Nemrac

  • vor 4 Tagen
  • Beitritt 29. Juli 2021
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  • Mit nur knapp 200 Seiten könnte man annehmen, dass Die Vegetarierin eine leichte und schnell zu lesende Lektüre sei. Doch dieser Eindruck täuscht gewaltig. Han Kang schafft es, eine Geschichte zu erzählen, die tief unter die Haut geht und einen noch lange nach dem Lesen beschäftigt.

    Im Mittelpunkt steht Yeong-hye, eine Frau, die auf den ersten Blick unscheinbar und durchschnittlich wirkt – zumindest aus der Perspektive ihres Ehemanns, der sie zu Beginn des Buches beschreibt. Doch als Yeong-hye eines Tages beschliesst, kein Fleisch mehr zu essen, nimmt die Handlung eine verstörende Wendung. Aus einer scheinbar harmlosen Entscheidung entwickelt sich eine Abwärtsspirale, die zunehmend groteske und psychologisch aufwühlende Züge annimmt.

    Die Geschichte entfaltet sich in drei Akten, wobei jeder Abschnitt aus einer anderen Perspektive erzählt wird: die ihres Ehemanns, ihres Schwagers und ihrer Schwester. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Wahn, zwischen Unterdrückung, Trauma und Rebellion. Yeong-hyes innere Welt, die sich Stück für Stück enthüllt, ist ebenso faszinierend wie verstörend. Han Kangs Schreibstil verstärkt diesen Eindruck: nüchtern, präzise und zugleich unheimlich eindringlich.

    Man könnte sagen, dass Die Vegetarierin etwas Kafkaeskes an sich hat, es erinnert an das Gefühl des Fremdseins, der Entfremdung vom eigenen Körper und der Gesellschaft. Doch diese Lektüre ist nichts für Zartbesaitete. Die düsteren Themen, die Gewalt, das psychische Leiden – all das macht die Geschichte schwer zu verdauen. Es wäre keine Übertreibung, wenn man dem Buch eine Triggerwarnung hinzufügen würde.

    Trotz der Verstörung, die es bei mir ausgelöst hat, hat mich Die Vegetarierin auf eine seltsame Weise fasziniert. Es ist ein Buch, das man nicht einfach aus der Hand legt und vergisst. Es verlangt nach Reflexion, nach Zeit, um sich zu setzen, und vielleicht sogar nach einem Gespräch mit anderen, die es ebenfalls gelesen haben.

    Für mich war es eine bereichernde, aber auch sehr intensive Erfahrung. So beeindruckend Han Kangs Erzählweise und ihre Fähigkeit, Abgründe auszuloten, auch ist – in nächster Zeit werde ich wohl nicht erneut zu einem ihrer Bücher greifen. Dafür hallt dieses Werk noch zu sehr nach.

    Wer eine literarische Herausforderung sucht und bereit ist, sich auf eine düstere, tiefgründige und symbolträchtige Geschichte einzulassen, dem kann ich Die Vegetarierin empfehlen.

  • Barbara Bleischs Buch “Mitte des Lebens” verspricht eine philosophische Betrachtung der sogenannten besten Jahre. Doch für mich war die Lektüre eher ein Kampf als eine inspirierende Reise. Das Buch war langatmig, repetitiv und kein flüssiges Lesevergnügen, sondern eher ein zäher Prozess.

    Inhaltlich setzt sich Bleisch mit der Lebensmitte auseinander, einer Phase, in der viele Weichen bereits gestellt sind: Arbeit, Familie, Wohnsituation – vieles ist entschieden. Manche Menschen geniessen dieses Angekommensein, andere fragen sich, ob das schon alles war. Bleisch scheint sich eher in der zweiten Gruppe zu verorten. Die vielen Zitate von Philosophen und Autoren machen deutlich, dass sie sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat, aber ihre eigene Leistung bleibt für mich überschaubar. Vieles wirkt wie eine Sammlung bereits bestehender Gedanken, ohne eine wirklich neue, originelle Perspektive einzubringen.

    Dieses Buch behandelt ein Thema, das in der westlichen, wohlhabenden Welt doch eher ein Luxusproblem ist. Für mich ist es die persönliche philosophische Midlife-Crisis der Autorin, die sie mit diesem Buch auslebt.

  • „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“ von Michiko Aoyama ist ein ruhiges und nachdenkliches Werk, das in fünf Geschichten den Weg und Umweg von fünf verschiedenen Menschen beleuchtet. Auf knapp 300 Seiten erzählt die Autorin von Individuen, die an einem Wendepunkt in ihrem Leben stehen und sich nicht sicher sind, wie und wohin es weitergehen soll. Der zentrale Punkt der Erzählung ist eine Bibliothekarin namens Frau Komachi, die den Menschen, die ihre Bibliothek aufsuchen, zuhört, ihnen Bücher empfiehlt und eine persönliche „Zugabe“ – ein kleines Filzobjekt – übergibt.

