Eher ein New Adult-Buch als ein Roman. Die Protagonistin Ida - in der Ich-Form - ist auf der Flucht, vor sich selbst, vor der Welt und strandet dann in Rügen, wo sie zufällig in einer Kneipe ihre “neue Familie”, das Wirtsehepaar Marianne & Knut, kennenlernt. Diese nehmen sie auf, weil sie spüren, dass die junge Frau haltlos ist und ein Nest braucht. Alles spielt sich gut ein; Ida ignoriert ihr Handy, denkt aber immer wieder an ihre trunksüchtige Mutter, die in ihrer Abwesenheit starb - während Ida mit ihrer Busenfreundin Samiraeinen Wochenendtrip nach Prag unternahm. Idas ältere Schwester, die eigentlich fast ihre Ziehmutter war, hat eine eigene Familie. Neben Mann und Kindern managt sie ihren Uni-Job und unterstützt die jüngere Schwester aus der Ferne, was Ida, der 20jährigen, nicht ganz recht ist. Entmutigt von einer erneuten Uni-Bewerbung, bricht sie nach Rügen auf.
Die Insel Rügen befreit sie irgendwie aus ihrer Zwangsjacke; frühmorgens schwimmen, Wind und Wetter trotzen, und sich die Nestwärme beim Wirtsehepaar hole. Aber immer wieder suchen sie Schuldgefühle ihrer Mutter gegenüber heim. Im Wirtshaus lernt sie Leif, ihren künftigen Freund kennen, den Enkel eines dementen Stammgastes. Leif scheint genauso unter seiner Vergangenheit zu leiden wie sie, nur kommt das nicht heraus; es wird leicht angedeutet, ihm sei nicht zu trauen, auf ihn sei kein Verlass. Bei einem ihrer Schwimmtrips rettet sie ihn, weil er als Rüganer das Wetter missdeutete und trotz allem - selbstmörderisch! - surfen ging. Ohne Worte finden sie zusammen, und merken auf dem Friedhof, wo Idas Mutter begraben liegt, dass sie zusammengehören.
Liest sich flüssig, Dialoge gewöhnungsbedürftig. Alles neu, aber an der Realität vorbei. Unglaubwürdig. Eine alleinerziehende, alkoholabhängige Mutter, die nicht arbeitet, keine Unterstützung vom Kindsvater bekommt, und trotzdem 2 wohlgeratene Töchter in einer schönen Wohnung grosszieht? Die ältere studiert sogar, wird Professorin, heiratet, wird Mutter und sorgt sich nach wie vor um die Ida, die jüngere Schwester, die soeben Abi gemacht hat? Zwar hat sie weder Vater noch Geld, aber kommt doch nicht auf die schiefe Bahn - vielleicht etwas emotional, weil sie Gewissensbisse/Schuldgefühle ihrer Mutter gegenüber hat. Alles in allem: eine Traumwelt. Aber das Setting auf Rügen ist gelungen; man spürt richtig Wind und Wellen, die Gezeiten, die Atmosphäre. Offensichtlich war der 1.Band “22 Bahnen” besser. Beide Schwester lieben das Wasser, schwimmen (um ihr Leben).