Auf 500 Seiten schreibt Gabriel García Márquez eine Liebesgeschichte, wie ich sie absolut nicht erwartet hätte. Eine ewige Liebe. Über 50 Jahre lang wartet Florentino Ariza auf seine grosse Liebe Fermina Daza. Langweilig wird das nie, auch wenn sich die Ereignisse nicht überstürzen und keine grossen Exkurse in Geschichte, Land und Kultur unternommen werden. Florentino Ariza und Fermina Daza sind als Persönlichkeiten, wie sie leben, was sie erleben, spannend genug.
Weitere wichtige Charaktere in diesem Roman sind der Ehemann von Fermina Daza, der Arzt Juvenal Urbino, die Mutter von Florentino Ariza sowie seine zahlreichen Geliebten. Er wartet auf seine grosse Liebe, lebt aber als Don Juan.
Natürlich kriegt man auch einiges von der damaligen Zeit - zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bis erstes Viertel des 20. Jahrhunderts mit. Es gibt Flussdampfer, schliesslich erste Automobile, der Postverkehr, Telegraphenämter. Das klingt durchaus mit, wie auch der Ort des Geschehens, Kolumbien, Karibik.
Die Sprache ist dem auch angepasst. Der Autor hat meiner Meinung nach ein grosses erzählerisches Können. Die Charaktere sind hervorragend gezeichnet, ihre Eigenschaften kommen sehr gut hervor. Wie sie sich gegen aussen geben, ihre Emotionen, das Leiden von Florentino Ariza, der unbeirrbar bei seiner Liebe bleibt, die Eigensinnigkeit von Fermina Daza. Die Schilderungen von intimen Begegnungen sind sehr gekonnt - nicht anzüglich, nicht aufreizend oder despektierlich. Wie er die erste Liebesnacht von Fermina Daza mit Juvenal Urbino nach deren Heirat beschreibt ist wirklich einmalig - herrlich. Immer wieder wird man vom feinen Humor Mãrquez überrascht. In einem Fall hat der Autor danebenbegriffen - nicht sprachlich sondern bezüglich des Alters dieser Geliebten.
(Dr. Juvenal Urbino) Es widersprach jeder wissenschaftlichen Vernunft, dass zwei, die sich kaum kannten, Personen, die nicht irgendwie miteinander verwandt waren, einen unterschiedlichen Charakter, unterschiedliche Bildung und dazu noch ein anderes Geschlecht hatten, plötzlich dazu verpflichtet waren, zusammenzuleben, im selben Bett zu schlafen und zwei Schicksale gemeinsam zu haben, die sich womöglich noch in unterschiedliche Richtungen entwickelten. Er pflege zu sagen: “Das Problem der Ehe ist, dass sie jede Nacht nach der Umarmung endet und jeden Morgen vor dem Frühstück wieder neuaufgebaut werden muss.”
(Florentino Ariza) Für sie hatte er sich einen Namen und ein Vermögen erworben, ohne allzusehr auf die Methoden zu achten, für sie hatte er seine Gesundheit und seine äussere Erscheinung mit einer Gewissenhaftigkeit gepflegt, die andere Männer seiner Zeit nicht für besonders männlich hielten, und er hatte auf jenen Tag gewartet, wie niemand sonst auf dieser Welt auf etwas oder auf jemanden hätte warten können: ohne einen Augenblick mutlos zu werden.