Auf Seite 136 habe ich endlich das passende Zitat gefunden: “Lesen kann kein Laster sein.” In diesem Sinne habe ich mich gespannt, interessiert, mitfühlend, aber auch amüsiert und manchmal verständnislos durch die ersten 148 Seiten durchgeackert. Sie waren nicht uninteressant, etwas langatmig und mit dem “davor” und “danach” gewöhnungsbedürftig.
Es geht einmal um Hannah, eine junge Studentin im fiktiven Pellham College in Oxfort, die mit April zusammenwohnt, einer jungen “Nouveau riche”, die sich in der englischen Upperclass wie ein Fisch im Wasser bewegt. Eine Welt die Hannah nicht kennt, eine Welt die auch mir völlig unbekannt ist. Ehrlich gesagt: Schuhe von “Louboutins, Manolo Blahniks, Jimmy Choos” musste ich erst googeln und ein “tote bag von balanciaga” ist mir völlig unbekannt. Die Kontraste sind in diesem Text zu gross, Hannah ist überzeichnet, es ist übrigens die einzige Person, die mit Tiefenschärfe gezeichnet ist, aber zu mimosenhaft, zerbrechlich bis zum Kitschigen. Wie die (und übrigens auch die Medien) nach 10 Jahre reagiert, das bringen die Medien und Prinz Harry nicht mal bei Lady Di zustande. Wird nur der Name “April” erwähnt, bricht sie schon zusammen vlg. S. 139 unterstes Drittel: “… merkt Hannah, dass ihre Beine zittern, und sie tastet sich zu dem Sitzsack in der Ecke des Ladens, vergräbt ihr Gesicht in den Händen…” und vergisst dabei als schwangere Frau ihren Termin bei der Hebamme.
Hannah liebt Bücher, studiert englische Literatur und arbeitet in einem Buchladen. Da habe ich mich immer gefragt, warum arbeitet eine Frau, die in Oxford Literatur studiert hat, in einem Buchladen, bis dann auf Seite 135 klar wird, sie hat ihr Studium abgebrochen. Der Mord an April, bei dem sie Zeugin gegen John Neville, dem “Profibösewicht”, den es in jedem guten Stück als Antagonisten geben muss, muss ihr Leben aus der Bahn geworfen haben, einerseits hat sie ihr geliebtes Studium abgebrochen, aber anderseits hat sie ihre heimliche Liebe “Will” gewonnen. Wobei diese Liebe für mich gar nicht überraschend kommt, denn schon praktisch beim ersten Treffen (Strippocker) nimmt Will Partei für Hannah, eine Hinwendung, die auch im Weiteren immer angedeutet wird; aber wir sind ja erst auf Seite 148, vermutlich soll dieser Will dann noch als Verdächtiger aufgebaut werden.
Die Welt der Bücher, das ist auch meine Welt, aber das Umfeld, in dem sich Hanna bewegt ist auch für mich zum grössten Teil eine unbekannte Welt. Ich kenne mich ein bisschen in der Weltliteratur aus, habe in meiner Jugend die Klassiker begeistert gelesen, aus der englischen Literatur sind mir Dickens, Stevenson, Defoe, Shakespeare, Wilder, Wells und Doyle bekannt. Hannah spricht auf S. 136 von Jeffrey Acher bis Geoffrey Chaucer und meint damit von alt bis modern und von ernst bist seicht; scheint mir in der weiteren Aufzählung dann doch eher sich im seichten Bereich zu bewegen: P.G. Wodehouse, Paula Hawkins, Michael Palin, Bill Bryson; Stuart Douglas: Shuggie Bain; S.A. Cosby: Razorblate Tears; übrigens eine ganze Leseliste für unsere Chat hier. Die einzigen Filme, die erwähnt werden sind: «Clueless» und «Legally Blonde». Tut mir leid, auch das ein Feld, auf dem ich mich überhaupt nicht auskenne.
Die Geschichte wird aus der Perspektive einer jungen, schwangeren Frau mit Rückblicken in ihre Teeny und Stundentenzeit erzählt, eine Perspektive, die mir 75 jährigen Mann (es gibt Leute, die sagen mir Boomer) alles andere als geläufig ist; für mich ist Hannah zu unausgeglichen, mimosenhaft, April zu stereotyp (eine Figur aus dem Trashtv),, entspricht absolut der Heldin des Trivialromans (reich, schön, plantinblond vgl. Legally Blonde); man merkt, dass die Autorin eine Frau ist, (Luxuslabels, Perspektive) und es erkläre mir mal jemand, was das auf S. 113 heisst: “… umarmte sich auf männliche Art.”
Fazit: habe mich gefreut, mal wieder in einem Buch so richtig zu fledern, vor- und zurückzublättern, zu googeln, Notizen zu machen, anzustreichen, zu kritisieren und mich zu freuen. Ich freue mich auf die nächsten 168 Seiten. Und ich wage auch schon eine Voraussage, so wie ich diese Art Literatur kenne: Will ist nicht der Täter!