Ich bin grad noch rechtzeitig mit Kapitel 10 fertiggeworden, ehe die neue Woche startet.
Hm, ich hatte ja auch diese Schwierigkeiten, Max als Figur “wichtigzunehmen”, in dieser Erwartungshaltung, dass er eben eh wieder verschwinden würde: von daher wäre es definitiv ein verblüffenderer Twist gewesen, würde das Ghosting nicht vorher schon erwähnt worden sein. Andererseits hätte es mich wohl gefuchst, dass er plötzlich wieder weggewesen wäre (ähnlich zu jenen Romanen, in denen der Verfassende dann eine gut eingeführte, wichtige Figur ganz plötzlich sterben lässt), wobei mich das wiederum Ninas Gefühlswelt wohl deutlich nähergebracht hätte als ständig im Hinterkopf zu haben: “Mädel, lass das mit dem Max doch besser; der Typ hält eh nicht vor.”
Generell zum Ghosting: Mir (38) ist das durchaus ein Begriff gewesen; ich habe mich aber auch vor 20 Jahren schon sehr rege in diversen Onlinecommunities getummelt und habe darüber viele Menschen kennengelernt. Online-Dating ist mir so auch nix Unbekanntes; okay, in dem Thema stecke ich spätestens seit meiner Hochzeit nimmer akut drin… aber grundsätzlich habe ich schon so eine gewisse Identifikationsquote mit Nina.
Im persönlichen Umfeld habe ich das Ghosting gar einmal so miterlebt, dass sich danach herausstellte, dass es den Kerl so, wie er sich gegeben hatte, gar nicht gab. Der hatte sich tatsächlich eine komplett neue Identität kreiert, wie ein Heiratsschwindler, der halt noch vor dem Abzocken plötzlich weg war.
Da @Fanny ja auch schon früh dieses “eigentlich haben wir uns ja nicht mehr viel zu sagen”-Ding der Freundschaft angesprochen hat, und ich glaube, @Bubo hatte sich ebenfalls dazu geäußert: Ich überlege ja manchmal, ob die Welt heute einfach nur so schnelllebig geworden ist, dass wir Menschen einfach allzu gerne an irgendeiner Konstante von früher festhalten wollen und dabei, auch in Bezug auf alte Freundschaften, häufig zu übersehen versuchen, dass man womöglich in ganz andere Welten abgedriftet ist und sich einfach jeder weiterentwickelt hat.
Mir ist das nun im letzten Jahr besonders aufgefallen, als ich (Pandemie, Lockdown, eh fast alle meistens zuhause) Kontakt zu verschiedenen FreundInnen von früher, teils auch noch aus Schulzeiten, aufgenommen habe: Da gab es dann mitunter auch diese unangenehmen Momente, in denen man merkte, dass die frühere “Best Friends Forever”-Gruppe heute keinesfalls mehr funktionieren würde (während ich heute erstaunlicherweise mit Leuten, die früher halt “einfach auch irgendwie da waren” und mit denen es aber nie echte Berührungspunkte gab, richtig intensive Gespräche führen kann); zu meiner allerbesten Freundin von früher ist der Kontakt inzwischen auch eher sporadisch und da denke ich manchmal auch: “Verdammt, ich würde diese Freundschaft gerne wiederhaben. Da hättet ihr euch beide mal mehr anstrengen sollen, dass es gar nicht erst so weit gekommen wäre.” Aber: Ich weiß genau, dass heute eine gemeinsame Basis absolut fehlt; von dem, was uns früher verbunden hat, haben wir uns beide vollauf gelöst. Bei Nina und Katherine habe ich den Eindruck, dass da eben genau diese Einsicht fehlt und man “dicke Freunde” bleibt, weil, war halt schon so und früher hat es ja auch hervorragend funktioniert.
(Ich überlege da hinsichtlich des Vaters übrigens auch, ob Ninas Mutter nun zur Realitätsflucht/-verleugnung neigt, oder ob sie in der gegenwärtigen Situation nicht doch einfach nur merkt, dass sie sich unbewusst über Jahre in diese Situation manövriert hat, in der sie längst nicht mehr sie selbst gewesen ist bzw. wo sie eigentlich längst einen Schlussstrich hätte ziehen sollen, so dass sie jetzt hoffnungslos überfordert ist. Mich erinnert sie irgendwie an eine Bekannte meiner Eltern, deren Ehemann durch Krankheit zum Pflegefall wurde, und die zwischenzeitlich einräumte, vor seiner Erkrankung schon drei Jahre lang mit dem Gedanken an eine Scheidung gerungen zu haben.)
Vielleicht ist Ghosting aber ebenfalls nur ein Merkmal des schnelleren Zeitgeists? Bei den von mir beschriebenen Freundschaften war es so, dass die halt einfach auseinandergedriftet und gemächlich eingeschlafen sind (jemand ist umgezogen, man meldete sich einfach immer seltener beieinander, bis der Kontakt irgendwann auch völlig eingeschlafen war…): Das Endergebnis ist da ja gar nicht so viel anders als beim Ghosting; nur, dass man bei Letzterem wie eine heisse Kartoffel fallengelassen wird und bei Ersterem hat sie zuvor eben noch Zeit zum Abkühlen.