    Die Bibliothekarin selbst sagt einmal: „Tatsächlich weiss ich ja nichts von meinen Besuchern, weshalb ich auch zunächst nichts von der Bedeutung anbiete. Jeder findet seinen eigenen Sinn in der “Zugabe”, und das gleiche gilt für die Bücher. Der Leser assoziiert das Geschriebene mit seinem eigenen Leben und zieht etwas sehr Persönliches aus der Lektüre, das vielleicht gar nichts mit der ursprünglichen Absicht des Autors zu tun hat.“ Dieses Zitat zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch, denn es geht um die subjektive Bedeutung von Literatur und wie jeder Leser eine Geschichte auf seine eigene Weise versteht.

    Die Geschichten in „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“ ähneln sich stark, obwohl die Menschen in den Erzählungen verschiedenen Alters, Geschlechts und Wesens sind. Sie alle befinden sich jedoch an einem ähnlichen Punkt in ihrem Leben, wo sie sich verloren oder orientierungslos fühlen. Durch die Empfehlungen der Bibliothekarin und ihre symbolische „Zugabe“ finden sie einen neuen Impuls, eine Perspektive, die ihnen hilft, ihren eigenen Weg zu finden. Die Geschichten sind beinahe wie kleine Selbsthilfebücher, die den Lesern zeigen, dass es immer Hoffnung und neue Möglichkeiten gibt, auch wenn das Leben sich chaotisch oder unklar anfühlt.

    Der Erzählstil ist sanft und ruhig, was eine gewisse Melancholie in den Geschichten schafft. Man merkt, dass die Erzählungen vor allem darauf abzielen, zu beruhigen und dem Leser einen Moment der Besinnung zu schenken. Allerdings konnte ich mich nicht ganz mit der wiederholenden Struktur der Geschichten anfreunden. Obwohl jede Geschichte für sich genommen schön und einfühlsam ist, erschien mir die Ähnlichkeit der Schicksale etwas zu einförmig.

    Trotz dieser Wiederholungen ist „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“ ein schönes Buch für zwischendurch, das vor allem für Leser geeignet ist, die in ruhigen Momenten nach einer sanften Lektüre suchen, die ihre Gedanken anregen könnte. Besonders ansprechend sind die bildlichen Beschreibungen, die in der Vorstellungskraft des Lesers lebendige Szenen und Szenarien erschaffen.

  • In ihrem Buch Wahre Verbrechen – Die erschütterndsten Fälle einer Gerichtsreporterin gewährt Christine Brand einen tiefen Einblick in die Welt des Justizsystems und erzählt von sechs wahren Kriminalfällen. Als Gerichtsreporterin schildert sie aus ihrer Perspektive Fälle, die nicht nur aufgrund ihrer Grausamkeit schockieren, sondern auch zum Nachdenken anregen.

    Jeder Fall nimmt etwa 50 Seiten in Anspruch, sodass die Erzählungen detailliert und dennoch prägnant sind. Die Geschichten sind packend und intensiv, was besonders dadurch verstärkt wird, dass sie auf realen Ereignissen basieren. Von Geiselnahmen über eiskalten Mord bis hin zu weiteren erschütternden Verbrechen gibt die Autorin den Lesern einen verstörenden Einblick in die dunklen Seiten der menschlichen Natur.

    Trotz der düsteren Themen bleibt die Sprache von Christine Brand zugänglich und leicht. Diese klare und verständliche Schreibweise trägt wesentlich zum Lesefluss bei und sorgt dafür, dass sich die der Leser ganz auf die fesselnde Erzählung einlassen kann. Es sind die präzisen, aber nicht überladenen Beschreibungen, die die tragischen Ereignisse so greifbar machen.

    Trotz der relativen Kürze jedes Falles bleibt die Wirkung der Geschichten nachhaltig. Man fühlt sich nach dem Lesen betroffen und oft auch ratlos. Das Buch bleibt im Gedächtnis, und die Auseinandersetzung mit den Verbrechen und ihrer Aufarbeitung fordert zum Nachdenken heraus.

    Fazit: Wahre Verbrechen – Die erschütterndsten Fälle einer Gerichtsreporterin ist ein fesselndes und berührendes Buch, das die Leser auf eine emotionale Reise mitnimmt. Christine Brand gelingt es meisterhaft, wahre Kriminalfälle so zu erzählen, dass sie einerseits erschrecken, andererseits aber auch tiefgründige Fragen zu Recht, Gerechtigkeit und menschlichem Verhalten aufwerfen. Ein Muss für alle, die sich für wahre Verbrechen und die Arbeit von Journalisten im Gerichtssaal interessieren.

