermenge musste genau stimmen. Sonst wirkte der Tee nicht. Während sie warten musste, bis das Wasser kochte, wollte sie die grüngelbe Teeblätter in die blaue Tasse geben. Aber wo war die blaue Tasse? “Wo ist die blaue Tasse?” jammerte die Töpfchenhexe. “Sie kann doch nicht verschwunden sein! Ich brauche sie unbedingt.” “Nimm doch die gelbe”, riet ihr Suseldrus. “Geht nicht”, belehrte ihn die Töpfchenhexe, “sonst gibt’s Bauchwehtee und du willst ja schliesslich Hustentee haben, nicht wahr?” Das wollte der Zauberer freilich. Er legte den Wolllappen beiseite und sah sich ebenfalls suchend um. Es wurde nun auch höchste Zeit, denn das Teewasser begann zu kochen und wenn es einmal kochte, dann fing es an zu dampfen. Und je mehr es dampfte, um so weniger wurde das Wasser im Kessel. Aber die Menge musste doch genau stimmen! Blieben nämlich weniger als fünfzehn Teelöffel Wasser übrig, so wurde es Tee, der das schlechte Gewissen für fünf Stunden verschwinden liess. Aber Suseldrus brauchte keinen Tee, der das schlechte Gewissen vertrieb. Er brauchte Hustentee. Wo war bloss die blaue Tasse? Verzweifelt riss die kleine Töpfchenhexe alle Schränke auf und durchwühlte alle Schubfächer. Aber die blaue Tasse war nicht zu finden. Doch plötzlich jubelte Suseldrus: “Da steht sie ja!” Und er zeigte auf das Fensterbrett. Wirklich, dort stand die blaue Tasse und ein Sträusschen Petersilie steckte darin. “Na endlich”, sagte die Töpfchenhexe. Sie warf das Bündel Petersilie in eine Ecke, begoss mit dem Wasser aus der blauen Tasse ihre kleine Zimmertanne und wischte mit dem Rockzipfel die Tasse sauber. Nun legte sie die Teeblätter hinein und goss das kochende brodelnde Wasser darüber. Dann noch ein Stückchen Zucker hinein, das in ein Pfefferminzblatt gewickelt war - und der Tee war fertig.

Die Töpfchenhexe reichte Suseldrus den Trank. “Der ist doch viel zu heiss!” meinte er Zauberer und schaute die Töpfchenhexe zweifelnd an. “Den kann ich nicht trinken.” “Aber davon geht dein Husten weg”, antwortete die Töpfchenhexe ruhig. “Mach kleine Schlückchen, dann schaffst du’s schon.” Suseldrus versuchte es. Er spitzte die Lippen und nippte an dem Tee. “Au, ist der heiss!” jammerte er. “Je schneller und heisser du ihn trinkst, um so schneller verschwindet ein Husten”, sagte die Töpfchenhexe und schaute den Zauberer an. Und Suseldrus versuchte tapfer, den Tee zu trinken, so kochend heiss dieser war. Schliesslich hatte er es geschafft und die Tasse war leer “Na siehst du”, lobte die Töpfchenhexe, “wenn man will, geht alles.” “Ja, ja”, nickte Suseldrus, “ und mein Halsweh ist auch weg. Dafür tun mir jetzt die Lippen weh.” “Das vergeht schon wieder”, sagte die Töpfchenhexe. “Setzt dich ein Weilchen an die frische Luft, das wird dir guttun.” Und wirklich, als Suseldrus eine kurze Zeit lang die frische Waldluft eingeatmet hatte, brannten ihn die Lippen nicht mehr. Nun ging’s dem Zauberer wieder gut. “Bin ich froh!” sagte Suseldrus erleichtert und er seufzte behaglich. Die Töpfchenhexe seufzte auch und zwar so schwer, als hätte sie nun Schmerzen. “Fehlt dir was?” fragte Suseldrus besorgt. “Ach, eigentlich nichts”, antwortete die Töpfchenhexe. “Aber wenn ich mir etwas wünschen könnte, was mir doch fehlt…” “Was würdest du dir dann wünschen?” forschte Suseldrus. “Ein neues Töpfchen! Ich habe es beim Lehrer Lummelbuck im Fenster gesehen. Ich hätt’ es gar zu gerne!” sprudelte die Töpfchenhexe heraus. “Ich finde, du hast genug Töpfchen”, meinte Suseldrus, “es sind doch mindestens schon hundert.” “Hundert!” Die Töpfchenhexe schnaufte verächtlich. “Hast du eine Ahnung! Neunundneunzig sind es nur!”

“Hmmm”, machte Suseldrus, denn er sah ein, dass zwischen neunundneunzig und hundert ein Unterschied war. Da fehlte genau ein Töpfchen, nämlich das, welches die Töpfchenhexe beim Lehrer Lummelbuck im Fenster gesehen hatte. “Und wie willst du an das Töpfchen herankommen?” fragte der Zauberer. “Ganz einfach. Du brauchst mir nur das Schlüsselloch der Haustür so gross zu zaubern, dass ich durchschlüpfen kann.” “Und wann soll das sein?” frage Suseldrus. “Heute Nacht?” Die Tröpfchenhexe schaute den Zauberer bittend an. “Heute schon? Ich bin müde. Ich wollte heute Abend eigentlich besonders früh schlafen gehen”, sagte Suseldrus und gähnte.

“Ich bitte dich recht herzlich drum”, schmeichelte die Töpfchenhexe. “Also gut!” brummte Suseldrus. “Ich dank’ dir schön, Suseldrus.” Die Töpfchenhexe war selig. “Dann muss ich jetzt aber mit dem Töpfchenputzen aufhören und auf Vorrat schlafen”, beschloss Suseldrus, legte den Wolllappen weg und griff nach seinem Zauberhut. “Ja, geh nur, lieber Suseldrus, den Rest schaff’ ich schon allein. Leg dich schön schlafen und komm dann um Mitternacht wieder hierher!” “Ja, ja”, brummelte Suseldrus, verliess die Hütte der kleinen Töpfchenhexe und ging zu dem Turm, in dem er wohnte. Als die Töpfchenhexe wieder allein war, setzte sie sich an den Tisch und staubte die letzten Töpfchen ab. Als dann alle Töpfchen blank geputzt waren, stellte sie die Töpfchenhexe wieder auf das Regal und sie freute sich an ihren hübschen neunundneunzig Töpfchen. “Und nachher sind’s hundert!” sagte sie zu sich. “Und nun habe ich Hunger. Jetzt esse ich meine Erbsensuppe und die Würstchen und dann lege ich mich schlafen. Denn um Mitternacht muss ich ja wieder munter sein. Da kommt Suseldrus und wir holen zusammen mein hundertstes Töpfchen!” Vergnügt fing die kleine Töpfchenhexe an zu pfeifen und dann sang sie: “Tri-tri-tra-tra - was bin ich froh, miau - miau-miausemoh.” Aber anstatt “moh” zu singen, sagte sie nur verblüfft “oh!”, denn sie hatte den Diebstahl der Würstchen entdeckt. Der Zauberer Suseldrus hatte sie bestimmt nicht genommen. Das war klar. Aber wie stand es mit dem Kater Schluribumbi?

