Eine sehr gelungene Auflösung, wer «Du» bist: die Autorin selbst! Wahrscheinlich nicht autobiografisch, sondern einfach als eine andere Erzählart der «Ich-Perspektive». So zumindest habe ich das empfunden. Und ein sehr hübscher Einfall, die Idee mit den Gesteins-Verschiebungen dem Nachlass des Grossvaters zuzuordnen!
Besonders angesprochen haben mich die vielen Bilder, die die Autorin sprachlich heraufbeschworen hat (z.B. die Trauer bei der Beerdigung des Grossvaters, von der jeder Handschlag ein wenig mit in die eigene Manteltasche nimmt; oder der kleine Welpe, der in die grossen Pfoten hineinwachsen muss; um nur zwei dieser Sprachbilder zu nennen) und die klare Struktur des Romanaufbaus, die man erst am Schluss richtig erkennt, die dann aber die sorgfältige Arbeit mit dem Stoff zeigt.
Es blieb vieles offen, was ich aber sehr stimmig finde, denn das Leben selbst ist ja auch offen. Und ich hätte es jetzt entweder kitschig gefunden, wenn ein Happyend für Alois beschrieben worden wäre, oder deprimierend, wenn eine der sehr liebenswert geschilderten Personen ein grausiges Ende erlebt hätte.
Es hat sich aber auch vieles aufgelöst am Schluss. Wir wissen jetzt,
dass Elisabeth die Bäckerei weiterbetreiben und sogar auf einen neuen Stand heben wird,
dass Ruth ihre zweite «Weltreise» beendet hat und zurückkehrt ins Dorf, dass sich auch ihre Beziehung zu Elisabeth verbessert hat, sie nicht mehr diesen aggressiven Mutter-Tochter-Bezug haben, der sie mit 18 von zu Hause weggetrieben hat, sondern sie jetzt auf einer erwachsenen Ebene miteinander umgehen können,
und – für mich am bewegendsten – dass Alois für den immer wieder nur nebenbei erwähnten «Camenzind» eine innige Freundschaft hegt, dass sie keine platonischen Männer-Kumpel sind, sondern zumindest Alois wahrscheinlich (es wird ja nicht so explizit gesagt) schwul ist und sich dies endlich eingesteht und schliesslich aufbricht zu Camenzind.
Das Lesen fiel mir phasenweise schwer: Die vielen, teilweise auf den ersten Blick unbemerkt bleibenden Zeitsprünge, der Satzbau mit den häufigen indirekten Reden und oft fehlenden Verben, die Andeutungen, aus denen man erst beim zweiten Lesen schlau wurde, die kantige Kargheit, aus der aber ganz viel Tiefgang zu spüren war: nicht einfach, aber hoch literarisch (okay, dafür wurde sie ja auch für den Buchpreis vorgeschlagen 🙂)!
Fazit für mich: Ein Buch, das sich erst auf den zweiten Blick erschliesst und das sich lohnt, ein zweites Mal gelesen zu werden, sobald man das Ende erreicht hat. Ein rundum gutes Buch, auch wenn ich es nicht jedem empfehlen würde. Ich habe sehr gern an dieser Leserunde teilgenommen, vielen Dank!