  • Marc-Uwe Klings Roman “Views” überzeugt nicht nur inhaltlich, sondern auch durch seine besondere Haptik. Der ungewöhnlich dicke Buchdeckel und -rücken mit 2 mm sowie das schmalere Format im Vergleich zu anderen Büchern sorgen für ein angenehmes Lesegefühl. Das Buch liegt hervorragend in der Hand und lädt förmlich dazu ein, es nicht mehr aus selbiger zu legen.

    Die kurzen Kapitel tragen zusätzlich zum Lesevergnügen bei, da sie den Lesefluss ungebremst halten. Von Anfang an beginnt die Geschichte spannend und mitreissend. “Views” startet als klassische Ermittlergeschichte: Die BKA-Kommissarin Yasira Saad wird mit einem erschütternden Fall betraut – eine Vergewaltigung, die gefilmt und anschliessend im Netz viral gegangen ist. Mit ihrem siebenköpfigen Team setzt sie alles daran, die Täter zu stellen. Doch in der ersten Hälfte des Romans bleiben ihre Ermittlungen ohne greifbaren Erfolg, was die Spannung kontinuierlich aufrechterhält.

    In der zweiten Hälfte des Buches nimmt die Geschichte dann eine entscheidende Wendung: Ein neuer Hinweis taucht auf, der den Fall in eine komplett neue Richtung lenkt. Der Spannungsbogen steigt bis zum Ende stetig an und ganz zum Schluss wird es richtig brutal.

    Der Roman entfaltet eine packende Intensität, die lange nachhallt und den Leser beeindruckt zurücklässt.

  • Zora del Buono begibt sich in ihrem Buch “Seinetwegen” auf eine persönliche Spurensuche. Sie verlor ihren Vater mit nur acht Monaten bei einem Autounfall – ein Thema, das in ihrer Familie jahrzehntelang totgeschwiegen wurde. Nun, 60 Jahre später, stellt sie sich den offenen Fragen: Wer war ihr Vater? Was ist mit dem Unfallverursacher geschehen? Wie hat der Unfall das Leben aller Beteiligten beeinflusst? Gleichzeitig setzt sie sich kritisch mit dem Auto als “Tötungsmaschine” auseinander und thematisiert die gesellschaftliche Normalisierung von Verkehrstoten.

    Das Buch folgt keiner klassischen Kapitelstruktur, sondern ist in zahlreiche kurze Absätze unterteilt. Die Autorin verbindet ihre persönlichen Recherchen mit gesellschaftlichen Reflexionen über den Strassenverkehr, Autokennzeichen und Unfallstatistiken. Diese wechselnde Erzählweise, in der Gespräche mit Freunden, Erinnerungen und Fakten nahtlos ineinander übergehen, empfand ich als stellenweise verwirrend. Der ständige Wechsel der Themen behinderte meinen Lesefluss und erschwerte es, den roten Faden beizubehalten.

    Dennoch konnte mich die Sprache der Autorin überzeugen, auch die eingestreuten schweizerdeutschen Ausdrücke verliehen dem Text eine authentische Note. Es wird spürbar, dass del Buono durch das Schreiben dieses Buches eine tiefgehende Verarbeitung ihrer Vergangenheit erfahren hat. Diese emotionale Ebene macht das Werk trotz der fragmentarischen Struktur lesenswert.

    Insgesamt bietet “Seinetwegen” eine vielschichtige Auseinandersetzung mit persönlichem Verlust, gesellschaftlicher Verantwortung und der Bedeutung von Erinnerungsarbeit. Auch wenn der Aufbau für mich etwas anstrengend war, hinterliess das Buch einen bleibenden Eindruck.

  • Hanya Yanagiharas “Ein wenig Leben” ist ein literarisches Schwergewicht – nicht nur wegen seines Umfangs von knapp 1000 Seiten, sondern auch aufgrund der inhaltlichen Wucht. Das Buch erzählt die Geschichte von vier jungen Männern, die sich während des Colleges kennenlernen und deren Freundschaft sie bis in ihre Fünfziger begleitet. Besonders im Fokus steht Jude, dessen Lebensgeschichte von unvorstellbarem Leid, Misshandlung, sexuellem Missbrauch, Selbstzerstörung und Suizidversuchen geprägt ist.