Die Töpfchenhexe sah ihn an. “Schluribumbi! Hast du meine Würstchen gefressen?” Der Kater lag mäuschenstill auf dem Schrank. Kein Härchen seines Fells bewegte sich. Seine Augen waren geschlossen. “Schluribumbi, hast du meine Würstchen gefressen?” Der Kater rührte sich noch immer nicht. Da stürzten der Töpfchenhexe vor Zorn und Enttäuschung die Tränen aus den Augen. Sie hatte doch solchen Appetit auf die Würstchen gehabt! Nun, als er die Töpfchenhexe weinen sah, rührte sich in Schluribumbi ein bisschen das schlechte Gewissen. Er öffnete ein wenig die Augen und tat so, als ob er gerade aufwachen würde. “Du hast meine Würstchen gefressen, nicht wahr?” “Jaha, das habe ich”, sagte der Kater. “Du hast vergessen, sie zuzudecken, das war unordentlich von dir!” Da geriet die Töpfchenhexe in Wut. Erst frass ihr der Kater die Würstchen weg und dann wurde er auch noch frech. “Wenn ich unordentlich bin, ist das für dich noch lange kein Grund, meine Würstchen aufzufressen. Dafür bekommst du jetzt Prügel . Jawohl - mit dem Kochlöffel. Mit dem Kochlöffel haue ich dich jetzt durch!” Die Töpfchenhexe bebte vor Zorn. Sie zerrte wütend an dem Griff der Schublade, in der der Kochlöffel lag. Aber das Schubfach klemmte. Sie rüttelte, so fest sie konnte, doch das Schubfach ging nicht auf. Dafür wackelte der Schrank, dass darin die schönen bunten Gläser, auf die die Töpfchenhexe so stolz war, zu tanzen anfingen. Sie fielen um und zerbrachen. Erst starrte die Töpfchenhexe entsetzt auf die Scherben. Dann wurde sie abwechselnd blass und rot. Und schliesslich ballte sie die Fäuste! Keine Würstchen mehr - keine Gläser! Irgend etwas musste sie jetzt tun, um ihren Zorn loszuwerden. Also nahm sie en einzigen Stuhl, den sie besass und schmetterte ihn mit solcher Wucht zu Boden, dass ein Bein in zwei Stücke zerbracht. Da kam die Töpfchenhexe wieder zur Besinnung. So ging es nicht weiter. “Davon kriege ich meine Würstchen auch nicht wieder”, schluchzte sie und schaute auf den zerbrochenen Stuhl, die zersprungenen Gläser und auf den leeren Würstchenteller. Aller Zorn war verflogen. Hilflos zuckte die Töpfchenhexe mit den Schultern. “Komm, ich helfe dir den Stuhl wieder ganz zu machen”, sagte Schluribumbi in die Stille hinein. “Wie soll das gehen?” fragte die Töpfchenhexe. “Nimm das rote Band aus dem Schubfach”, sagte Schluribumbi. Der Kater war vom Schrank heruntergesprungen und hockte nun vor der Töpfchenhexe auf dem Boden. Die Töpfchenhexe griff nach dem roten Band in der Schublade, die auf einmal gar nicht mehr klemmte. “Nun halte due den Stuhl fest”, befahl Schluribumbi, “und ich drücke das abgebrochene Ende des Stuhlbeins an das andere Stück, das noch an dem Stuhl dran ist. Und dann wickelst du das rote Band herum.” So machten sie es. Der Kater drückte die beiden Stuhlbeinenden aneinander und die Töpfchenhexe umwickelte die Bruchstelle mit dem roten Schleifenband. Zum Schluss machte sie einen festen Doppelknoten und zu Allerletzt band sie eine hübsche Schleife. “So, das wird halten”, meinte der Kater und setzte sich unter en Tisch Er schaute der Töpfchenhexe zu, die sich nun Erbsensuppe ohne Würstchen auf einen Teller schöpfte. Dann griff sie nach dem braunen Katzenteller, von dem Schluribumbi immer frass. “Möchtest du auch noch etwas?” frage sie ihn. “Oh, danke nein”, sagte der Kater, “ich bin ganz satt.” “Das kann ich mir denken - mit meinen Würstchen im Bauch kann man wohl satt sein.”

As sie das gesagt hatte, steckte sie den ersten Löffel Erbsensuppe ohne Würstchen in den Mund und sie spürte dabei, wie der Zorn wieder in ihr hochstieg. Denn ohne Würstchen schmeckte die Suppe sozusagen nach nichts. “Ich gehe noch ein bisschen hinaus”, meinte der Kater.. Er hielt es für besser, sich jetzt nicht länger in allzu grosser Nähe der Töpfchenhexe aufzuhalten. “Ja, geh nur”, sagte die Töpfchenhexe und schüttete eine ganze Menge Salz in die Erbsensuppe, damit sie doch wenigstens nach etwas schmeckte. “Geh nur”, sagte sie noch einmal, “und hoffentlich frisst dich der Fuchs.” Sie schüttete eine weitere Ladung Salz in die Suppte. “Füchse fressen keine Katzen”, sagte Schluribumbi. Er hatte sich auf der Türschwelle niedergelassen. Da flog ihm etwas an den Kopf. Es war das Salzfass, dessen gesamter Inhalt nun in der Erbsensuppe war. Das viele Salz hatte die Suppe endlich ganz ungeniessbar gemacht. Doch ehe der Löffel und der Teller mit der Erbsensuppe angeflogen kamen, war der Kater mit einem eleganten Satz im Dickicht des Tannenwaldes verschwunden. Er hörte noch, wie ihm die Töpfchenhexe nachrief: “Und morgen gibt’s Kartoffelsuppe mit vier Paar Würstchen und die esse ich alle allein auf.” Als die Töpfchenhexe das gerufen hatte, knallte sie - peng! - die Tür ihrer kleinen Hütte zu. Der Kater war nun im Wald und die Töpfchenhexe war allein in ihrer Hütte. “Na, dann gehe ich eben hungrig ins Bett”, murmelte die Töpfchenhexe und wollte sich schlafen legen. Doch da fiel ihr ein, dass sie noch ihren Wecker stellen musste. Sie nahm den Wecker also zur Hand. Dieser Wecker war nämlich ein ganz besonderer.

Irgendwann einmal hatte ihn die Töpfchenhexe im Wald gefunden. Leute hatten ihn weggeworfen, die glaubten, dass er zu nichts mehr zu gebrauchen sei. Die Töpfchenhexe hatte sich den Wecker angesehen und überlegt, was man wohl mit ihm machen könnte. Denn das Uhrwerk ging noch aber das Glöckchen, das klingelte nicht mehr. Wenn es Zeit zum Wecken war, dann wackelte der Wecker nur hin und her, ohne zu klingeln. Da hatte sich die Töpfchenhexe zu helfen gewusst. Sie stellte eines ihrer Blechtöpfchen auf den Wecker und in das Töpfchen legte sie einen kleinen Stein. Wenn nun der Wecker zu der Zeit, zu der er zu klingeln hatte, anfing hin und her zu wackeln, dann wackelte auch das Blechtöpfchen. Und in dem Blechtöpfchen sprang der kleine Stein hin und her. Das machte ein feines Geräusch, da sich wie ein Klingeln anhörte und von diesem Steinchenklingeln wurde die Töpfchenhexe dann immer wach. So zog sie auch diesmal ihren Spezialwecker auf, stellte die Klingelzeit auf halb zwölf ein und vertraute darauf, dass sie der Wecker zur rechten Zeit an das Aufstehen erinnern würde. Dann versuchte sie einzuschlafen. Aber sie konnte nicht.

