NinaVanessa
Unerkannte Lichter und Kontraste
Vor aller Augen: spannend, interessant, originell wie Martina Clavadetscher meist von Männern porträtierte Frauen erzählen lässt: wie sie da in Museen hängen und angestarrt werden, bestaunt und beflüstert von unzähligen schaulustigen, kunstinteressierten, ignoranten, besserwissenden und einfach staunenden Menschen. Die Perspektivenwahl ist wirklich grossartig, und man erfährt doch so einiges über das Entstehen, die Hintergründe und Motive der Bilder, wie sie vermarktet, verfälscht, gedeutet und missdeutet werden.
Zentral das Zitat von Tracy Chapman am Anfang des Buches: «There is fiction in this space between You and everybody».
Es beginnt mit den fiktiven Monologen der «Dame mit Hermelin» von Leonardo da Vinci, genauer damit, wer Cecilia Gallerani gewesen sein könnte, abgesehen von ihrem poetischen Werk, das gänzlich in Vergessenheit geraten ist. Spannend, wie da aus eingetrockneter, übermalter und ausgebesserter Ölfarbe eine interessante Frau lebendig wird!
Raffaels Portrait «La Fornaria» erzählt die Geschichte einer verbotenen Liebe und spiegelt die Sitten und Bräuche im damaligen Rom. Geschickt lässt die Autorin Margherita Luti Raffael nach seiner Meinung zu ihrer Seele fragen: Nicht Körper und Geist sind ihr wichtig, sondern die Heiligkeit ihrer heimlichen Liebe, die im gemalten Portrait scheu und doch klar dargestellt wird.
Rembrandts «badende Frau» öffnet den Blick für unheilvolle Gewitterwolken, die das Leben seiner Geliebten Hendrickje Stoffels begleiten. Aber wie in Rembrandts so dunklen Gemälden leuchtet ein Lichtstrahl in die Zukunft: Hendrickje packt trotz Not die Gelegenheit, ihr gelingt die entscheidende Wende, sie lässt sich trotz Verleumdung und übler Nachrede nicht unterkriegen.
Mit jedem der dargestellten Frauen scheinen sie selbstbewusster und tatkräftiger zu werden, scheinen ihre malenden Männer deutlich zu überragen.
Fantastisch dann dieses Familienbild der Vermeers mit Einblick in die Kunstvermarktung: erzähl eine gute Geschichte, mach ein Geheimnis aus seiner Entstehung, lass vieles im Ungewissen, so entsteht ein kostbares Mysterium. Wer wohl hinter dem Mädchen mit dem Perlenohrgehänge stecken mag?
Wer dargestellt wird, ist dafür beim nächsten Bild klar:
Keine fremde oder wenig bekannte Frau porträtiert Angelika Kauffmann: was auf dem Porträt sanft, beinahe scheu und bescheiden erscheint ist sie selbst: sie ist im Mittelpunkt, selbstbewusst stellt sie sich dar, überzeugt von sich und ihrem Werk. Dass einer Frau damals solche Ehre zuteilwerden konnte!
In scharfem Kontrast zur selbstbewussten, ja leicht überheblichen Angelika Kauffmann nun die Sklavin (oder ist sie frei?) Madeleine: Sie sagten mir, Madeleine, wer ich zu sein hatte. Auch die gutmeinende Marie-Guillemine Benoist. Liberté, égalité, na ja. Ich will selbst sagen, wer ich bin! Aber sie gaffen nur, haben nicht die geringste Ahnung, wer ich bin und woher ich komme! Dieser Gegensatz vom «ich» der Angelika Kauffmann und dem ohnmächtig-unterwürfig aufbegehrenden Gehorsam der Madeleine! Dieser Kontrast von der überheblichen Freiheit und der vermeintlich aufgehobenen Sklaverei!
Ich habe die Lektüre, die Bilder, auch manche Nachforschungen genossen. Spannend, wirklich, diese Vielfalt der Themen und Darstellungsweisen, eine geballte Lektion in Kunstgeschichte, Kunstvermarktung und soziologischer Geschichtsschreibung. Ich bin gespannt, wies weitergeht, welche Themen, Fragen, Einblicke noch kommen werden!