    Yanagihara zeichnet Judes Kindheit in erschütternder Detailtreue nach, was beim Lesen einen tiefen Eindruck hinterlässt. Ihr Schreibstil ist so intensiv und bildhaft, dass man sich als Leser mitten in der Geschichte wiederfindet. Die emotionale Sogwirkung des Romans ist enorm – trotz oder gerade wegen der erschütternden Thematik. Die Tragik von Judes Leben ist derart prägnant dargestellt, dass sie einen noch lange nach dem Lesen nicht loslässt.

    Doch so beeindruckend der Roman auch ist, gibt es Aspekte, die mich gestört haben. Die langen Kapitel und die zahlreichen Perspektivwechsel zwischen Handlung, Schauplätzen, Zeiten und Personen erschweren den Einstieg und machen den Lesefluss anspruchsvoll. Auch die Vielzahl an Figuren kann verwirrend sein, sodass es mitunter schwerfällt, sich in die Geschichte hineinzufinden. Zudem wirkt die Erzählung insgesamt sehr konstruiert: Alle vier Hauptfiguren sind in ihren Berufen aussergewöhnlich erfolgreich – ein Topjurist, ein preisgekrönter Schauspieler, ein Stararchitekt und ein gefeierter Künstler – und alle verfügen über immense finanzielle Mittel. Auffällig ist auch, dass gesellschaftliche und politische Entwicklungen über die erzählten dreissig Jahre hinweg keinerlei Einfluss auf ihre Welt zu haben scheinen, was die Geschichte in ihrer Gesamtheit unrealistisch erscheinen lässt.

    Dennoch bleibt “Ein wenig Leben” ein bemerkenswertes Buch, das tief bewegt, aber auch mit Fragen zur Konstruktion seiner Welt zurücklässt. Es ist thematisch keine leichte Lektüre, aber eine, die unter die Haut geht und die man nicht so schnell vergisst. Besonders hervorzuheben ist das Thema Freundschaft, das in einer aussergewöhnlichen Tiefe dargestellt wird. Die enge Verbundenheit der vier Männer, ihr füreinander Dasein in guten wie in schlechten Zeiten, macht einen bedeutenden Teil der Erzählung aus und verleiht der Geschichte eine emotionale Kraft, die lange nachhallt. Wer bereit ist, sich auf eine schwere, teils verstörende Geschichte einzulassen, wird mit einem intensiven, wenn auch zwiespältigen Leseerlebnis belohnt.

  • Mit “Späte Rache” bietet Christine Brand eine abwechslungsreiche Sammlung von 13 Kurzkrimis, die sich auf eine angenehme Weise von klassischen Kriminalromanen unterscheiden. Die Geschichten sind zwischen 5 und 28 Seiten lang, sodass sie sich hervorragend als kurzweilige Lektüre für zwischendurch eignen. Zwei Erzählungen beruhen auf wahren Begebenheiten.

    Besonders gefallen haben mir die Kürze der einzelnen Geschichten, der flüssige und eingängige Schreibstil von Christine Brand sowie die Vielfalt der erzählten Kriminalfälle. Jede Geschichte bietet eine neue Perspektive, unerwartete Wendungen und das zentrale Motiv der Rache, was das Buch unterhaltsam macht.

    Allerdings bleibt das Werk nicht nachhaltig in Erinnerung, da die Tiefgründigkeit oft fehlt. Dies ist jedoch keine Kritik im eigentlichen Sinne, da es sich um Kurzkrimis handelt, bei denen tiefgehende Charakterstudien und komplexe Plots nicht im Vordergrund stehen. Vielmehr geht es um spannende, pointierte Kriminalfälle, die sich gut in kurzen Lesemomenten geniessen lassen.

    Fazit: “Späte Rache” ist eine unterhaltsame Sammlung für alle, die Krimis mögen und zwischendurch gerne kurzweilige, spannende Geschichten lesen. Auch wenn das Buch keinen bleibenden Eindruck hinterlässt, bietet es dennoch gute Unterhaltung und zeigt die Vielseitigkeit des Genres.

  • Milena Michiko Flasars Roman Oben Erde, unten Himmel erzählt die Geschichte einer 25-jährigen Frau, die sich bewusst für ein Leben in Einsamkeit entschieden hat. Sie springt von einem Job zum nächsten, ohne wirkliche Erfüllung zu finden, und hat sich mit ihrer Situation arrangiert. Ihre einzige Gesellschaft ist ihr Hamster, mit dem sie in einer kleinen Wohnung in einer japanischen Grossstadt lebt.