Woran mochte das liegen? Was war es, das sie am Einschlafen hinderte? War es die Vorfreude auf ihr hundertstes Töpfchen oder waren es die kalten Füsse, die ihr Schluribumbi sonst immer wärmte? Überhaupt - wo war Schluribumbi? Oder war es der Hunger, der sie nicht einschlafen liess? Aber als der Wecker um halb zwölf Uh klingelte und die Töpfchenhexe davon wach wurde, musste sie wohl doch geschlafen haben. Der Wecker klingelte also und die Töpfchenhexe war gleich putzmunter obwohl es schliesslich mitten in der Nacht war. Denn nun ging es los. Die Töpfchenhexe zog sich an und band sich ir rotes Kopftuch um. “Ich werde etwas Zaubertee mitnehmen”, dachte sie, “vielleicht kann ich ihn brauchen.” Sie schloss ihre Hütte ab und ging dem Zauberer Suseldrus entgegen. Schon von weitem sah sie seinen blauen Schal leuchten und sie freute sich dass Suseldrus so pünktlich war. Aber er schien schlechte Laune zu haben. Er guckte so brummig. Wahrscheinlich deshalb, weil er lieber weitergeschlafen hätte, anstatt mitten in der Nacht aufzustehen. Suseldrus hielt ein kleines Päckchen in der Hand. Was mochte darin sein? "Was ist das? fragte die Töpfchenhexe und zeigte auf das Päckchen. Suseldrus antwortete nicht. Statt dessen setzte er sich auf einen Baumstamm und wickelte das Päckchen auf. Schmalzbrote kamen zum Vorschein. Herrliche Schmalzbrote. “Lass mich auch einmal abbeissen!” bettelte die kleine Töpfchenhexe, der beim Anblick der leckeren Brote ihr Hunger wieder einfiel. Gemeinsam assen Suseldrus und die Töpfchenhexe die Schmalzbrote auf. Dann gingen sie zum Dorf, in dem das Haus des Lehrers Lummelbuck war, aus dem sie das hundertste Töpfchen holten wollten. Es war sehr dunkel und die Töpfchenhexe fürchtete sich. Besonders deshalb, weil alles so still war. Darum bat sie den Zauberer: “Erzähle mir etwas!” “Was soll ich dir erzählen, ich weiss auch nichts Neues.” Suseldrus hatte keine Lust zum Sprechen. Wahrscheinlich schlief er noch beim Laufen. Aber die Töpfchenhexe wollte ein Gespräch haben. Deshalb fing sie noch einmal an:

“Du warst doch gestern Nacht im Wald. Was wolltest du da eigentlich?” “Ich habe den Räuber Blasius von meinem Turmfenster aus gesehen und ihn dann verfolgt.” “Wen hast du gesehen?” Entsetzt blieb die Töpfchenhexe stehen. “Den Räuber Blasius. Bis zum Brombeergestrüpp habe ich ihn verfolgt. Da ist er stehengeblieben. Dann hat er sich umgesehen, ob ihn auch niemand beobachtet - mich hat er nicht gesehen - und dann hat er sein Gewehr ausgegraben.” Als Suseldrus das sagte, knackte ein Zweig, ein Stein rollte die Böschung herunter und hinter den Büschen bewegte sich etwas. Starr vor Schreck blieben Suseldrus und die Töpfchenhexe stehen. Sie blickten angestrengt in die Richtung, in der sich etwas bewegt hatte und dann sahen sie zwei schmale grüne Augen. Nun kam ein länglicher Kopf zum Vorschein, dann folgte ein rotbrauner Körper und zum Schluss ein langer buschiger Schwanz. Es war Rötel, der Fuchs, der ein gestohlenes Huhn in der Schnauze trug. Er überquerte den Weg, ohne die Töpfchenhexe und Suseldrus zu bemerken und verschwand dann wieder im Wald. Die Töpfchenhexe musste sich erst einmal setzen, weil ihr vor Schreck die Knie weich geworden waren. Es hätte ja auch Blasius der Räuber sein können! “Du Suseldrus, wenn der Blasius hier im Wald ist, dann ist vielleicht der Räuber Balduin auch nicht weit?” “Ja” murmelte Suseldrus, “darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber ich kann mir gar nicht denken, was die beiden in unserem Wald wollen - ausser sich verstecken. Schliesslich kommen die Räuber doch nur zu denen, die Geld haben und wir beide haben keins. Also zu uns kommen sie gewiss nicht.” Die Töpfchenhexe nickte. Suseldrus htte schon recht. Aber ganz geheur war ihr der Gedanke nicht, dass die Räuber Blasius und Balduin hier im Wald sein sollten. Eine Weilfe liefen Suseldrus und die Töpfchenhexe schweigend nebeneinander her. Bei dem Haus von Oma Beegenbiel machten sie eine kleine Verschnaufpause. Obwohl die Töpfchenhexe Angst vor den Menschen hatte, kannte sie Oma Beegenbiel gut Die beiden trafen einander manchmal beim Kräutersammeln. Nun standen sie also vor Oma Beegenbiels kleinem Haus. “Alle Fenster hat sie offengelassen”, sagte die Töpfchenhexe vorwurfsvoll und schüttelte den Kopf über diesen Leichtsinn. “Und die Tür hat sie auch nicht verschlossen”, fügte Suseldrus hinzu, der vorsichtig die Klinke heruntergedrückt hatte. Die Tür ging auf und Suseldrus hätte hineingehen können. “Wie unvorsichtig von ihr”, wunderte sich die Töpfchenhexe, “gerade jetzt, wo sie so viel Geld im haus hat. Wenn nun die Räuber Blasius und Balduin kommen… Du, Suseldrus…” Die Töpfchenhexe hielt erschrocken inne. “Wenn nun die Räuber wegen Oma Beegenbiel hier im Wald sind, weil sie ihr das viele Geld wegnehmen wollen?” “Das glaube ich nicht”, sagte Suseldrus. "Und überhaupt, woher sollte Oma Beegenbiel auch soviel Geld haben? So viel Geld wie Oma Beegenbiel haben die Räuber noch allemal.

“Oma Beegenbiel ist reich. Sie hat ganz lange gespart. Alles Geld, das sie sich mit Kräutersammeln verdient hat, das hat sie aufgehoben und nichts davon ausgegeben. Damit will sie sich jetzt eine Fahrkarte nach Amerika kaufen, dort wohnt nämlich ihr August, das ist Oma Beegenbiels Sohn und den hat sie seit vielen Jahren nicht gesehen, weil die Fahrkarte nach Amerika so teuer ist. Nun hat sie das Geld beisammen und nächste Woche will sie losfahren. Sie freut sich schon so sehr darauf, dass sie nun bald ihren August wiedersieht.” “So, so”, nickte Suseldrus, “woher weisst du das alles?” “Oma Beegenbiel hat es mir gestern beim Kräutersammeln erzählt.” “Also dann sollte Oma Beegenbiel nachts ihre Fenster und die Tür nicht so weit offenlassen. Das kannst du ihr schon mal sagen, wenn du sie wiedersiehst. Aber nun komm, da vorn ist Lehrer Lummelbucks Haus und dorthin wollen wir ja.” Er wies auf ein hübsches Haus, das ganz von Jasmin umwachsen war. Leise schichen sie an das Haus heran. Alles war still. Nun standen sie vor dem Schlüsselloch und der Zauberer holte seinen Zauberstab hervor.

