Mir ist der Autor bisher unbekannt gewesen, ich habe mich aber sehr über das interessante Setting gefreut. Der Inhalt beschreibt das Leben in einer berühmten Nervenheilanstalt Ende des 19. Jahrhunderts aus Sicht einer jungen Frau, einer jungen Tänzerin. Eingewiesen, weil sie nicht mehr tanzte, “tanzt” sie nun innerhalb der wissenschaftlichen Vorführungen, die damals tatsächlich so oder so ähnlich stattgefunden haben und das Bild der Hysterie einem größeren (Fach)Publikum zuteil werden ließen.
Mir gefällt, wie der Autor uns an vielen Stellen in der Schwebe lässt. Die Nebencharaktere bleiben namenlose Figuren im Nebel, auch wenn sie tatsächlich Berühmtheiten waren (Freud, Charcot). Namentlich lernen wir nur eine Insassin kennen, Cleo. Warum sind die Frauen in der Anstalt, wie sind die Perspektiven? All das verliert sich im nebulösen Alltag der Anstalt, der mir persönlich allerdings zu knapp geschildert ist. Natürlich kann jeder Autor mit seinem Setting tun und lassen, was er mag. Doch die Salpetiere mit den Tausenden Insassinnen wird mir zu freundlich beschrieben. Zwar werden die Frauen in den unteren Stockwerken erwähnt, aber was es bedeutet, in so einem riesigen Gebäude zur damaligen Zeit ohne Privatsphäre zu leben, wird mir nicht deutlich genug. Da die Geschichte aber aus den Augen der Ich-Protagonisten stammt, mag es auch an ihrer seelischen Verfassung liegen, das könnte man zumindest einwenden. Dennoch hätte ich als Leser mir hier mehr “Realitätsnähe” gewünscht, auch weil ich es mag, zu spüren, dass ein Autor sich intensiv mit den historischen Gegebenheiten beschäftigt hat.
Man kann dieses Buch in einem Rutsch lesen und zur Seite legen. Aber bevor man es zur Seite legt, wird man eingeladen, über vieles nachzudenken. Was ist real, was ist eine Illusion? Man bekommt vermehrt Zweifel und nähert sich so schließlich geistig der Protagonistin an, was ich sehr gelungen finde.
Ein empfehlenswertes Buch, auch wenn mich die Darstellung des Settings nicht ganz überzeugt und letztlich die Charaktere auch nicht ganz mit Tiefe überzeugen können. Aber das müssen sie ja auch nicht immer… Spannend finde ich auch das Cover, das zum Nachdenken anregt.