    Doch als sie eine Anstellung als Leichenfundortreinigerin annimmt, verändert sich ihr Blick auf das Leben. Ihre Arbeit konfrontiert sie mit sogenannten Kodokushi-Fällen – Menschen, die unbemerkt und oft erst nach Wochen oder Monaten tot in ihren Wohnungen gefunden werden. Kodokushi (japanisch für „einsamer Tod“) ist ein gesellschaftliches Phänomen in Japan, das insbesondere ältere oder sozial isolierte Menschen betrifft. Die Protagonistin wird durch diese erschütternden Schicksale nicht nur mit der Endgültigkeit des Todes, sondern auch mit der Bedeutung von zwischenmenschlichen Beziehungen konfrontiert.

    Zum ersten Mal erfährt sie, was es heisst, in einem Team zu arbeiten, Verantwortung zu übernehmen und Fürsorge zu zeigen. Die Begegnungen mit den Spuren der Verstorbenen sowie mit ihren Kollegen öffnen ihr neue Perspektiven und hinterlassen einen tiefen Eindruck.

    Das Buch behandelt ein faszinierendes und tiefgründiges Thema, das nachhallt und zum Nachdenken anregt – über Einsamkeit, soziale Bindungen und die Spuren, die Menschen hinterlassen. Allerdings empfand ich die Erzählweise als stellenweise zu langatmig. Die Geschichte hätte mit einer strafferen Erzählstruktur genauso gut oder vielleicht sogar noch intensiver wirken können. Dennoch bleibt der Roman in Erinnerung und regt dazu an, über das eigene Leben und den Umgang mit anderen nachzudenken.

    Fazit: Oben Erde, unten Himmel ist ein nachdenklich stimmendes Buch mit einer interessanten Thematik. Trotz einiger Längen lohnt sich die Lektüre für alle, die sich für gesellschaftliche Aussenseiter und existenzielle Fragen interessieren.

  • Manche Bücher haben die wunderbare Eigenschaft, einen sanft zu umhüllen und mit einer wohligen Wärme zurückzulassen – genau so ein Buch ist “Donnerstags im Café unter den Kirschbäumen” von Michiko Aoyama.

    Das Buch ist in zwölf Kapitel gegliedert, wobei die Nebenfigur eines Kapitels zur Hauptfigur des nächsten wird. Dadurch entsteht ein kunstvoll verwobenes Netzwerk von Menschen, deren Leben auf subtile Weise miteinander verknüpft sind. Jede der Figuren steht an einem Wendepunkt, sei es beruflich oder persönlich, und begegnet dabei unerwarteten Möglichkeiten und neuen Perspektiven.

    Ein besonders schönes Zitat aus dem Buch (S. 161) fasst diese Thematik treffend zusammen:

    „Vielleicht spielte aber auch ein jeder von uns mehr oder weniger eine solche Rolle im Leben eines anderen Menschen. Wir lösen in einem anderen etwas aus und ermuntern ihn dadurch zu Veränderungen – ohne es zu wissen.“

    Diese Vorstellung – dass jeder von uns unbewusst Spuren im Leben anderer hinterlässt – macht das Buch so berührend. Es erinnert daran, dass selbst kleine Begegnungen und Gesten einen grossen Einfluss haben können.

    Die Sprache von Michiko Aoyama ist sanft, verspielt und leicht – ein Genuss zu lesen. Ihr Schreibstil vermittelt eine angenehme Ruhe und Tiefe, ohne jemals zu schwer oder melancholisch zu wirken. Mit seinen 192 Seiten ist das Buch kurz und hinterlässt einen bleibenden Eindruck und eine durchweg positive Stimmung.

    Ein Buch, das einen mit einem warmen Herzen zurücklässt – wunderschön, inspirierend und sehr empfehlenswert!

  • Daniel Glattauers Roman “In einem Zug” ist eine kurzweilige, pointierte Erzählung, die ihrem Titel alle Ehre macht. Auf gerade einmal 200 Seiten entfaltet sich eine intensive Begegnung zwischen zwei einander unbekannten Fremden während einer Zugfahrt von Wien nach München – ein Setting, das dem Buch eine besondere Dynamik verleiht.

    Die Geschichte beginnt, als Catrin Meyr, eine Physio- und Psychotherapeutin im jüngeren mittleren Alter, den älteren Eduard Brünhofer, einen ehemals gefeierten Autor von Liebesromanen, anspricht und ihn in ein Gespräch über Liebe, Leidenschaft und Sexualität verwickelt. Was zunächst als gezielte Ansprache beginnt, entwickelt sich rasch zu einer vielschichtigen Konversation, wobei Catrin die Gesprächsführung übernimmt und Eduard zunehmend in die Mangel nimmt. Die geschliffenen Dialoge sorgen für eine mitreissende, teils amüsante, teils tiefgründige Dynamik, die den Leser in ihren Bann zieht.