“Musst du jetzt ‘popuskokus’ sagen?” Erwartungsvoll schaute die Töpfchenhexe den Zauberer an. Suseldrus schüttelte den Kopf. Er wollte jetzt nicht gestört werden. Denn nun musste er zaubern. Es dauerte nicht lange, da hatte Suseldrus das Schlüsselloch so gross gezaubert, dass die Töpfchenhexe hindurchschlüpfen konnte. Nun stand sie im Haus des Lehrers Lummelbuck. Ehe sie sich nach dem Zimmer des kleinen Fridolin umsah, flüsterte sie noch dem Zauberer durch das Schlüsselloch zu: “Du wartest doch auf mich und gehst nicht ohne mich zurück?” “Natürlich warte ich”, antwortete Suseldrus beruhigend. So guckte sich die Töpfchenhexe nach dem Zier des kleinen Fridolin um. Endlich fand sie es. Leise öffnete sie die Tür. Und dann blieb die Töpfchenhexe erschrockn und verwundert auf der Schwelle stehen. In dem Zimmer war es nicht dunkel - es war hell erleuchtet und Fridolin sass weinend im Bett. Der kleine Junge war über und über it Tinte beschmiert. Er hielt eine zerbrochene Füllfeder in der Hand. “Kaputt ist die und alles verschmiert”, schluchzte Fridolin vor sich hin. “Wie ist das geschehen?” frage die Töpfchenhexe. “Ich wollte Vaters Füllfeder so gerne einmal ausprobieren. Er hat’s aber immer verboten. Da habe ich nun heute Abend so lange gewartet, bis alle eingeschlafen sind. Und dann wollte ich mit der Füllfeder schreiben. Aber es ging nicht. Dann habe ich an der Füllfeder gedreht. Und da ist es auch nicht gegangen, das Schreiben. Dann habe ich noch mal gedreht und plötzlich ist das alles passiert.” Fridolin zeigte auf die vielen, vielen Tintenflecken und er weinte wieder. Da holte die Töpfchenhexe ihr Fläschchen mit dem Zaubertee hervor. Damit bespritzte sie alle Flecken. Im Nu waren sie verschwunden. Fridolin staunte. “So”, sagte die Töpfchenhexe, “die Flecken sind verschwunden, aber die Füllfeder kann ich dir nicht wieder ganz machen.” Fridolin nickte. Das sah er ein.

Aber nun fing er an, sich zu wundern, was für ein komisches kleines Wesen sich da in seinem Zimmer befand. “Wer ist du?” fragte Fridolin. “Ich bin die Töpfchenhexe”, antwortete die kleine Töpfchenhexe. “Und was machst du hier in meinem Zimmer?” fragte Fridolin. “Oh-” machte die Töpfchenhexe nur. Diese Frage war ihr gar nicht angenehm. Doch dann nahm sie all ihren Mut zusammen und gestand: “Ich bin hier, weil ich dich bestehlen wollte.” “Du wolltest mich bestehlen?” fragte Fridolin verwundert. “Was denn - ich habe doch nichts, was sich zum Stehlen lohnt.”

Die Töpfchenhexe seufzte und dann zeigte sie auf das Töpfchen, das mit Goldpapier umwickelt war und in dem Fridolin seine bunten Kieselsteine aufbewahrte. “Das Töpfchen da, das wollte ich haben”, bekannte die Töpfchenhexe. “Das brauchst du mir doch nicht zu stehlen, das kann ich dir schenken.” Fridolin sprang aus dem Bett, nahm das Töpfchen und schüttete die Kieselsteine auf ein Blatt Zeitungspapier. Dann überreichte er der kleinen Töpfchenhexe das Töpfchen. “Danke!” sagte sie. “Danke, danke, danke.” “Warum freust du dich drüber so?” fragte Fridolin. Er konnte nicht begreifen, warum die Töpfchenhexe so glücklich über dieses kleine Töpfchen war. Da sprudelte es aus der Töpfchenhexe heraus: “Ich sammle solche Töpfchen und dies ist nun mein hundertstes. Darum heisste ich doch ‘Töpfchenhexe’. Ich wohne im Wald in einer kleinen Hütte. Zu den Menschen gehe ich nie, weil ich Angst vor ihnen habe. Und vielleicht haben die Menschen auch Angst vor mir, weil ich eine kleine Hexe bin. Aber ich bin gar keine richtige Hexe. Ich weiss auch nicht, was ich eigentlich bin. Tee kochen kann ich gut und besonders gut kann ich Hustentee kochen und…” Die Töpfchenhexe stockte mitten im Aufzähle all der Dinge, die sie besass und die sie konnte. Sie durfte doch diesem Menschenjungen nicht alles Verraten! Vielleicht war er böse und ging nun in den Wald, um nach ihrer Hütte zu suchen und sie dann zu zerstören. Aber die Töpfchenhexe wollte das nicht glauben. Sie wollte nur an das Gute glauben. Und deshalb verriet sie Fridolin auch noch ihr letztes Geheimnis: “Und einen Kater habe ich auch noch. Er heisst Schluribumbi. Und den habe ich sehr lieb.” Mit beiden Händen hielt die Töpfchenhexe ihr hundertstes Töpfchen fest und schaute Fridolin an. Was würde Fridolin jetzt machen? “Was wäre, wenn jetzt auf einmal mein Vater käme?” sagte Fridolin nach einer Weile. “Ich hätte grosse Angst vor ihm.” Die Augen der kleinen Töpfchenhexe blickten ängstlich. “Dann geh schnell”, sagte Fridolin, “bevor jemand wach wird, weil wir reden und das Licht brennen haben.” “Ja, ich gehe”, sagte die Töpfchenhexe, “ich danke dir.” “Ich danke dir auch”, rief Fridolin ihr leise nach.

Die Tür hatte sich hinter der kleinen Töpfchenhexe geschlossen. Fridolin war wieder allein. Er legte die zerbrochene Füllfeder neben sich und versuchte einzuschlafen. Am Morgen musste er dem Vater sagen, was er angestellt hatte. Aber daran wollte Fridolin jetzt lieber nicht denken. Wenigstens die Tintenflecken waren weg. Er war der Töpfchenhexe dafür sehr dankbar. Bis er einschlief, dachte er über die Begegnung mit der kleinen Töpfchenhexe nach. Ob er sie wohl jemals wiedersehen würde?

