Rranunkel

  • 5. Nov 2024
  • Beitritt 5. Nov 2020
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  • “Das beharrliche Ticken der Standuhr ist der Herzschlag in der Brockenstube.” Mit diesem ersten Satz, an diesem zeitvergessenen Ort in der Stadt beginnt das Buch. Teresa arbeitet da, wo Gegenstände eine Geschichte haben, und sie macht sich auf, über ihre eigene Familiengeschichte nachzuforschen. Und über diejenige von Mirco. Der würde die Vergangenheit jedoch lieber einfach ruhen lassen. Aus Angst vor der Wiederholung von Verlust und Schmerz. Sie begibt sich auf abenteuerliche Spurensuche, entdeckt mögliche atemberaubende, tragische, mörderische Zusammenhänge und stellt eigene Überlegungen an. Mit denen füllt sie die Lücken der Geschichten, die durch das Schweigen der Familien entstanden sind. Dies scheint über längere Zeit aufzugehen.

    Als Leserin werden wir kapitelweise bruchstückhaft eingeweiht in Geschehnisse über Jahrzehnte hin, an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Menschen. Mit jeder Begebenheit tauchen neue Fragen auf und einige bleiben auch am Ende offen. Ein Angebot, die Erzählfäden aufzunehmen und selbst weiterzuspinnen… Wie Teresa. Sie kommt zum Schluss: “Ich bin es, die Geschichten erschafft. Nicht umgekehrt.”

    Mit ihrem virtuosen Umgang mit Sprache gelingt es Rebekka Salm nicht nur, den Leser in ihr Geschichtengeflecht mitzunehmen, sondern: Mit Gespür für Dramaturgie zieht sie die Spannungsbögen geschickt durch die 195 Seiten und vermag immer wieder zu überraschen - sei es mit einer Wendung, mit Heiterkeit oder Tiefsinn. Damit erschafft sie ein Bild für das zuweilen verworrene Leben, welches unvorhersehbar bleibt und den einen oder anderen Haken schlägt. Unaufgeregt lebhafte Wortspiele, kluge Gedanken und subtiler Humor treffen manchmal mitten ins Herz.

    Rebekka Salm mit ihrer präzisen, aufrichtigen Schmunzelsprache ist für mich zweifellos eine Entdeckung. Was Bücherschreiben betrifft, scheint sie zu wissen, wie der Hase läuft.

  • Belana_st

    Es gibt ein paar Stellen, die bei näherer Betrachtung erstaunlich Bezug nehmen, ergänzen, aufgehen - z. B.:

    S. 77: “Er roch eine Mischung aus Emmas Parfum und den dunklen Duft der Regentonne, die schwer daran tat seine Geheimnisse zu verdauen.” nimmt den Faden bzw. das feine Netzwerk der Themen und Andeutungen rund um die Regentonnen wieder auf von S. 34, : “Das Dorf seiner Kindheit, das sich eingegraben hat in eine Falte des Juras und in seine Erinnerungen. Wo die Sonne sich im Winter nur wenige Stunden über die Hügelkuppen zu heben vermag und nur Gerüche länger leben als Schatten. Wo Geheimnisse in Regentonnen verschwinden. Und in Menschen.” (dunkler Duft - Gerüche leben länger als Schatten, dunkel - Schatten, Geheinisse verdauen - Geheimnisse verschwinden

    Schlicht und genau treffend finde ich folgende Aussage, mit der wohl viele etwas anfangen können im Zusammenhang mit Erinnerungen an die eigene Kindheit:

    “Die Realität konnte mit dem Wandteppich seiner Kindheit nicht mithalten.” (S. 76)

    Die Erschiessung des Bäckers fand ich unspekatkulär und gleichzeitig atemberaubend geschrieben. Wohl Rebekka Salm eben.

  • Mit der ihr eigenen Sprache zieht Rebekka Salm mich in ihr Geschichtengeflecht. Einige Sätze oder kurze Abschnitte zeichne ich im Buch an - das will was heissen, was Gutes, denke ich.

