Gespannt «wie ein Fidelbogen» war ich nach dem ersten Teil. Nun habe ich den zweiten ausgelesen und überlege, wie ich ihn am besten einordnen kann. Ich hatte wohl erwartet, dass wir nun Niklas’ Sicht auf die Dinge ähnlich dicht geschildert bekommen, wie das in Beas Teil der Fall war. Aber so war es ganz und gar nicht, Niklas blieb auch in ‘seinem’ Teil eher zurückhaltend, und im Nachhinein finde ich das sogar irgendwie stark von der Autorin, dass sie die unterschiedlichen Persönlichkeiten der beiden so konsequent durchzieht. Manche von euch haben sich ja schon im ersten Teil ab Bea genervt, das war bei mir weniger der Fall, aus ihrer Sicht konnte ich sie voll uns ganz verstehen. Aber nun erfahren wir erstmals, wie belastet sich Niklas fühlte durch den Druck, die Familie finanzieren zu müssen. Dass die Hauptlast hier bei ihm lag, hatte er offenbar akzeptiert – akzeptieren müssen? –, weil Bea stärker unter dem Suizid ihres Bruders gelitten hatte als er unter demjenigen des besten Freundes und sie sich deshalb mit dem niedrigeren Lohn zugunsten der sinnvolleren Arbeit beim Roten Kreuz zufriedengab. Aber die Arbeit als Arzt ist anspruchsvoll und dass er den höher dotierten Chefarztposten annimmt, nicht zuletzt auch auf Beas Drängen hin, die von einer neuen Küche träumt, stellt sich für Niklas im Nachhinein als Fehler heraus, denn dieser Job stresst ihn nur noch mehr, und die Freude am Arbeiten geht ihm vollends abhanden. Wenn man jetzt Beas Sätze liest und weiss, was Niklas gerade bedrückt, als sie fallen, bleibt nun auch mir das eine oder andere Mal fast schon die Spucke weg, wie ichbezogen Bea ist. Sie sieht wirklich alles nur durch ihre Brille, aber eben, Niklas gibt ihr praktisch kein einziges Mal Kontra, wagt vielleicht höchstens mal, einen kleinen Einwand vorzubringen, den sie dann prompt wieder vom Tisch wischt, aber mehr kommt nicht von ihm und so gibt er ihr quasi fast keine Chance dazuzulernen. Langsam, aber stetig driften sie immer mehr auseinander.
Es sind nicht immer die gleichen Szenen, die in diesem Teil vorkommen, und so habe ich einmal etwas verwirrt festgestellt, dass Niklas bereits ausgezogen sein muss. Was der Autorin irgendwie glaubwürdig darzustellen gelingt ist, dass sein Ausbrechen aus der Ehe nur indirekt mit Maria zusammenhängt. (Beas im ersten Teil geschildertes gemeinsames Lästern über Maria scheint wohl doch vor allem ihr Lästern gewesen zu sein.) Maria, so wirkt es, ist offenbar die erste Frau, die ihm etwas zutraut. Ihre Äusserung, dass sie es als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, dass niemand irgendetwas immer wieder tun müsse, wenn er das nicht mehr möchte, und jederzeit etwas Neues beginnen könne, und dass sie das wirklich ernst meint damit beweist, dass sie gerade dabei ist, sich von ihrem Mann zu trennen, scheint in Niklas wie ein Samenkorn auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Der grosse Streit am Anfang des Buches, zu dem wir von ihm nichts weiter erfahren, wirkt jetzt wie die letzte Wässerung vor seinem Aufgehen. Erstmals scheint Niklas zu realisieren, wie viele Ansichten er bisher automatisch von Bea übernommen hat, obwohl sie eigentlich gar nicht seiner eigenen Denkweise entsprechen. Schönstes Beispiel dafür sind Tattoos im Allgemeinen sowie die Geschichte, dass er sich seinerzeit zusammen mit Jakob, als gegenseitiges Zeichen ihrer Freundschaft, einen Olivenzweig auf den Arm tätowieren lassen wollte. Was er dank Maria, die die Vorlage zeichnet, nun nachholen wird, während die ignorante Bea auch nicht den Hauch einer Ahnung davon hat, dass es diesen Zusammenhang zu ihrem verstorbenen Bruder überhaupt gibt.
Tja, was nun wohl noch kommen mag? Ich bin weiterhin neugierig.