Nachdem ich den zweiten Abschnitt fertig hatte, habe ich überlegt und überlegt, was ich dazu sagen könnte, aber ausser, dass die Variante “Rose stirbt bei der Geburt (und Luke darf nun ein richtig schlechtes Gewissen haben?)” mir zu sehr an den Haaren herbeigezogen war. Ansonsten wurde ich einfach nicht richtig schlau aus dem Ganzen, und deshalb liess ich es vorerst dabei und wartete lieber erst einmal ab, was noch kommen würde. Gestern habe ich das Buch nun fertig gelesen. Nach nochmaligem intensiven Grübeln weiss ich endlich, was ich abschliessend dazu sagen möchte.
Irgendwie geht es mir so, wie wenn ich nach einem vielversprechenden Vorfilm im Kino war und dann feststellen muss, dass der Vorfilm bereits die besten Szenen enthielt und leider keine ähnlich guten mehr dazu kamen. Der “Vorfilm” zu diesem Buch waren der Klappendeckel, also das nicht uninteressante Thema, und die beiden ersten Szenen, die sehr schöne Beschreibung des Mutterglücks kurz nach der Geburt sowie die sehr anschauliche Schilderung des Zoffs mit Luke. Ich hatte sofort Lust auf mehr bekommen, und muss am Ende leider feststellen, dass bis auf einige gelungene Formulierungen hier und da nichts Vergleichbares mehr hinzukam. Die Autorin weiss flüssig zu schreiben, ihr Buch liest sich leicht und locker, war somit also keine Quälerei. Dennoch liess es mich am Ende eher etwas enttäuscht zurück.
Wenn ich es in der Schule hätte lesen müssen, wäre jetzt wohl die Hausaufgabe, die 9 verschiedenen Leben(svarianten) zu schildern. Dafür würde ich mir eine Excel-Tabelle anlegen, mit den Nummern 1-9 in der Spaltenbeschriftung. In die Zeilen kämen die entscheidenden Merkmale der einzelnen Kapital (Kind / kein Kind / geschieden / fremdgehen R. / fremdgehen L. etc.), und den Kapitel-Untertiteln entsprechend - “Rose Leben 1-9” / “Rose Leben 1 & 2” / “Rose Leben 3, 4 & 5” etc. - würde ich dann ein “x” in die jeweiligen Spalten setzen. Mathematik im Deutschunterricht, sozusagen :-). Zum Glück bin ich aber nicht in der Schule und kann mir diesen Aufwand ersparen. So will ich schliesslich in meiner Freizeit kein Buch durcharbeiten müssen. Deshalb komme ich zu dem Schluss: Diese Verschachtelung mag geschickt konzipiert worden sein, aber sie dient den Leser/innen in keiner Weise und hätte vom Lektoriat wohl besser verhindert werden sollen. (Ausser, es wäre ihnen zumindest eine Möglichkeit eingefallen, wie man trotzdem jederzeit die Übersicht behält.)
Ein Licht auf meine permanente Frage nach dem ‘Warum’ dieser Verschachtelung ist mir aufgegangen, als ich gelesen habe, dass die Autorin Kurse in Kreativem Schreiben gibt. Da sah ich es förmlich vor mir, wie die Autorin eine ‘Rose, Luke & und die Kinderfrage’-Basiserzählung entwirft, den einzelnen Szenen ein Datum verpasst und anschliessend den kreativen Schreibprozess in Gang setzt, indem sie sich zu allen datierten Momenten eine andere Ablaufvariante ausdenkt. Und nach 394 Seiten war es dann mal gut! (Naja, ein bisschen wird im Lektoriat sicher schon noch daran gefeilt worden sein. Vielleicht hatte Donna Freitas sogar befürchtet, dass dieser Prozess noch viel länger dauern könnte, weshalb sie sich mit ihren Daten in den letzten Kapiteln bereits in den Jahren 1923 und 1924 befindet, ohne dass irgendetwas Futuristisches darin vorkäme.)
Zu euren bisherigen Diskussionen, die ich mit Interesse verfolgt habe: Dass ich dazu so gar nichts beitragen mag liegt hauptsächlich daran, dass auch mich die Figuren nicht wirklich gepackt haben. Dazu fehlt ihnen einfach die Tiefe. Zudem ist alles, was über Rose’s Eltern erzählt wird, für meinen Geschmack eine Spur zu perfekt und somit zu kitschig ausgefallen. (Das Cover hätte mir wohl doch eine Warnung sein sollen.) Ich vermute ebenfalls, dass die Mühe, die die meisten von uns mit diesem Buch zu haben scheinen, tatsächlich etwas mit dem Kultur-Unterschied zur US-amerikanischen Gesellschaft zu tun hat.
Danke trotzdem, Fanny, dass ich in dieser Leserunde dabei sein durfte.