Sophia111
Ich habe mir für den letzten Teil etwas mehr Zeit genommen, um die Entwicklung im Buch wirklich nachzuvollziehen.
Sophia111
Ich glaube, die Ich-Erzählerin kann zu Beginn keine eigene, gefestigte Persönlichkeit haben, da sie erst am Ende des Buches den Schritt wagt, aus sich herauszutreten und etwas Eigenes zu tun.
„Ich weiss nicht, wie ich es Sophie erzählen soll, dass ich weggehe, es ist das Einzige, auf das ich mich freue. Etwas nur für mich. Die gute Nachricht.“ (S. 163)
Vorher dreht sich alles um die Menschen in ihrem Umfeld, während sie selbst in den Hintergrund gerät. Erst gegen Ende lernt sie, auch die kleinen, schönen Momente zu schätzen – und vor allem, sich selbst Raum zu geben.
Ich habe mich gefragt, ob die Autorin selbst in der Ich-Erzählerin mitschwingt ( wie auf S. 113 beim Frauenarzt)
Zum Nachdenken gebracht hat mich auch folgende Zeile:
„Der Mond trägt viele Namen, und hätte ich ein Kind, würde ich es nach ihm benennen.“ (S. 127)
Für mich ist der Mond hier ein Symbol für Sehnsucht, Wandel und Beständigkeit. Er begleitet die Erzählerin still durch ihre Nächte – etwas, das bleibt, auch wenn sich vieles verändert. Dass sie ihr Kind nach ihm benennen würde, zeigt ihren Wunsch, etwas Eigenes zu schaffen, das aus ihr selbst kommt, und vielleicht auch, der Einsamkeit einen Namen zu geben.
Interessant fand ich zudem, dass Nuri weiss, dass ihre Schwester die Zähne zählt. Ich dachte bisher, das sei etwas, das nur die Ich-Erzählerin von sich selbst weiss.
„Zählst du sie immer noch?, fragt Nuri. – Was?, frage ich. – Deine Zähne. – Nein.“ (S. 143)
Solche kleinen, fast beiläufigen Szenen sagen oft mehr über Nähe und Distanz aus als lange Gespräche – sie sind typisch für Kureyshis Schreibstil, der leise, aber sehr präzise beobachtet.
Was nehmt ihr vom Gelesenen mit?
Mich hat besonders berührt, wie Meral Kureyshi es schafft, das Unspektakuläre in den Mittelpunkt zu stellen. Ihr Schreiben ist ruhig, poetisch und aufmerksam – sie erzählt von Fürsorge, Erinnerung und Abschied, ohne grosse Worte zu brauchen.
Ich nehme aus dem Buch mit, wie wichtig es ist, auf die kleinen, unscheinbaren Momente im Alltag zu achten – auf jene, die man leicht übersieht, die aber unser Leben ausmachen.
Die Ich-Erzählerin zeigt, dass Selbstfindung oft nicht laut passiert, sondern im Leisen: im Beobachten, im Nachdenken, im Loslassen.
Das Buch handelt vom Abschied in vielen Formen – vom Tod, aber auch vom Gewohnten, von alten Rollen, von Beziehungen, die sich verändern. Genau das bleibt bei mir: dass Abschied auch immer ein Anfang sein kann.
Ich finde mich in einigen Momenten der Ich-Erzählerin wieder – in ihrer Unsicherheit, ihrem Wunsch nach Eigenständigkeit, aber auch in ihrer Fähigkeit, Schönheit in kleinen Dingen zu entdecken.
Würdet ihr das Buch weiterempfehlen? Wer ist die Zielgruppe?
Ich würde das Buch Personen empfehlen, die ruhige, sprachlich feinfühlige Romane mögen – Leser:innen, die Alltagsbeobachtungen und Zwischenmenschliches schätzen und gerne über Generationen hinweg denken. Besonders geeignet ist es für erwachsene Leser:innen, die sich mit Themen wie Verantwortung, Nähe, Einsamkeit, Erinnerung und Identität auseinandersetzen möchten.
Zum Ablauf der Leserunde
Was hat euch gut gefallen?
Deine rege Interaktion mit uns und das aktive Hosting, @„Sophia111“ 😊 – das findet man nicht in jeder Leserunde! Auch die unterschiedlichen Perspektiven der Community fand ich sehr bereichernd.
Was könnte man beim nächsten Mal verbessern?
Mir fällt eigentlich nichts ein – ausser vielleicht, dass die Community am Ende Buchempfehlungen in einem ähnlichen Stil oder Genre austauschen könnte. Das wäre eine schöne Ergänzung.
Mir hat die Leserunde jedenfalls sehr gefallen, und ich freue mich, vielleicht einige von euch beim nächsten Austausch wiederzusehen. 💬🤗