Das Buch hat mich auch im letzten Drittel fasziniert und zwar vor allem wegen der Sprache von Andreas Pflüger. Die Geschichte vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg hat für mich durch diese geschriebene Sprache weniger Belastenderes gehabt. Ein paar Beispiele:
• Bei ihm (Dix) passt nichts zusammen. Er ist wie ein Kreis in einem Schottenmuster (S. 316)
• Den Kampf gegen die Vokale hatte er verloren, jetzt quälte er die Konsonanten (S. 331)
• Eichmann dampfte ein derartiges Selbstbewusstsein aus, dass die Damen im Saal sich Luft zufächerten (S. 355)
• Sie stellte einen Topf mit frischer Wut auf den Herd, doch er nahm ihn sofort vom Feuer (S. 362)
• Als er vor mir stand und die Daumen grinsend hinter seinen Uniformriemen schob, hätte ich ihn auf der Stelle töten und mich in die Kugeln seiner Männer werfen sollen, statt seitdem Tag und Nacht durch eine Wüste zu kriechen, in der kein Dornbusch brennt und kein Gott mir seinen Namen nennt (S. 363)
• Als Paula sich, schon in der Tür, noch einmal umwandte, liess ihr Lächeln ihn für einen Wimpernschlag wieder wie jenen Mann aussehen, der in einer Jauchegrube Forellen fangen würde (S. 364)
• Bei Schachts Lachen fielen Fliegen tot von der Wand (S. 378)
• Aber Moral ist gerade im Ausverkauf und so billig, dass sie nichts mehr hermacht (S. 442)
• Spiegelbilder in einem See, verschwunden, als ein grauer Stein ins Wasser fiel (S. 446)
Googeln musste ich nur noch Rattenlinie und auch da bin ich fündig geworden. Ich fand das Buch wohl daher so interessant, weil sehr viele Figuren, die auch wirklich eine Rolle gespielt haben, namentlich genannt wurden. Dass ihre Rolle dann nicht weiter vertieft beschrieben wurde, hat mich nicht gestört. Aber es hat mir immer wieder vor Augen geführt, dass der Roman eben nicht nur ein Roman ist, sondern ein schwieriger Teil unserer Geschichte, die ich zum Glück nicht erleben musste. Andreas Pflüger hat sehr gut recherchiert, dies wird ihm auch von Bodo V. Hechelhammer attestiert (S. 460): Angesiedelt war diese Unternehmung in Camp Ritchie - ein hübsches Aperçu zu Pflügers blendend recherchiertem Roman.
Überrascht hat mich, dass der Rücken von Paula kein weiteres Thema mehr gewesen ist. Ebenso überrascht hat mich, dass der Kladden-Inhalt kein weiteres Thema im Sinne von Zitaten gewesen ist. Nicht überrascht hat mich der Mensch Kupfer, dessen Figur sich zu einer sympathischen entwickelt hat. Ebenfalls nicht überrascht hat mich Georg und die Beschreibung der Zusammentreffen von Georg und Kupfer, bis zur Tötung von Georg durch Kupfer. Für Paula war die Schilderung in Kupfer’s offener und brutal anzuhörender Art genau richtig, damit sie sich von Georg endgültig lösen konnte. Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn die Beziehung von Paula und Sam nicht in einer Liebesbeziehung geendet hätte. Dadurch hat für mich der Roman von Andreas Pflüger etwas ganz wenig Versöhnliches.
Nachdenklich stimmt mich die Aussage von Bodo V. Hechelhammer (S. 459): Mit dem Kalten Krieg kam auch die kalte Amnestie. Die am Rande beschriebenen Funktionen, welche Mittätern nach dem Krieg übertragen wurden, hat mich zutiefst erschreckt. Es wäre interessant, einmal eine "Gruppen-"Biographie solcher Personen zu lesen (z.B. Reinhard Gehlen, Hermann Baun, Klaus Barbie), vorausgesetzt, dass sie ihre eigene Geschichte ehrlich reflektierten, was ja nicht der Fall sein dürfte.