Die Taverne «zur blauen Ader» können weder die Gäste noch das Personal verlassen. Sie sitzen fest, denn seit Tagen regnet es ununterbrochen. Der Pegel des Skidwrack-Flusses steigt unaufhörlich, die Wege haben sich in morastige Bäche verwandelt, niemand kommt heraus oder herein. Was also tun? Um sich die Zeit und wohl auch die Angst zu vertreiben, beginnen Gäste und Personal damit, sich reihum am Kaminfeuer Geschichten zu erzählen. Bald wird klar, dass es sich dabei nicht nur um Fiktion handelt. Einige der Gäste scheinen ganz offensichtlich nicht zufällig in der Taverne eingekehrt zu sein, sondern verfolgen ein bestimmtes Ziel…
Meine Meinung:
15 Geschichten werden uns in «Fireside Mysteries» erzählt. Wir lesen die Abenteuer von Hausierern, Piraten, suchen nach geheimnisvollen Karten und Artefakten. Wir erkennen die tiefere Bedeutung von Musik und Tanz, müssen über den Tod nachdenken und wissen vor allem nicht immer, was Wahrheit oder Lüge ist.
Jede dieser von Kate Milford fantastisch erzählten Geschichten ist eine kleine Perle, die man beim genauen Lesen entdecken muss. Jede Geschichte ist unglaublich vielschichtig, von sprachlicher Schönheit und Raffinesse, herzerwärmend oder beklemmend, verwirrend oder eindeutig – und immer mit einer Moral am Ende.
Alle zusammen ergeben sie schliesslich eine schöne Perlenkette, denn sie bilden ein Ganzes.
Das freilich ist dem Leser zu Beginn noch nicht so deutlich, und so hatte ich anfangs etwas Mühe, mich mit den vielen verschiedenen Namen, Bezügen und Anspielungen zurechtzufinden. Nun, wo ich am Ende des Romans angekommen bin, müsste ich im Grunde noch einmal von Vorne anfangen, um jede einzelne Geschichte richtig in das grosse Ganze einzuordnen.
Überhaupt hat die Autorin mehrere Bücher als Ganzes komponiert, wovon ich bisher «Greenglass House» gelesen habe (und absolut liebe). «Fireside Mysteries» gehört dazu (und spielt wiederum in «Greenglass House» eine Rolle), ich wünsche mir deshalb sehr, dass auch die anderen Bände noch auf Deutsch erscheinen werden. Man kann diese einzeln lesen, aber wirklich verstehen kann man die Welt von Nagspeake wohl erst, wenn man alle kennt.
Dieses Buch ist für sich aber bereits ein Genuss für alle, die atmosphärische Geschichten lieben. Es steckt so voller Ideen und Bilder, aber auch voller tiefgründiger Gedanken, dass ich jedoch glaube, Kinder ab 12 könnten damit noch ein wenig überfordert sein. Das Buch lebt auch von dem, was zwischen den Zeilen gesagt wird, und was man als Leser vielleicht doch erst mit einiger Lebenserfahrung verstehen kann.
Unbedingt erwähnen möchte ich die beiden Illustratorinnen, welche das Buch auch äusserlich zu einem Schmuckstück machen. Die wunderbare Umschlaggestaltung stammt von Jaime Zollars, die auch schon «Greenglass House» zu einem Hingucker im Bücherregal gemacht hat. Im Innern hat Nicole Wong vor jeder Geschichte eine passende Illustration geschaffen. Auch sie hat einen ganz eigenen, mich sehr ansprechenden und berührenden Stil.
Die Übersetzung aus dem Englischen schliesslich stammt von Alexandra Ernst.
Fazit:
«Fireside Mysteries» ist ein anspruchsvoller Roman, der uns erneut in die fantastische Welt von Nagspeake entführt. Perfekt für alle, die spannende, unheimliche und atmosphärisch dichte Geschichten und skurrile Figuren lieben.