‘Der letzte Mensch’ eine Distropie (wie es heisst, die erste der Weltliteratur) von Mary Shelley besteht aus ‘3 Bänden’ - in einem Buch. Nun habe ich Band 1 gelesen - hier ein kurzes Feedback dazu:
Es scheint, als würde in diesem ersten Band nur Mal ‘Kulissen’ geschoben, das Bühnenbild aufgestellt, die handelnden Charaktere geschliffen - denn von ‘Pandemie’, ‘Distropie’, geschweige denn ‘letzter Mensch’ ist noch kein Häuchlein zu spüren!
Die Geschichte spielt im England 2073 +. Die wichtigsten Protagonisten (des ersten Bandes) werden in ihrer Geschichte und ihrer Charakteren eingeführt, gezeichnet und vorgestellt. Da sind die Geschwister Perdita und Lionel Verney - verwaiste Kinder eines in Ungnade gefallenen Freundes des letzten Königs von England, Adrian und Idris, die beiden Kinder des abgedankten (und inzwischen verstorbenen) Königs - vorübergehend die Mutter, die vor allem machtgierig den Thron wieder herstellen will und dazu ihre Kinder instrumentalisiert, Evadne eine griechische Prinzessin, die ebenfalls in den Kreis der königlichen Familie gehört, dann aber flieht und erst später auf verschlungenen Wegen wieder ‘die Erzählbühne betritt’. Raymond, ein Adliger, der als gefeierter Kriegsheld aus Griechenland zurück kehrt. Mit viel Akribie und Detail(fast)versessenheit zeichnet Shelley die einzelnen Figuren in ihrem Werden und Sein, in ihrem Denken und Fühlen. Führt die Wege der einzelnen zusammen und webt daraus ihre Geschichte.
Eine sehr romantisch-bildhafte Sprache, mitunter recht schwärmerisch, dem Zeitgeist geschuldet; viele Anleihen und Zitate aus unterschiedlichen Quellen (z.B. griechische Mythologie) zeugen von einer enormen Bildung der Schriftstellerin. Es wird ausgiebig und ausführlich philosophiert, Gefühle bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet, nicht nur was gefühlt wird, sondern auch woher das kommen mag, wo’s womöglich hinführt - die ganze Physiognomie eingebunden… Mich fasziniert dieser Erzählstil - es mag aber sein, dass es für die Einen etwas gar ‘langfädig’ und zu ausführlich ist - ziemlich ‘ausgewallt’! …man könnte das ganze auch um einiges kürzen - und würde dann doch auf viel Farbnuancen verzichten… Mich erinnert der Schreibstil an den Pointilismus - Tüpfli an Tüpfli ergibt sich ein Bild - man darf nicht zu nah dran - aber aus der Ferne ergibt sich ein grossartiges Ganzes, jedes Tüpfli hat seinen Platz - und erst die andern nebenan, machen das Bild zum Bild.
Ich bin nun gespannt, ob der 2. Teil etwas näher an den Titel kommt - und etwas tiefer ‘in den Sumpf’ geht - jedenfalls geht’s jetzt nach Griechenland - um den ins Nichts verschwundenen Raymon zu suchen…
Was noch speziell ist, ist die Tatsache, dass unsere Zeit ungeniert ins damalige Sprachgefühl gekleidet wird, und dass eigentlich alles, wie damals ist - nichts ‘Utopisches’, ‘Gewagtes’ - vielleicht um der Glaubwürdigkeit und Aussageabsicht des Ganzen nicht Abbruch zu tun.