Zum Abschluss dieser Runde werde ich euch nochmals so richtig “zutexten”: 😉
Im 4. Abschnitt nimmt das Erzähltempo gegenüber den vorherigen Abschnitten deutlich an Fahrt auf. Mir ist das Tempo fast etwas zu schnell. Ich habe das Gefühl die Ereignisse überschlagen sich und ich verliere teilweise fast den Überblick, wer sich nun wann in Banyuls, Cassis oder Marseille befindet.
Die Auflösung, dass Varian Fry beispielsweise der Kontaktmann aus dem Prolog ist, wird in einem Nebensatz kurz erwähnt. Wie die Sache mit den beiden Papierhälften genau funktioniert, habe ich zuerst nicht so ganz begriffen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Autorin mehr bzw. genauer auf diesen Punkt eingegangen wäre.
Schade, dass Paulette sich entschieden hat, ihren Kampf auf diese Art weiterzuführen. Mit Louis gab es ebenfalls nochmals ein kurzes Wiedersehen. Auch wenn diese Figur nur der Phantasie der Autorin entsprungen ist, passte sie für mich gut in die Geschichte. Louis und Rosa bringen etwas Licht, Hoffnung und Wärme in Lisas tristen Alltag. Herzzerbrechend war für mich die Szene mit der sehr kurzen Wiedervereinigung von Lisa und ihren Eltern in Marseille. Sogleich mussten sie wieder voneinander Abschied nehmen. 😭
In gewissen Punkten wirkt die Geschichte für mich nicht ganz stimmig bzw. widersprüchlich: Lisa kann sich sehr oft kaum etwas zu essen leisten, geht aber dann unbekümmert mit Paulette auf ein Glas Wein ins Restaurant oder lässt sich beim Frisör verwöhnen. Oder es gibt vorgedruckte Postkarten, aber Briefe über eine gelungene Flucht können versendet werden? Solche Botschaften mussten doch sicher immer verschlüsselt werden sonst wäre der Fluchtweg wohl früher aufgeflogen. Für mich wird das insbesondere im letzten Teil zu wenig deutlich hervorgehoben.
Einige kleinere Fragen blieben für mich noch offen und haben mich so lange umgetrieben, dass ich recherchieren musste. Unter diesem Link, habe ich unter der Aufzählung “Hans and Lisa Fittko” viele Zitate von Varian Fry und aus Lisas Buch “Mein Weg über die Pyrenäen” gefunden.
Sehr lange hat mich die Frage beschäftigt, was für ein Manuskript Walter Benjamin wohl in seiner Aktentasche mitgetragen hat, das für ihn anscheinend ausgesprochen wertvoll war. Dabei bin ich auf folgenden Literarischen Essay in der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik gestossen (ein Wiederabdruck aus Lisas “Mein Weg über die Pyrenäen”): Insgesamt ein lesenswerter Text von Lisa Fittko zu Walter Benjamin.
Ich zitiere hier lediglich aus dem Schlussteil ab S. 12
Weltfremd, wie er war, zählte für ihn nur, daß sein Manuskript und er selbst außerhalb des Zugriffs der Gestapo waren. Die Flucht über die Grenze hatte ihn erschöpft, und er glaubte nicht, daß er imstande wäre, sie zu wiederholen, das hatte er bei unserem Aufstieg zu mir gesagt. Auch für diesen Fall hatte er alles im voraus berechnet: Er hatte genügend Morphium bei sich, um sich mit einer tödlichen Dosis das Leben zu nehmen. Betroffen und erschüttert über seinen Tod ließen die spanischen Behörden die Gurlands weiterreisen.
Vierzig Jahre später unterhielt ich mich einmal mit Professor Abramsky aus London, und wir kamen auf Walter Benjamin und sein Werk zu sprechen. Ich er wähnte seinen letzten Gang und das Manuskript. Bald darauf rief Prof. Gershom Scholem mich an, Benjamins engster Freund und einer seiner literarischen Nachlaßverwalter. Er hatte durch Abramsky von unserer Unterhaltung gehört und wollte mehr wissen, und ich schilderte ihm die Ereignisse jenes Tages Ende September 1940.
»Wenigstens das Manuskript, an dem ihm so viel lag, wurde gerettet«, sagte ich.
»Das Manuskript existiert nicht«, sagte Scholem. »Bis heute hat nie jemand davon gehört. Sie müssen mir alle Einzelheiten erzählen, es muß danach gesucht werden –.«
Die Stimme spricht weiter, aber ich höre nur: Das Manuskript ist verschwunden.
Und all diese Jahre hatte ich einfach angenommen, es sei gerettet worden.
Kein Manuskript. Niemand weiß etwas von der schweren schwarzen Tasche mit dem Werk, das für Benjamin wichtiger war als alles andere.
Das Manuskript konnte nicht gefunden werden, nicht in PortBou, nicht in Figueras und nicht in Barcelona. Nur die schwarze Ledertasche wurde damals im Sterberegister eingetragen mit der Bemerkung: unos papeles mas de contenido desconocido – mit Papieren unbekannten Inhalts.
Das Manuskript ist damals also spurlos verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Und die Geschichte wird sogar noch spektakulärer. Obwohl in der Literatur immer von einem Selbstmord Walter Benjamins ausgegangen wird, sind die genauen Umstände seines Todes anscheinend bis heute ungeklärt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit, verzichte ich hier auf weitere Ausführungen. Falls es jemanden interessiert, so findet ihr hier einen Zeitungsartikel mit weiteren Details dazu.
Das Buch war für mich sehr interessant, lehrreich und eindrücklich, obwohl es auch gewisse Fragezeichen bei mir hinterlässt. Gegen Schluss hat es mich ein wenig gestört, dass der Text ziemlich viele Rechtschreibfehler enthält. Ich hatte das Gefühl gegen Ende wurden sie wesentlich zahlreicher und störender. Beispielsweise Madame Bertrand, die Lisa mit ihren Eltern half, wird im Text mit dem falschen Personalpronomen in Verbindung gebracht:
«Ich bringe Ihre Eltern sicher her», versprach er.
Ich werde wohl zeitnah, das von @kaba empfohlene Buch “Mit dem letzten Schiff” von Eveline Hasler lesen.
Bitte entschuldigt meine langatmigen Ausführungen. Vielleicht können einige von euch etwas Brauchbares aus meinen Recherchen und eingefügten Links entnehmen…ansonsten einfach ignorieren. 😉