    Besonders hervorzuheben ist Glattauers Fähigkeit, die gesamte Handlung auf einen einzigen Ort – der Zug – zu beschränken, ohne dass Langeweile aufkommt.

    Das Ende nimmt eine unerwartete Wendung, die dem Leser einen nachdenklichen Moment beschert. Insgesamt ist “In einem Zug” ein kurzweiliger, unterhaltsamer und leicht zugänglicher Roman, der sich in einem Rutsch lesen lässt – perfekt für eine Zugfahrt oder einen entspannten Nachmittag.

  • Freida McFaddens Thriller Wenn sie wüsste ist der erste Band ihrer Reihe um das Hausmädchen Millie und umfasst knapp 400 Seiten. Das Buch besticht durch seine kurzen Kapitel, die den Lesefluss angenehm gestalten, sowie eine gut lesbare Schriftgrösse und einen angenehmen Zeilenabstand.

    Die ersten 200 Seiten empfand ich als eher mühsam, da die Handlung nur langsam voranschritt und sich einige Elemente wiederholten. Hier hätte man die Geschichte sicherlich um die Hälfte kürzen können, ohne dass es dem Inhalt geschadet hätte. Doch dann nahm die Spannung rasant zu, und die zweite Hälfte des Buches war voller unerwarteter Wendungen, die das Lesen extrem fesselnd machten.

    Insgesamt bietet Wenn sie wüsste einen soliden Thriller mit einem packenden zweiten Teil. Wer Durchhaltevermögen für die etwas zähe erste Hälfte mitbringt, wird mit einem aufregenden und wendungsreichen Leseerlebnis belohnt.

  • Rolf Dobelli ist bekannt für seine klugen und praxisnahen Bücher über Entscheidungsfindung und Lebensführung. Mit “Die Not-To-Do-Liste” setzt er diese Tradition fort und liefert 52 kurze Kapitel mit Ratschlägen, welche Fehler man im Leben vermeiden sollte.

    Ein besonders positiver Aspekt des Buches ist die Struktur: Jedes Kapitel beginnt mit einer Schilderung, wie man garantiert scheitert, gefolgt von der Sektion “Die leise Stimme der Vernunft”, in der Dobelli mit Argumenten und Zitaten – unter anderem von Warren Buffett und Charles T. Munger – darlegt, warum diese Verhaltensweisen unklug sind. Die kurzen, prägnanten Kapitel machen das Buch leicht zugänglich und angenehm zu lesen.

    Allerdings bietet das Buch wenig wirklich neue Erkenntnisse. Wer bereits andere Werke von Dobelli gelesen hat, insbesondere “Die Kunst des klugen Handelns”, “Die Kunst des guten Lebens” oder “Die Kunst des klaren Denkens”, wird vieles wiedererkennen. Die Grundprinzipien bleiben die gleichen, und so hätte ich mir mehr frische Impulse gewünscht.

    Insgesamt ist “Die Not-To-Do-Liste” ein unterhaltsames und gut strukturiertes Buch, das besonders für Leserinnen und Leser geeignet ist, die sich erstmals mit Dobellis Denkweise auseinandersetzen. Wer bereits mit seinen früheren Werken vertraut ist, wird hier jedoch nur wenig Neues entdecken.

    • Bearbeitet

    Es gibt Bücher, die einen mitreissen, und dann gibt es Bücher, durch die man sich regelrecht durchkämpfen muss. Umlaufbahnen von Samantha Harvey fällt für mich eindeutig in die zweite Kategorie.

    Ich kann den Hype um dieses Buch nicht nachvollziehen – oder vielleicht bin ich einfach nicht intellektuell oder philosophisch genug, um es zu schätzen. Der Roman, der sich als solcher bezeichnet, kommt für mich gänzlich ohne Handlung aus. Stattdessen besteht er aus einer Aneinanderreihung von Beschreibungen: die Erde, die sich von aussen betrachtet verändert, die Gedanken der sechs Astronauten an Bord eines Raumschiffs, ihre Träume, die Struktur ihrer Umgebung – all das wird ausführlich dargestellt, doch es passiert schlichtweg nichts.

    Diese Art des Erzählens hat mich nicht gepackt, sondern eher ermüdet. Ohne Spannung, ohne Entwicklung, ohne greifbare Handlung fiel es mir schwer, motiviert zu bleiben. Letztlich war ich froh, als ich die letzte Seite umblättern konnte.

    Fazit: Umlaufbahnen ist sicherlich ein literarisch anspruchsvolles Werk, aber für mich persönlich war es eine zähe Lektüre. Wer philosophische Reflexionen und detaillierte Beschreibungen ohne klassische Handlung schätzt, wird hier vielleicht fündig – für mich war es leider nichts.