Draussen im Dunkeln stand die kleine Töpfchenhexe und sie fürchtete sich sehr. Sie war bei einem Menschen gewesen und es war ihr nichts passiert. Aber wo war denn Suseldrus? Er sass auf einem Baumstamm und war eingeschlafen. Die Töpfchenhexe setzte sich vorsichtig neben ihn. Sie wollte so lange warten, bis Suseldrus von allein wach würde. Doch kaum hatte sie sich auf den Baumstamm niedergelassen, wachte Suseldrus auf. Er hatte nur ein kleines Nickerchen gemacht. “Hast du nun dein hundertstes Töpfchen?” fragte er. Die Töpfchenhexe zeigte es ihm. “Schön, dann können wir also wieder gehen”, sagte der Zauberer. Sie standen auf und liefen schweigend durch den Wald. Nach einer Weile kamen sie zu der Stelle, wo sich ihre Wege trennten. Der eine führte zu dem Turm, in dem Suseldrus wohnte, der andere führte zu der Hütte der kleinen Töpfchenhexe. “Geh nur, Suseldrus, du brauchst mich nicht weiter zu begleiten. Ich fürchte mich zwar ein bisschen allein im Wald aber du bist ja so müde. Geh nur. Gute Nacht. Und vielen Dank noch!” Suseldrus guckte die Töpfchenhexe verwundert an. Sie war auf einmal so anders als sonst. Aber Suseldrus war viel zu müde, um richtig denken zu können. “Gute Nacht, Töpfchenhexe”, sagte er und ging seinem Turm entgegen. Und die Töpfchenhexe eilte ihrer Hütte zu. Es war dunkel. Sie hatte Angst. Sie lief immer schneller. Als sie dann vor der Tür ihrer Hütte stand und sie aufschliessen wollte, trat sie auf etwas Weiches. Sie erschrak. Doch da klang ihr schon ein wohlbekanntes “Mieh - auh” entgegen und nun wusste die Töpfchenhexe, dass es Schluribumbi war, der dicht an die Tür gepresst auf sie gewartet hatte. “Ach, du bist es, Schluribumbi”, sagte die Töpfchenhexe und öffnete die Tür.

Kaum war die Tür einen Spalt offen, war Schluribumbi auch schon in der Hütte. Ihm war so kalt gewesen. Nun schaute der Kater die kleine Töpfchenhexe an. Sie hielt ihr hundertstes Töpfchen in der Hand. Aber sie machte kein vergnügtes Gesicht. Das fand der Kater eigenartig. Ohne sich vorher die Schuhe abzuputzen, ging die Töpfchenhexe in die Hütte hinein. Sie stellte ihr hundertstes Töpfchen auf den Tisch. Der Kater blickte auf das Töpfchen, dann schaute er die Töpfchenhexe an. Warum freute sie sich nicht? Sie hatte ja nun ihr hundertstes Töpfchen. Und Schluribumbi dachte: “Vielleicht ist sie mir noch böse wegen der Würstchen?” Dann sah er das Zauberteefläschchen. Es war leer. “Aha! Das war also der Grund”, dachte Schluribumbi. Denn er wusste, dass die Töpfchenhexe keine Zauberteeblätter mehr hatte, aus denen sie neuen Zaubertee kochen konnte. Aber die Töpfchenhexe dachte an nichts von alldem. Sie dachte an ihre Begegnung mit dem Menschenjungen Fridolin. Woran mochte es gelegen haben, dass sie keine Angst vor ihm gehabt hatte? Auch Fridolin hatte sich nicht vor ihr gefürchtet. Darüber dachte die Töpfchenhexe nach während Schluribumbi sie beobachtete. Schluribumbi betrachtete den Fussboden. Der Boden war schmutzig, denn die Töpfchenhexe hatte ja vergessen, sich die Schuhe abzuputzen. “Der Zaubertee ist alle und der Fussboden ist schmutzig. Nun musst due die ganze Arbeit selbst machen”, sagte Schluribumbi. Er rollte sich auf dem Tisch zusammen und sah gespannt auf die Töpfchenhexe. Was würde sie antworten? Aber die Töpfchenhexe schwieg. Deshalb bohrte Schluribumbi weiter: “Du hast vergessen dir die Schuhe abzuputzen. Nun ist der Fussboden schmutzig. Dein zaubertee ist alle. Du musst jetzt die ganze Arbeit allein machen.” “Ich weiss”, sagte die Töpfchenhexe, “ich habe den Rest Zaubertee verbraucht.” Die Töpfchenhexe hatte nicht danach gefragt, ob sie dafür einen Dank erhielte oder nicht. Doch sie hatte ihn bekommen, denn Fridolin hatte ihr das Töpfchen, das sie stehlen wollte, geschenkt. Sie hatte sich das Töpfchen ja eigentlich verdient. “Nein”, sagte sie zu Schluribumbi,“ ich habe keinen Zaubertee mehr und auch kein Zauberteeblätter, aus denen ich mir welchen kochen könnte. Und ich weiss, dass es zwecklos ist, nach Zauberteeblättern zu suchen. Die findet man nur durch Zufall und nur, wenn man ganz grosses Glück hat.”

“Wie gut”, sagte Schluribumbi, “dass mir heute Nacht so ein Zufall begegnet ist.” “Willst du damit sagen, dass du eine Stelle gefunden hast, wo Zauberteepflanzen wachsen?” Der Kater nickte. Dann fragte er: “Hast du eigentlich die Würstchen, die du morgen in der Kartoffelsuppe kochen willst, schon im Haus?” “Ja, die habe ich schon. Sie liegen im Vorratsschrank und der ist abgeschlossen und den Schlüssel habe ich in der Tasche.” “Ich weiss, ich weiss”, murmelte der Kater, “aber es stiehlt hier ja niemand.” Schluribumbi war so hungrig und musste andauernd an die Würstchen im Vorratsschrank denken. Und er fing wieder an, von den Zauberteepflanzen zu sprechen: “So viele Pflanzen habe ich noch nie auf einmal gesehen”, schwärmte er. “Wann werden sie denn blühen?” wollte die Töpfchenhexe wissen. Mit den Zauberteepflanzen hatte es nämlich noch eine besondere Bewandtnis. Man konnte nur aus blühenden Pflanzen wirksamen Zaubertee bereiten. Und die Zauberteepflanzen blühten nur eine Nacht. Schluribumbi wusste das alles. Der Kater hatte dieses Zauberpflanzenfeld auch nicht bloss so zufällig entdeckt. Er hatte danach gesucht. Als er in der Nacht in den Wald gesprungen war, weil die Töpfchenhexe böse auf ihn war, hatte ihm die Sache mit den Würstchen plötzlich sehr leid getan. Da war ihm eingefallen, dass die Zauberteeblätter der kleinen Töpfchenhexe verbraucht waren. Nun wusste er, wie er seine Missetat wieder gutmachen konnte. Schluribumbi hatte Glück gehabt. Er hatte ein Feld mit Zauberteepflanzen gefunden, die in vierzehn Tagen blühen würden. Und für diese gute Nachricht, so fand er, hatte er Würstchen verdient. “Also wann werden sie blühen?” fragte die Töpfchenhexe, die nun neugierig geworden war, noch einmal. “In vierzehn Tagen. Dann kannst du sie pflücken. Vorausgesetzt, dass dir jemand zeigt, wo die Pflanzen stehen.” “Na ja, das wirst du wohl tun. Oder?” Die Töpfchenhexe zog sich aus und legte sich ins Bett. “Natürlich zeige ich dir gerne, wo die Zauberteepflanzen wachsen. Aber ich fürchte, bis dahin bin ich tot.” “Wieso das?” murmelte die Töpfchenhexe, die es sich nun in ihrem Bett so richtig gemütlich gemacht hatte. “Weil ich bis dahin verhungert sein werde”, verkündete Schluribumbi. Dann fügte er hinzu: “Sind die Würstchen, die du im Haus hast eigentlich rohe Würstchen oder geräucherte?” “Sie sind geräuchert. Willst du eins?” “Drei!” antwortete der Kater. “Du bist unverschämt!” sagte die Töpfchenhexe. “Nein nur hungrig.” Da stand die Töpfchenhexe noch einmal auf und ging zum Vorratsschrank. Drei Würstchen - drei geräucherte Würstchen holte sie heraus und gab sie de Kater Schluribumbi. Der sprang vom Tisch herunter und verputzte sie auf eins - zwei - drei.

