Jacqueline78 Selbstverständlich habe ich das Buch auch fertig gelesen, greife aber auf meine Notizen nach Beendigung des 2. Teils zurück: «SEINETWEGEN» Einige Gedanken zu Teil 2, pp. 62-121
Die Aufsplitterung des zweiten Teils in eine Vielfalt von Exkursen, wohl eine Spiegelung des seelischen Zustandes der Autorin, endet in einem Puzzle mit unauffindbaren Teilen, wirkt krass, ja manchmal gar übertrieben. Wenn ich die abgehandelten Themen chronologisch lese, bin ich vorerst erstaunt, was sich alles in ein Buch packen lässt, und verliere mich gefühlt oft in Nebenthemen. Wenn ich mir aber dann überlege, was sich in den sechs Jahrzehnten an Verlust und der damit verbundenenTrauer in der Autorin angesammelt hat, ist die Lawine von irgendwie mit dem Unglück verbandelten Erinnerungen nur allzu gut nachvollziehbar:
Dahinter steckt auch Kalkül: Die Stimmung wird durch Anekdoten mit Personen geschildert: Neben Elenas Künstler-Ehegatte, der als Hypochonder schlecht dasteht p.62, dem kleinen Italiener mit den Hosenträgern p.72, dem homosexuellen Henri und dem Film «Broke Back Mountain» p.76 — sexuelle Neigung, die später noch eine wichtige Rolle spielen wird —, Manfredis Arztkollegen, der ein Jahr später stirbt p.111 werden weitere Schicksalsschläge abgehandelt: Die drei Cousinen, die alle einen Menschen durch einen Verkehrsunfall verloren haben p.63, die Schlachten des 1. Weltkriegs p.66, die Tänzerin Isidora Duncan, deren beide Kinder bei einem Autounfall starben p.87, sowie der Lokführer, der sie im Führerstand mitfahren lässt und über die erlebten Suizide berichtet p.119
Eher als Füllmaterial betrachte ich schon eher die grenzwertige Geschichte mit den Telefonbetrügern auf p.70, die Beschreibung der Agglo p.71, das Geschichtchen mit der Urne p.75 und die Erlebnisse mit ihrem Lieblingshund Shedir.
Die Landsgemeinde Glarus p.97 und der Brand ebenda 100 sollen wohl helfen, das Klima des Unfallkantons greifbarer werden zu lassen. Die Mentalität der Glarner legt die Basis zum Verständnis der Reaktion der involvierten Personen, und die Schilderung der Biografie der Magdalena Troxler pp. 120-121 vermittelt ein einsichtiges Bild der sozialen Verhältnisse im August 1963.
Und wenn ich mir dann überlege, was hinter den Gedankenketten, im ersten Teil noch Assoziationen genannt, steckt, sehe ich, wie die im weitesten Sinn mit dem Hauptstrang verbandelten Episoden dazu dienen, das Ende vorzubereiten. Ich denke mal, del Buono will schildern, wie Unwägbarkeiten, Verknüpfungen, Zufälle und Dinge, von denen man meinte, sie hätten keinen Einfluss auf unser Handeln, wegweisend sein können.
Ich stelle mir auch vor, dass die Autorin diese Ideen nicht zusammenklauben musste, sondern dass sie in ihr steckten und sich beim Schreiben aus ihrem tiefsten Inneren ergaben, als Potpourri, oder wie es “bookpicker” nennt, als Mosaik ihrer Gedanken. Darüber stehen, quasi als vereinende Kommentare, die oft tiefgründigen Unterhaltungen im Kaffeehaus über Urnen, Erinnerung, Reden und Handeln sinniert.
Sind also das Wo? und das Wann? mittels Anekdoten geklärt, bleibt noch das Wer? Und so wird vermeintlich nebenbei auch das eigentliche Thema, die Suche nach dem Töter, abgehandelt: Vorerst allerdings erfolgt ein 2-monatiger Aufschub p.69, dann steht nochmals ein Exkurs an mit dem gleichnamigen Antilopen-Ernest in den USA p.82. Weitere Inputs erfolgen durch eine Frau an einer Lesung pp.83-84, einen vermeintlichen Fund im Telefonbuch p.85, einem 2. Fehlversuch mit dem Rennfahrer p.88. Und dann endlich, ab p 92 wird die Suche intensiviert. Die Kellnerin im Schwert p.94 gibt wieder einmal brauchbare Hinweise und ab Seite 108 kann aufgeatmet werden: Eine neue Spur.
Dcas von mir im 1. Teil erwähnte Kernthema «Schuld und Sühne» kommt immer wieder zum Tragen, probiert die Autorin doch stets von Neuem, sich in den Täter hineinzuversetzen: Ob Traxler jemals versucht hat herauszufinden, wie Mutters und mein Leben verlief? p.115
PS: ist ein bisschen lang geworden, aber da wir das Buch im Dez im Literaturzirkel behandeln werden, habe ich mich mal wieder reingekniet