  • Racheritual ist der mitreissende Auftakt einer neuen Thriller-Trilogie von Ethan Cross. Band 1 erschien im Januar 2025, und die Fortsetzungen sind bereits für Anfang und Ende 2026 angekündigt. Schon jetzt steht für mich fest: Ich werde auch die nächsten Bände lesen!

    Die Geschichte erstreckt sich über knapp 500 Seiten und ist in drei Teile gegliedert. Sie liefert genau das, was man sich von einem packenden Thriller erhofft: Spannung, Nervenkitzel und gelegentlich ziemlich blutige Szenen. Diese Brutalität gehört zum Genre, wird aber durch die kurzen Kapitel und einhergehenden Perspektivenwechsel gut aufgelockert. So hatte ich immer wieder Momente zum Durchatmen, bevor ich mich wieder mitten im Geschehen wiederfand. Die kurzen Kapitel gefielen mir sehr gut und machten es mir schwer, das Buch aus der Hand zu legen – ich wollte einfach immer wissen, wie es weitergeht!

    Besonders begeistert haben mich die spannenden Charaktere und die unerwarteten Wendungen, die die Geschichte immer wieder in neue, überraschende Richtungen lenkten. Diese Unvorhersehbarkeit hielt mich bis zum Schluss gefesselt.

    Einzig die Beschreibungen der nordischen Mythologie konnten mich nicht völlig überzeugen – wohl eher, weil dieses Thema nicht zu meinen persönlichen Interessen gehört. Dennoch fand ich es interessant, wie diese mythologischen Elemente in die Handlung eingeflochten wurden, auch wenn sie mich weniger begeistert haben als der Rest der Geschichte.

    Insgesamt ist Racheritual ein durchweg gelungener Thriller, der sowohl mit Spannung als auch mit Tiefe überzeugt. Für Fans des Genres und alle, die eine aufregende und wendungsreiche Geschichte suchen, ist dieses Buch absolut empfehlenswert. Ich freue mich schon darauf, die nächsten Bände in die Hände zu bekommen!

    • Bearbeitet

    DrQuinzel Das Ende war für mich völlig überraschend und unvorhersehbar und nein, ich hätte nicht damit gerechnet, dass sich alle Hagen-Kinder gegen ihren Vater stellen, besonders bei Magni hätte ich das nicht erwartet.

    Die Morde an den Polzisten wirkten tatsächlich seltsam nebensächlich, da stimme ich @DrQuinzel zu. Im späteren Verlauf wurde nicht darauf eingegangen, als wäre es einfach passiert, ohne grosse Bedeutung für die Handlung. Das fand ich schwer nachzuvollziehen.

    Modi hat sich von seiner dunklen Vergangenheit abgewandt und kann nun hoffentlich ein freies und sinnvolles Leben führen.

    Ja, ich hätte auf jeden Fall Lust, weitere Bände über Baxter zu lesen, allerdings müssten es nicht unbedingt so umfangreiche Wälzer sein.

  • Mit Vermisst liefert die Schweizer Gerichtsreporterin Christine Brand einen fesselnden Kriminalroman, der einen Cold Case aufrollt – und das auf eine absolut unglaubliche Weise.

    Was das Buch besonders auszeichnet, sind die kurzen Kapitel, die oft mit einem Cliffhanger enden, bevor ein Perspektiven- oder Szenenwechsel erfolgt. Dieser raffinierte Aufbau sorgt für konstant hohe Spannung – einmal angefangen, fällt es schwer, das Buch aus der Hand zu legen. Und dann dieser Twist am Ende! Ich beendete die letzte Seite mit offenstehendem Mund.

    Brands Schreibstil ist angenehm flüssig und sorgt für einen durchgehenden Lesefluss. Sie versteht es meisterhaft, Spannung aufzubauen und über die gesamte Handlung hinweg aufrechtzuerhalten. Die Charaktere wirken lebendig und authentisch, sodass man sich mühelos in sie und ihre Geschichten hineinversetzen kann. Auch die Schauplätze sind detailreich beschrieben – besonders für Leserinnen und Leser aus Bern dürfte es ein besonderes Vergnügen sein, bekannte Orte wiederzuerkennen. Als Zugerin fehlte mir dieses Wissen zwar, doch die Atmosphäre wirkte dennoch authentisch und lebendig.

    Fazit: Vermisst ist ein absoluter Lesetipp für alle Krimifans – packend, klug konstruiert und mit einem Ende, das lange nachhallt. Wer Spannung liebt, sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen!