Als er alle drei Würstchen aufgefressen hatte, war er herrlich satt. Er kroch unter den Herd. Da schlief er immer, wenn er und die Töpfchenhexe sich nicht vertrugen. Denn dann ihn die Töpfchenhexe nicht in ihrem Bett haben. Aber wer wärmte ihr dann die Füsse? So lag also die Töpfchenhexe wieder mit kalten Füssen im Bett und Schluribumbi lag mit kaltem Bauch unter dem Herd. Denn der Fussboden unter dem Herd war natürlich nicht so schön warm wie das Bett der kleinen Töpfchenhexe. Beide waren noch nicht eingeschlafen, da sagte die Töpfchenhexe in die Stille hinein: “Kalte Füsse habe ich.” Eine Weile kam keine Antwort von dem Kater. Aber dann sagte er: “Kann ich was dafür?” “Komm gefälligst her und wärm sie mir!” Der Kater folgte der Aufforderung. Er sprang auf das Bett und schmiegte sich an die Füsse der kleinen Töpfchenhexe. So waren sie wieder versöhnt und schliefen ein.

Nun begann für die Töpfchenhexe eine anstrengende Zeit. Vierzehn Tage musste sie warten, bis die Zauberteepflanzen blühten. Erst dann konnte sie wieder Zaubertee kochen. Bis dahin musste sie alle Arbeit selbst machen: aufräumen, Staub wischen, ausfegen, Fenster putzen. Jetzt merkte sie erst so richtig, wie nützlich ihr Zaubertee war. Sie brauchte damit nur ein bisschen herumspritzen, auf den Fussboden und in alle Winkel und im Nu war die ganze Hütte sauber. Jeden Tag musste nun die Töpfchenhexe den Fussboden kehren und die Flecken auf dem Herd putzen. War das eine anstrengende Schrubberei! Aber bald gewöhnte sie sich an die Arbeit und sie mache ihr beinahe Spass. Die Töpfchenhexe räumte die Rumpelkammer auf und putzte die Fenster. Auch die Gardinen wusch sie. Sie strich die Blumenkästen mit schöner roter Farbe an. Und weil sie schon den Pinsel in der Hand hatte, strich sie auch noch das ach frisch. Dabei rutschte ihr leider das Töpfchen mit der roten Farbe aus der Hand, es fiel hinunter und gerade auf Schluribumbi, der unter dem Dach sass und sich putzte. Nun war Schluribumbi rot und schwarz. Schwarz waar das, was von seinem Fell noch zu sehen war, aber viel war das nicht. Und kein Zaubertee war da, der die Flecken hätte wegzaubern können. Der arme Kater wurde mit viel Wasser geschrubbt. Geradeso, als ob Katzen das Wasser liebten! Die Töpfchenhexe musste sich sehr plagen, bis sie ihren Kater wieder schön schwarz geschrubbt hatte. Als sie es endlich geschafft hatte, war ihr die Lust dazu vergangen, noch länger mit Farbe umzugehen. So blieb das halbe Dach ungestrichen. Die Töpfchenhexe legte sich in die Sonne und ruhte sich ein bisschen aus.

Am nächsten Tag füllte die Töpfchenhexe noch frische Erde in ihre Blumentöpfe und dann waren endlich die vierzehn Tage vergangen. Sie musste nur noch bis zum Abend warten. Dann war es soweit: Sie griff nach ihrem Kopftuch und nach ihrem Körbchen. Aber es war so dunkel draussen und die Töpfchenhexe dachte daran, dass Suseldrus vor kurzem den Räuber Blasius bei Brombeergestrüpp beobachtet hatte, wie er sein Gewehr ausgegraben hatte. Zu dem Brombeergebüsch musste sie nämlich. Denn dort wuchsen die Zauberteepflanzen, hatte Schluribumbi gesagt. Es war so finster im Wald und die Töpfchenhexe fragte Schluribumbi: “Kommst du mit?” “Nein”, antwortete der Kater. Er hatte es sich auf dem Bett der kleinen Töpfchenhexe gemütlich gemacht. “Warum soll ich mitkommen? Du kannst doch wohl deine Zauberteeblätter allein pflücken. Oder hast du Angst vor den Räubern?” “Natürlich nicht!” sagte die Töpfchenhexe und knallte die Tür der Hütte hinter sich zu. “Blöder Kater”, dachte sie, “mich so im Dunkeln allein gehen zu lassen!” Und dann dachte sie an Suseldrus. Schön wäre es, wenn er sie jetzt begleiten würde. Aber er tat es nun mal nicht und sie musste allein gehen. Der Weg führte mitten durch den tiefen Tannenwald und vorbei an der gespaltenen Eiche, auf der immer Eule Mirabellchen sass. Die Töpfchenhexe kam zu der Eiche und ging weiter zum Brombeergestrüpp. Und da standen sie in unendlicher Fülle: die Zauberteepflanzen! Und alle blühten. Rosa und weiss schimmerten sie. Andächtig stand die Töpfchenhexe vor dieser Pracht. So viele Zauberteepflanzen hatte sie noch nie auf einmal gesehen. Sie begann zu pflücken. Vorsichtig brach sie jede einzelne Blüte ab und legte sie in ihr Körbchen. Ganz still war es, nur das Herz der kleinen Töpfchenhexe konnte man schlagen hören. Und in diese Stille hinein erklang plötzlich die Stimme des Räubers Balduin:

“Ich brauche mein Gewehr erst gar nicht zu putzen, ich schiesse nicht auf Oma Beegenbiel.” Als die Töpfchenhexe das hörte, wollte ihr Herz vor Schreck beinahe zu schlagen aufhören und sie wäre am liebsten gestorben. Aber das Herz der kleinen Töpfchenhexe hörte nicht zu schlagen auf und die Töpfchenhexe starb auch nicht. Sie musste mit anhören, wie der Blasius - der Räuber Blasius - , der natürlich auch da war, sagte: “Du brauchst ja nicht richtig auf sie zu schiessen. Nur so - ein kleines bisschen -, damit du ihr Angst machst.” “Und ich sage dir noch einmal”, antwortete Balduin - und die Töpfchenhexe schlich sich näher an die Hecke heran, damit sie alles gut hören konnte, was der Balduin nun sagen würde -, “ich sage es dir noch einmal, ich schiesse nicht auf Oma Beegenbiel, nicht mal ein bisschen, um ihr Angst zu machen. Dazu, mein Lieber, habe ich sie viel zu gern.”

