Mit reichlicher Verspätung, aufgrund der verlorenen ersten Buchlieferung, kann ich nun endlich auch mit in die Diskussion einsteigen 🙂
Vielleicht ein kleiner Disclaimer vorweg: ich, als mich sehr weit links verortender Politikwissenschaftler, bin alleine schon aufgrund meiner politischen Richtung positiv angetan von der gesamten Thematik des Buchs. Die aufgezeigten Probleme des Kapitalismus sind nicht nur sehr prägnant und verständlich geschildert, sondern spiegeln die Realität sehr treffend wider. Und dazu gehört auch das entsprechend egoistische bis kriminelle Verhalten der von diesem System am meisten profitierenden Personen, die sich durch Geld Macht und Immunität kaufen. Daher finde ich den Plot des Romans sehr überzeugend und glaubwürdig. Man merkt es auch in der medialen Berichterstattung immer wieder, dass auch in der Realität mehr und mehr Menschen merken, dass der Kapitalismus und das Versprechen des sozialen/wirtschaftlichen Aufstiegs nicht mehr auf die aktuellen Generationen zutrifft. Wenn erst der Glaube an ein solches System verloren ist, ist es kein grosser Schritt mehr, bis Menschen anfangen, sich anderen Systemen anzuschliessen. Sehr gelungen finde ich dabei auch, dass im Vergleich zu vielen anderen Büchern (sei es fiction oder non-fiction), die sich mit dem Thema Kapitalismuskritik befassen, tatsächliche eine mögliche Alternative zum Kapitalismus aufgezeigt wird - wenngleich natürlich sehr vage.
Sehr positiv finde ich die Geschwindigkeit, mit der das Buch voranschreitet. Gleichzeitig werden verschiedenste Personen, mit verschiedenen Perspektiven, Interessen und Hintergrundgeschichten vorgestellt, die immer wieder mal an Bedeutung gewinnen oder verlieren. Das alles wirkt sehr dynamisch und rund.
Allerdings muss ich mich der Kritik manch anderer in dieser Runde anschliessen, was manche Charaktere und vor allem das Thema Charakterentwicklung angeht. Unweigerlich stellt sich die Frage, ob bei einer Autorin Vilma ebenfalls auf so klischee-sexistische Weise dargestellt werden worden wäre. Und bis zu einem gewissen Grad muss der Autor sich auch die Kritik gefallen lassen, was Emma angeht, die selbst kurz vor Beginn der grössten Rede ihrer Karriere nicht umhin kommt daran zu denken, dass Rot “ihr nun einmal gut steht.”
Die Charaktere sind zu weiten Teilen tatsächlich sehr eindimensional. Das ist im Rahmen dieses Buches ein wenig verständlich, da die meisten der Charaktere eine gewisse symbolische Rolle einnehmen. Pontus als drahtziehender, konservativer Machtmensch. Holsti als Symbol jener, die aufgrund ihres Geldes und ihrer Macht nicht nur die Kontrolle über sich selbst, sondern die eigene Menschlichkeit verloren haben. Leo, der naive Schönling, der durch Charme und korrupte Gönner mehr oder weniger nichts ahnend an die Spitze des politischen Systems stolpert, etc. Um den Punkt des Buchs zu unterstreichen, funktionieren solche Schablonen sehr gut. Im schnellen Lesefluss fällt ihre Einseitigkeit oft nicht einmal auf. Aber sobald man einen kleinen Schritt zurück geht, wünscht man sich doch, der Autor hätte sich ein wenig mehr Mühe gegeben. (das Thema Charakterentwicklung würde ich dagegen nicht so schwierig sehen. Der Roman spielt in 24 Stunden. Da passiert selbst bei einschneidenden Erlebnissen nicht unbedingt viel im Charakter von Menschen. Ich kenne genügend, die sich in 24 Monaten kein bisschen ändern 😃 ).
Insgesamt ist mein Fazit gegenüber diesem aber sehr positiv. Die Geschichte ist spannend, angereichert mit genau der richtigen Menge an Fakten und glaubhaft genug, um ähnliche Entwicklungen auch in der Realität sich vorstellen zu können. Der Schreibstil ist so flüssig, dass er geradezu eine gewisse Sogwirkung entwickelt. Ich freue mich auf jeden Fall auf den letzten Abschnitt und bin froh (etwas verspätet) an dieser Buchrunde teilhaben zu können 🙂