Obwohl Romane dieser Epoche normalerweise nicht zu meiner bevorzugten Lektüre gehören, lockte mich der Klappentext mit der Aussicht auf eine tragisch-schöne Geschichte. Der Roman entfaltet sich aus der Perspektive der jungen Honora, die inmitten der verheerenden Hungersnot ein Leben voller Entbehrungen führt. Mit Sing, wilder Vogel, sing gelingt es Jacqueline O’Mahony, das Leben im Irland des Jahres 1849 lebendig nachzuzeichnen und es entsteht ein eindrucksvolles Porträt der damaligen Verhältnisse.
Der erste Teil des Buches, der Honoras Leben im verarmten Irland schildert, beeindruckt durch seine Authentizität. Die Autorin zeigt eindrücklich die Härten und moralischen Konflikte, die in Zeiten extremer Not entstehen, und eröffnet einen schonungslosen Blick auf menschliche Abgründe und die komplexe Natur des Überlebens. Diese Atmosphäre zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk und lädt zur Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen von Menschlichkeit und Ethik ein.
Im zweiten Teil des Romans begleiten wir Honora auf ihrer Reise nach Amerika, wo ein Gefühl der Entfremdung und Heimatlosigkeit die zentrale Thematik prägt. O’Mahony fängt die emotionale Zerrissenheit vieler Migranten dieser Zeit eindrucksvoll ein und zeigt die Herausforderungen auf, in einer fremden Kultur Fuß zu fassen, ohne die eigene Vergangenheit abstreifen zu können.
Im letzten Drittel jedoch verliert der Roman für mich an Glaubwürdigkeit: Die Handlung wird zunehmend vorhersehbar, und die Figur des Joseph, eines indigenen Mannes, der als Retter auftritt, wirkt klischeehaft. Die Handlung nimmt schließlich eine fast überstürzte Wendung – mit einem Mord, einer Art Partnertausch und einem abrupten Ende. Zwar harmoniert das offene Ende mit dem ungewissen Lebensweg der Protagonistin, dennoch empfand ich diesen Teil als etwas konstruiert.
Trotz dieser Kritikpunkte ist Sing, wilder Vogel, sing eine lohnenswerte Lektüre, die tiefgründige Fragen über Identität, Migration sowie die Folgen von Armut und Ausgrenzung aufwirft. Honoras Geschichte entfaltet ein authentisches Bild von der Suche nach Heimat und der Kraft des Überlebens. Es ist eine Erzählung, die nicht nur historisch interessiert, sondern auch emotional berührt und zum Nachdenken über Menschlichkeit und das Streben nach Zugehörigkeit anregt.