“Ach - aber ihr Geld willst du haben!” entgegnete ihm der Blasius. “Das ist etwas ganz anderes, schliesslich braucht Oma Beegenbiel kein Geld.” Oh, wurde da die Töpfchenhexe wütend, als sie das hörte! Sie musste, wie nötig Oma Beegenbiel ihr Geld brauchte. So lange hatte sie gespart, um sich eines Tages eine Fahrkarte nach Amerika kaufen zu können. Damit sie zu ihre August reisen konnte, den sie so lange nicht gesehen hatte. Und nun kamen die Räuber, um Oma Beegenbiel das Geld wegzunehmen, wo sie doch schon die Koffer gepackt hatte. Was sollte die Töpfchenhexe nur tun, um Oma Beegenbiel vor en Räubern zu schützen? Sie konnte nicht einmal fortlaufen, um Oma Beegenbiel zu warnen oder dem Poizisten Tapferling Besheid zu sagen. Sie stand ja so dicht hinter er Brombeerhecke und so nahe bei den Räubern, dass sie fast en Atem der beiden spüren konnte und sie wagte darum selbst kaum, Luft zu holen. Wie konnte sie da fortlaufen! Die Räuber hätten sie doch gleich gefangen. Bei diesem Gedanken wollte das Herz der kleinen Töpfchenhexe beinahe wieder stillstehen. Besonders deshalb, weil sie in dem Gespräch der beiden Räuber auf einmal ihren eigenen Namen hörte.

Balduin sagte: “Und die Töpfchenhexe, wie ist es mit der? Die ist doch auch manchmal nachts unterwegs. Wenn sie uns sieht und uns an den Polizisten Tapferling verrät, sind wir geliefert und können wieder für ein Weilchen ins Gefängnis wandern.” “Wozu habe ich mein Gewehr?” antwortete Blasius. “Ausserdem - du kannst dich darauf verlassen: Die Sache ist absolut sicher. Wir legen uns jetzt nieder und schlafen bis zehn Minuten vor zwölf, dann gehen wir zu Oma Beegenbiels Haus. Die Tür und alle Fenster werden wie immer sperrangelweit offen sein. Ich gehe zur Tür hinein und du steigst durch das Fenster. Dann suchen wir das Geld, finden es und nehmen es und verschwinden wieder. Keiner wird uns sehen und wenn uns die Töpfchenhexe doch sehen sollte, wie gesagt - mein Gewehr ist in Ordnung!” Arme kleine Töpfchenhexe! Was sollte sie nun tun? Am besten abwarten, bis die Räuber eingeschlafen waren. Das tat sie. Blasius und Balduin hatten sich im Gras ausgestreckt und jeder hatte das Gewehr auf seinen Bauch gelegt. An dem zweistimmigen Schnarchen merkte die Töpfchenhexe, dass beide eingeschlafen waren. Da schlich sich die Töpfchenhexe um das Brombeergestrüpp herum und stand nun vor den Räubern. So gross waren die, so dick - und so stark! Und ihre Gewehre lagen auf ihren Bäuchen und die Gewehre waren so gefährlich und Oma Beegenbiel war so klein und schwach und brauchte ihr Geld nötig. Da tat die Töpfchenhexe das einzig Richtige und sie brauchte ihren ganzen Mut dazu: Sie nahm dem Räuber Blasius das Gewehr vom Bauch und begann die Stelle an dem Gewehr zu suchen, wo man die gefährlichen Kugeln hineintun oder herausnehmen konnte. Die kleine Töpfchenhexe wollte die Kugeln herausnehmen. Aber wo war die Stelle? Die Töpfchenhexe zog an allen Hebeln, drehte und rüttelte daran. Und sie hatte solche Angst dabei. Denn was würde geschehen, wenn sie nun auf den Hebel drückte, der den Schuss auslöste und die Kugel plötzlich herausflitzte? Erstens würden die Räuber dann wach werden. Zweitens könnte sie aus Versehen einen der Räuber erschiessen. Und drittens könnte das Gewehr ja auch nach hinten losgehe und dann würde sich die Töpfchenhexe selbst erschiessen. All das wollte die Töpfchenhexe nicht so gerne tun. Mit zitternden Fingern suchte sie weiter nach der Stelle, wo die Kugeln waren. Die Töpfchenhexe fand die Stelle, ohne dass etwas geschah und nahm die Kugeln heraus. Nun war das Gewehr des Räubers Blasius so ungefährlich wie das Holzgewehr von dem kleinen Fridolin, das sie in einer Ecke seines Zimmers hatte stehen sehen. Die Töpfchenhexe nahm nun das Gewehr vom Bauch des Räubers Balduin und tat damit das gleiche. Als das geschehen war, schlich sie sich leise davon. Sobald die Töpfchenhexe weit genug von den Räubern entfernt war und diese vom Knacken der Zweige nicht mehr wach werden konnten, lief sie, so schnell sie konnte, zu Oma Beegenbiels Haus. Sie lief. Sie rannte. Sie flog beinahe. Als sie bei Oma Beegenbiels Häuschen angekommen war, stellte sie erst einmal fest, dass, wie üblich, alle Fenster und auch die Tür offenstanden. Die kleine Töpfchenhexe ging zur Tür hinein. Zum zweiten Mal war sie nun in einem Menschenhaus. Beim ersten Mal war sie gekommen, um zu stehlen; jetzt kam sie, um zu helfen. Sie blieb einen Augenblick im Flur stehen und überlegte, in welchem Zimmer Oma Beegenbiel wohl schlief. Und weil Oma Beegenbiel so schön schnarchte, fand sie das Zimmer gleich.

Die Töpfchenhexe ging hinein und rüttelte und schüttelte die schlafende Oma Beegenbiel wie einen Apfelbaum und dabei sagte sie: “Oma Beegenbiel gleich kommen die Räuber Balduin und Blasius und wollen dir dein Geld wegnehmen, dein Geld, das du brauchst, um dir die Fahrkarte nach Amerika kaufen zu können. Aufwachen, aufwachen, Oma Beegenbiel! Aufwachen, die Räuber kommen gleich!” Und Oma Beegenbiel wachte auf. Vor Schreck und Überraschung band sie sich erst einmal die Schleife ihrer Schlafhaube neu. “Mein Geld wollen die?” sagte sie dann. “Ja, dein Geld wollen sie und zwar bald. Um zwölf Uhr Mitternacht sind sie hier. Bis dahin sind es noch vierzehn Minuten.” “Ja, und nun?” fragte Oma Beegenbiel. “Was sollen wir tun?” “Erst mal natürlich dein Geld verstecken. Wo ist es?” “Da oben”, sagte Oma Beegenbiel und zeigte auf einen hellblauen Kochtopf, der oben auf dem Schrank stand. “Da ist dein Geld drin?” sagte die Töpfchenhexe zweifelnd. Oma Beegenbiel nickte. Da schob die Töpfchenhexe den Tisch an den Schrank und auf den Tisch stellte sie den Stuhl. Nun kletterte sie auf den Tisch, dann auf den Stuhl - aber sie konnte immer noch nicht an den hellblauen Kochtopf heranreichen. Daum sprang sie vom Stuhl wieder hinunter, hopste auf den Tisch und vom Tisch auf den Boden. Nun stellte sie noch Oma Beegenbiels Nähkasten auf den Stuhl. Wieder kletterte sie auf den Tisch, dann auf den Stuhl und von dem Stuhl auf den Nähkasten. Jetzt konnte sie nach dem hellblauen Kochtopf greifen. Sie nahm ihn und reihte ihn Oma Beegenbiel hinunter. “Nun verstecke ihn gut”, sagte die Töpfchenhexe und sprang vom Nähkasten auf den Tisch und vom Tisch auf den Boden. "Verstecke den Topf und ich renne und sage dem Polizisten Tapferling Bescheid.

