Lovis
JuliaK Zugehörigkeit, Heimat? Mir kam es vor, als ob beide Schwestern sich eher zur Schweiz als Heimat bekennen. Kein Wunder, verliessen sie doch als Kleinkinder die ursprüngliche, später fremde Heimat, die sie dann irgendwie durch die “Schweizer-Brille” sahen, was sie wiederum zu Fremdlingen, Aussenseitern im Heimatland machte. Ein Teufelskreis. Man steht mit je einem Bein in zwei HeimatEn, von denen die eigentliche nur aus (einseitiger) Liebe zu den Eltern besteht, die andere aber tiefe emotionale Gefühle mit sich bringt. Aber diese Emotionen können nicht raus, als ob sie in einem Vogelkäfig gefangen wären. So viel unterscheiden sie sich also nicht von den andren weiblichen Parts (Mutter, Tante, Grossmutter) der Geschichte, obwohl sie sich eher der westlichen Gesellschaft zugehörig fühlen. Die einzige, die über ihren Schatten bzw. Traditionen springen/herausbrechen kann, ist Nosche, die grosse Schwester, die eigentlich der Stammhalter hätte werden sollen, den sich der gelehrte Vater gewünscht hat. Das zeigte er in ihrer halbherzigen Förderung, die er einem Sohn automatisch angedeihen hätte lassen. Daher übernimmt Nosche ja irgendwie auch diesen weiblichen Stammhalter-Part, den man von jüngeren nicht erwartet.
Und die Beziehung zwischen Aida und Daniel? Hmm? Ihre 7jährige Beziehung, die eher einseitig ist, wo man (Daniel) auf der Hut sein muss, wie er was formuliert, kommt mir unnatürlich vor. Dass die Frau die verschlossene ist, kommt selten vor, sind Frauen doch emotionaler, möchten auf den Partner eingehen, Unklarheiten ausdiskutieren, auch wenn der Partner blockt. Und wenn das lange Zeit dauert, dann verliert der aktivere Part seine Geduld, aber nicht erst nach 7 Jahren! Klar, wäre ein Kind da, wäre es nachvollziehbar, aber nicht ohne. Daniel repräsentiert hier also eine Art den idealen Schweizer, beständig, geduldig, treu, ohne Fehl und Tadel. Ein Kunstgriff oder ein Traumpartner, das Gegenteil der Akteurin. Für mich wäre das 3.Mal Nachforschen ein Grund zur Trennung. Daher kann ich mir nicht vorstellen, dass eine Beziehung ohne die Vergangenheit oder das Trauma des Partners zu kennen, so lange halten kann. Was die beiden verbindet? Hmm? Platonische Liebe, die Liebe zur (Schweizer) Heimat, zur Literatur? In jedem Kapital, wo Daniel erwähnt ist, hoffe ich, dass der ausflippt, reinen Tisch macht, Aida vor die Wahl stellt. Sie befürchtet ja immer, dass sie ihre “Notizen” (im blauen Buch) irgendwo liegen lässt, mit den Fetzen aus Deutsch und Arabisch. Und so erwarte ich auch, dass er darüber stolpert und einen Teil seiner Fragen beantwortet bekommt. Auf mich wirken beide wie ein Geschwisterpaar: Daniel, der Bruder, den Aida und Nosche nie hatten, aber kein Liebhaber oder Partner als solches. Aidas Gefühle Daniel gegenüber sind zerrissen, Daniels gradlinig, was das auch immer heissen mag. So ist diese Beziehung auch wiederum eine Art “Zweck heiligt die Mittel”, also nicht für die Ewigkeit. Aida kann, obwohl sie in der Schweiz aufwuchs und angepasst hat, doch nicht die stoische Zurückhaltung ihrer weiblichen Vorfahren ablegen; diese hängt wie ein Damoklesschwert über ihr. Eine Frau muss gehorchen, Kinder gebären, keine Gefühle zeigen oder Forderungen stellen - alles also, wogegen sich Nosche auflehnt, Aida ist noch nicht so weit; sie ahmt unbewusst die Art ihrer Mutter nach, auch wenn ihr das Wort “Kinder” oder “Heirat” im Gespräch mit Daniel Bauchweh macht. Wenn sich wenigstens Aida Katrin anvertrauen würde oder Daniels Mutter - aber auch dieses Vertrauen scheint zu fehlen. Wenn schon sie schon zu den Menschen, die es gut mit ihr meinen - Frauen! - nicht an sich lässt, wie soll sich die Beziehung zu Daniel vertiefen? Da wundert es mich schon, dass sie überhaupt den Weg zur Therapie findet.