Der erste Einworttitel ist gelesen und er hatte es in sich. Schmerz von Zeruya Shalev dreht sich, wie die meisten Bücher der Autorin, um Familie, Liebe, Trauer und Verlust.
Nachdem die Schmerzen der Verletzungen aus dem Attentat wieder aufflammen und die Protagonistin Iris zufällig ihrer Jugendliebe wieder begegnet, brechen auch die Schmerzen jenes Verlustes wieder auf, Erinnerungen brechen sich Bahn und von da an drängen die Handlung, die Gedanken, unablässig vorwärts, auch in der Sprache, wenige Punkte, unzählige Kommas, direkte Rede unerkennbar aber spürbar mittendrin. Getrieben, atemlos, obsessiv, fiebrig, setzt Iris alles wild in Zusammenhang, ihre jetzige kleine Familie und die Vergangenheit. Schonungslos, oft chaotisch emotional aber auch analytisch, hinterfragt sie wieder und wieder “die extrem zufälligen Zusammenhänge zwischen Raum und Zeit, die zu den schlimmsten Katastrophen führen, ebenso wie zu den aufregendsten Wundern.”
Die Handlung und die Gedankenspirale führen schliesslich zum Zusammenbruch, denn die Vergangenheit lässt sich nicht wieder herstellen oder beleben. Ihre Familie bleibt ein zerbrechliches Konstrukt, aber sie ist die Wirklichkeit, die Gegenwart. Und diese Gegenwart zeigt ihr am Ende: “Ich bin kein Echo der Erinnerungen, ich bin keine Brücke für zukünftige Pläne, ich bin alles, was du hast, die Essenz deiner Existenz, vertraue mir, denn du hast keine andere Wahl.”
Ein offenes Ende, seltsam widersprüchlich. Für mich zeigt das jedoch eine zutiefst israelische Wirklichkeit, obwohl sie vielleicht auch an anderen Orten auf dieser Welt zutreffen könnte. Schmerz war bereits mein fünftes Buch von Zeruya Shalev und nach Späte Familie hat mich dieses bisher am meisten beeindruckt.