In seinem neuesten Roman (im Herbst 2021 erschienen) befasst sich Schlink wieder mit der deutschen Geschichte. Gleichzeitig erzählt er von einer sanften Annäherung zwischen Grossvater und Enkelin.
Birgit flieht 1965 von Ostberlin zu Kaspar nach Westberlin. Welche Auswirkungen hat eine solche Flucht ein Leben lang? Birgit lässt viel zurück, unter anderem ein Kind, das sie heimlich geboren hat. Sie findet keine richtige Heimat mehr, ist unstet, scheitert an sich selbst.
Kaspar liebt Birgit und unterstützt sie. Wie schon andere von Schlinks Protagonisten (etwa in Abschiedsfarben) ist er etwas in sich gekehrt, ein bisschen zu nüchtern um liebevoll zu sein, obwohl er gleichzeitig sehr treu ist. Jahrzehnte später lebt Kaspar nach Birgits Suizid irgendwie weiter, getraut sich zuerst nicht, ihre Notizen zu lesen und liest sie dann doch. Er findet heraus, dass Birgit eine Tochter hat, macht er sich auf die Suche nach dieser Tochter und findet sowohl die Tochter als auch eine Enkelin. Sie wohnen in einer völkischen Siedlung in Sachsen - welch ein Gegensatz zu Kaspar, der in Berlin eine Buchhandlung führt und Bücher über den Gebrauch von Chemikalien in Konzentrationslagern zu Hause im Bücherregal hat.
Kaspar möchte der Enkelin eine Welt ausserhalb der Denkweise ihrer Eltern zeigen. Gleichzeitig darf er sie nicht abschrecken. In den Schulferien besuchen sie in Berlin Musikkonzerte, erkunden die Stadt. Kaspars Alltag ist endlich wieder lebendiger, sie finden einen Zugang zu einander.
Schlink erzählt ruhig, in gemessenem Tonfall. Von den völkischen Gruppen bleibt ein metallischer, heikler Nachgeschmack auf der Zunge. Im Roman wird ihre Denk- und Sichtweise plausibel gemacht - vielleicht zu plausibel? Alles in allem ist es aber ein schöner Roman mit vielen schönen Zitaten drin.