  • Sie wird dich finden von Freida McFadden hat mir wirklich viel Spass gemacht! Der Thriller ist packend und hält einen mit seinen unerwarteten Wendungen konstant in Atem. Die Spannung bleibt durchgehend hoch, und die Geschichte entwickelt sich in einer Weise, die einen immer wieder überrascht. Besonders gefallen hat mir die flüssige, gut lesbare Sprache, die das Buch schnell voranbringen lässt – ich konnte es kaum aus der Hand legen.

    Meine anfängliche Befürchtung, den Zusammenhang nicht zu verstehen, weil ich mit dem dritten Band der Reihe angefangen habe (die ersten beiden Bände waren in der Bibliothek leider ausgeliehen), stellte sich zum Glück als unbegründet heraus. Der dritte Band ist so gut in sich abgeschlossen, dass ich nicht das Gefühl hatte, wichtige Informationen zu verpassen. Natürlich bin ich jetzt neugierig auf die ersten beiden Bände und werde diese sicherlich noch nachholen, um noch mehr über die Hintergründe und Charaktere zu erfahren.

    Fazit:
    Sie wird dich finden ist ein spannender Thriller mit überraschenden Wendungen und einer fesselnden Erzählweise. Auch ohne Vorkenntnisse der ersten beiden Bände lässt sich die Geschichte geniessen. Wer auf packende, gut geschriebene Thriller steht, sollte dieses Buch definitiv auf die Leseliste setzen!

  • Bellevue von Andreas Russenberger hat mich durch die klare Sprache und den flüssigen, angenehm lesbaren Stil überzeugt. Die kurzen Kapitel verleihen dem Roman eine dynamische Struktur, die das Eintauchen in die Geschichte erleichtert.

    Besonders hervorzuheben ist der lokale Bezug zur Stadt Zürich, der für mich ein echtes Highlight darstellte. Viele der beschriebenen Schauplätze kenne ich persönlich, was es mir ermöglichte, die Handlung noch intensiver nachzuempfinden.

    Die Geschichte selbst ist kurzweilig und von einem geschickt inszenierten Twist geprägt, der die Spannung bis zum Schluss hochhält. Russenberger gelingt es, Unterhaltung und Überraschung auf gelungene Weise miteinander zu verbinden. 

    Ich hoffe, dass der Autor die Serie rund um Humboldt und Muzaton fortsetzt, da die Figuren mit ihrer Vielschichtigkeit und Eigenwilligkeit das Potenzial haben, noch viele weitere Geschichten zu tragen. 

    Fazit:

    Bellevue ist ein empfehlenswerter Roman, besonders für Leserinnen und Leser, die Kriminalgeschichten mit regionalem Charme und einer Prise Raffinesse zu schätzen wissen.    

  • 22 Bahnen erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die in einem schwierigen familiären Umfeld aufwächst und sich gleichzeitig mit einer aufkeimenden Liebesgeschichte auseinandersetzt. Die Protagonistin muss ihre jüngere Schwester grossziehen, während ihre alkoholkranke Mutter immer mehr in der Verantwortungslosigkeit versinkt. Die Geschichte selbst hat viel Potenzial und berührt tief, vor allem durch die einfühlsame Darstellung der familiären Belastungen und der intensiven Beziehung zwischen den Geschwistern.

    Leider konnte ich mich jedoch bis zum Schluss nicht wirklich mit dem Schreibstil anfreunden. Die Darstellung der direkten Rede stört mein Leseerlebnis – manchmal wird sie mit Anführungs- und Schlusszeichen markiert, dann wieder einfach durch den Namen der Person, gefolgt von der direkten Rede. Diese wechselnden Darstellungsformen machten es für mich schwierig, der Erzählung flüssig zu folgen.

    Auch der Titel des Buches, 22 Bahnen, blieb für mich bis zum Ende unklar – die Bedeutung wurde nicht wirklich aufgelöst, was mich etwas ratlos zurückliess. Trotz dieser stilistischen und strukturellen Kritikpunkte bleibt das Buch eine nette, wenn auch nicht herausragende Liebesgeschichte, die im Kontext eines problematischen Alltags stattfindet. Die familiären Themen rund um eine Mutter mit Alkoholproblemen und die Übernahme der Verantwortung durch die Tochter sind eindrucksvoll erzählt.

    Fazit:
    22 Bahnen ist eine Geschichte, die mit starken familiären Themen und einer sensibel geschilderten Liebesgeschichte punkten kann. Wer jedoch einen klaren, gleichmässigen Erzählstil und eine endgültige Aufklärung der titelgebenden „22 Bahnen“ erwartet, könnte enttäuscht sein. Trotzdem bietet das Buch einen nachdenklichen Blick auf Verantwortung, Familienbeziehungen und den schwierigen Weg der Selbstfindung.