“Ich tu ihn unter meine Bettdecke!” rief Oma Beegenbiel der davoneilenden Töpfchenhexe nach, “dort ist er am sichersten.” Dann fing sie an, mit sich selbst zu sprechen. “Na wartet, ihr lieben, süssen Räuberchen! Ihr wollt mir mein Geld wegnehmen, so dass ich nicht zu meinem August fahren kann. Na wartet, euch will ich’s zeigen! Ihr werdet schon sehen, dass ich zu meinem August fahre und eine schöne Postkarte werde ich euch aus Amerika schicken. Und wollt ihr wissen, wohin ich die Postkarte schicke, damit ihr sie auch ganz bestimmt bekommt? Ins Gefängnis - da werdet ihr nämlich bald sein. Wartet nur ab!” So redete die gute Oma Beegenbiel mit den Räubern, die gar nicht da waren. Sie schlurfte dabei in die Küche und kam dann mit einem Töpfchen Erdbeerarmelade in der einen Hand und einem Töpfchen Pfirsichmarmelade in der anderen zurück in ihr Schlafzimmer. Nun machte sie ein Fenster erst recht weit auf - sie öffnete es ganz weit - und liess auch die Tür einladend offen. An das weit offene Fenster setzte sie sich dann und schaute auf die Uhr. Gleich würde es Mitternacht schlagen. Ihre beiden Hände umklammerten die Marmeladetöpfchen und sie hatte keine Angst vor den Räubern. Denn sie wusste sich gut vor ihnen zu schützen. Was mochte Oma Beegenbiel vorhaben?

Inzwischen war die Töpfchenhexe unterwegs zum Polizisten Tapferling. Als sie bei seinem Haus angelangt war, nahm sie einen kleinen Stein und warf ihn ans Fenster. Davon wachte Polizist Tapferling auf und schaute aus dem Fenster. Die Töpfchenhexe rief: “Polizist Tapferling, gib acht auf Oma Beegenbiel! Gleich kommen die Räuber Balduin und Blasius und wollen ihr das Geld wegnehmen. Beeil dich, gleich sind sie da. Um Mitternacht!” Der Polizist hörte jedes Wort aber sehen konnte er die Töpfchenhexe nicht. Sie hatte ja Angst vor den Menschen und erst recht vor dem Polizisten Tapferling. Im nächsten Augenblick schlug es Mitternacht.

Oma Beegenbiel sass ganz still. Die Gardine verbarg sie ein bisschen. Die Turmuhr schlug zwölfmal. Als der letzte Schlag verklungen war, raschelte etwas unter dem Fenster. Oma Beegenbiel sass ganz still. Da schob sich langsam, Stück für Stück, der Kopf des Räubers Balduin zu Fenster herein. Als sein Gesicht so richtig schön nahe an Oma Beegenbiels Gesicht war, machte es klack - und Oma Beegenbiel schüttete dem Räuber die Erdbeerarmelade ins Gesicht. “Hi - hu - ha”, achte Balduin und schüttelte sich. Das hörte der Räuber Blasius und glaubte, es sei ein Jubelruf, weil Balduin das Geld gefunden hatte. So schnell, wie der Blasius nur rennen konnte, stürzte er in das Zimmer, aus dem der Hi-hu-ha-Ruf gekommen war. Und er bekam - klack - die Pfirsichmarmelade ins Gesicht. “I - gitt”, sagte Blasius und versuchte, sich die Marmelade aus dem Gesicht zu wischen. Aber davon wurde alle nur noch schlimmer.

Balduin tat nichts. Er stand einfach nur da und die Marmelade, die schöne rote Erdbeermarmelade, tropfte langsam an ihm herunter. Als sie beim untersten Jackenknopf angekommen war, wurden auf der Strasse Stimmen laut - viele Stimmen. Von Leuten, die gekommen waren, um Oma Beegenbiel vor den Räubern zu beschützen. Eine Stimme war den Räubern besonders gut bekannt. Sie gehörte dem Polizisten Tapferling. “Stehenbleiben!” rief der Polizist, als die beiden Räuber davonrennen wollten. Alle Leute versuchten nun, die fliehenden Räuber aufzuhalten und es wäre ihnen auch beinahe gelungen, wenn sich die Räuber nicht ihrer Gewehre erinnert hätten. Blasius hob sein Gewehr und zielte auf die Leute. Die rannten entsetzt davon. Balduin sah das und auch er hob nun sein Gewehr und zielte - und sie hätten den braven Leuten sehr weh getan, wenn, ja wenn noch Kugeln in den Gewehren gewesen wären. Aber es waren keine mehr darin. Die Töpfchenhexe hatte sie ja entfernt. So machte es nur zweimal leise “klick”, als die Räuber schiessen wollten - und nichts geschah.

“Das kann nur die Töpfchenhexe gewesen sein”, grollte Blasius und drohte mit der Faust in die Richtung, in der die Hütte der kleinen Töpfchenhexe stand. “Na warte, wenn ich wieder aus dem Gefängnis draussen bin!” rief Blasius und schwor der Töpfchenhexe Rache. “Jetzt gehen wir erst mal hinein”, sagte Balduin und liess sich, weil ihm nichts anderes übrigblieb, die Hände fesseln. Auch dem Blasius wurden die Hände mit festen Stricken zusammengebunden. Dann wurden die beiden Räuber unter viel Jubel ins Dorf geführt und im Gefängnis abgeliefert.

Das alles hatte Eule Mirabellchen gesehen. Und sie flog zum Zauberer Suseldrus und erzählte ihm, wie tapfer seine kleine Töpfchenhexe gewesen war. Am nächsten Tag besuchte der Zauberer Suseldrus die kleine Töpfchenhexe und er brachte ihr ein Geschenk mit: Es war ein grosser Bogen Papier und auf diesem Papier stand zweiundfünfzigmal - so viele Wochen, wie das Jahr hatte: Montag - Dienstag - Mittwoch - Donnerstag - Freitag - Samstag - Sonntag. Immer nun, wenn ein Donnerstag gewesen war, musste die Töpfchenhexe den Donnerstag durchstreichen. Dann kamen der Freitag, der Samstag der Sonntag an die Reihe zum Durchstreichen und so wusst sie immer, wann Montag war.

Denn was musste die Töpfchenhexe montags tun? Töpfchenputzen!