Kein Buch steht für unsere Zeit zentraler als das vom ehemaligen irischen Filmkritiker, heutiger Autor Paul Lynch „Das Lied des Propheten“ - aus dem Englischen meisterhaft übersetzt von Eike Schönfeld - gekrönt mit the Booker Prize 2023. Erleben Sie ein intensiver, brillanter, eindringlicher, emotionaler, mutiger, unvergesslicher, anregender, erschreckender Roman… einfach triumphal! Das heutige Irland beginnt schleichend, dann rasch in eine Diktatur zu verwandeln. Zwei Beamte der neu formierten Geheimpolizei, die Garda National Services Bureau kurz GNSB, klopfen an einem dunklen verregneten Abend an der Haustür der Familie Stack und wollen Eilish Stacks Ehemann Larry, dem Stellvertretenden Generalsekretär der Lehrergewerkschaft bloss ein paar Fragen stellen. Von hier beginnt die Geschichte der Protagonistenfamilie und Paul Lynch drängt uns in die Welt von Eilish Stack hinein, einer vierfachen Mutter, Molekularbiologin und sie hat eine Art was an sich das philosophisch und emotional ist was ihre Wahrnehmungsweise angeht. „Was ein Kind dieses Alters von der Welt wissen kann, das Aroma der Angst von der Welt wissen kann, das Aroma der Angst an ihrem Körper, das Kind lernt diesen Geruch kennen, der sich nicht wegwünschen und auch nicht unterdrücken lässt, das Kind nimmt das Trauma der Mutter in sich auf und speichert es im Körper zu späterem Gebrauch, das Kind als Erwachsener von Furch und blinder Unruhe befallen, es schlägt nach denen um es herum, sie hält einen beschädigten Mann im Arm.“ sagt Eilish, als sie ihren kleinen Sohn im Arm hält und probiert einzuschlafen. Kurz nach dem unangemeldeten Besuch der GNSB verschwindet Larry, als später dann auch ihr ältester Sohn Mark verschwindet wird Eilish überwacht und alles lauft aus dem Ruder, die Republik bröckelt. Durch den verhängtem Notstandsgesetz gelten keine Bürgerrechte mehr, Ausgangssperren treten in Kraft und das Internet fällt aus. Alles wird zur Qual. Klares Wasser, einen gültigen Reisepass, medizinische Hilfe wird zur Kostbarkeit. Simon Stack, Eilish’s Vater, der an Demenz leidet und sich im Vergessen verliert versinnbildlich das Geschehen rundherum. Er ist auch einer der Gründe, warum Eilish nicht aus dem Land flüchten will, auch wenn ihre Schwester Aìne in Kanada für die Flucht alle Vorbereitungen getroffen hat. Erst als ihr ein weiteres, schreckliches Unglück widerfährt, entscheidet sie sich um. Das Cover ist passend zur Story gewählt, dunkel und erdrückend. Dennoch hat mich der Roman von Paul Lynch samt seiner Schreibfeder begeistert, den durch seine stellenweise poetische Ader gab es auch Raum zum Atmen. Der Autor verbannt Absätze und Redezeichen und doch konnte ich der Erzählstil fliessend lesen und gut verstehen, wusste stets welche Figur sprach und konnte die Sprache somit geniessen, was natürlich für andere LeserInnen evtl. stolpernd sein kann. Ein Highlight und absoluter Lesegenuss.