    "Menschen sind getrieben, allem, was geschehen ist, eine Folgerichtigkeit zu verleihen.
    Ich bin davon getrieben.
    Ich will immer verstehen.
    Erzählen ist Verstehenwollen." (S. 24)
    Dann S. 27: “Wieviele Geschichten muss man gehört haben, bevor man behaupten kann, jemanden zu kennen?”

    Wie Rebekka Salm die Ebene des aufs Wesentlichste reduzierten Erzählstils mit ihren weitergehenden, teils philosophischen Überlegungen scheinbar harmlos, schlicht (und) kunstvoll zusammenpackt, spricht mich an. Hat sie nicht gerade unspektakulär, genau und im Allgemeinen auf den Punkt gebracht, was hinter allem Bücher- und eben Geschichten-Erzählen und -Schreiben steckt?

    “Wenn Emma wütend gewesen sei, habe sie Teppiche geklopft. Wenn sie traurig gewesen sei, habe sie ebenfalls Teppiche geklopft. Im Haus seiner Grosseltern, sagt Mirco, hätten die saubersten Teppiche im Dorf gelegen.” (S. 27)

    Etwas distanziert (ganz im Sinne von S. 19 ganz unten: “Distanz schaffte Klarheit”), hoppelt die Autorin mit den flatternden Strängen der Geschichte neben mir her und trifft mit subtilem Humor (S. 19: “Sie fühlte sich betrogen. Von Gott. Nicht dass Emma an ihn glaubte, aber für einen Irrtum in dieser Grössenordnung konnte niemand anderes verantwortlich sein”) und schonungsloser Direktheit (S. 53: “Sie wartete, obwohl es nichts mehr zu warten gab. Das wussten alle. Nur sagen tat es der maria niemand.” us.w) ins Schwarze und Herz - könnten wir etwa so beginen zu umschreiben, wie Rebekka Salm erzählt?

    Ich freue mich jedenfalls für weiter.

  • Fanny

    Wie schön!

    UNZERTRENNLICH - über den Tod und das Leben von Irvin D. & Marilyn Yalom
    hat mich 2023 bisher am nachhaltigsten berührt.

  • “Löwen wecken” von Ayelet Gundar-Goshen.

    Die Autorin erzählt für mein Empfinden rasend und sprachstark. Dabei gelingt es ihr auf unheimnlich virtuose Art und Weise, oft unauffällig, beinahe unentdeckt, meine Wertvorstellungen herauszufordern. So dass ich im nächsten Moment verstört innehalte. Jedoch nur kurz, denn: Die Spannung steigt mit jeder Seite und es gibt keine Schutzgarantie vor Abgründen, die sich “unterbuchs” auftun. So lese ich gierig immer weiter bis zum (….) Ende, welches mich um ein aussergewöhnliches Leseerlebnis reicher zurücklässt.

  • Bernerin … genau so hab ich das gemacht, der kurze Monat hat gereicht und habe beide gelesen - tolles Kontrastprogramm - und der Bibliothekstapel konnte auch etwas gekürzt werden 🙂

  • Ich steige jetzt erst in den Februar der Lese-Challenge 2022 ein. Im Moment schwanke ich zwischen “Jakob der Lügner” und “Das fliegende Klassenzimmer” - ersteres liegt seit sehr langer Zeit im unteren SUB-Drittel, beim anderen denke ich mir, dass es einfach wunderbar wäre, wieder einmal Erich Kästner zu erleben. Als Kind war er einer meiner allerliebsten Autoren. Nicht nur, was er für Geschichten schrieb und wie er das tat, fand ich wunderbar, sondern ich fühlte mich jederzeit vollkommen ernst genommen und so, als ob ich mit ihm so etwas wie ein Gespräch führen würde.
    Da gerade auch noch Bücher aus der Bibliothek auf ungeteilte Aufmerksamkeit warten, liegt vielleicht wirklich einfach eines drin für die Challenge. Bloss, welches?!

    • Ich bin dabei. DIE Gelegenheit, mir den SUB mit „System“ vorzunehmen, soweit er hergibt, was die Challenge vorgibt.

      Für Januar wähle ich

      Alte Sorten

      Von Ewald Arenz

    • Max Küngs Fremde Freunde!