Fanny
Mein Feedback auf die Fragen von Fanny zu Teil 2
Einleitende Bemerkung: Michelle Steinbeck schafft mit ihrem surrealen Roman eine Welt, die reich an absurden und symbolischen Elementen ist. Mit ein Grund für die Nominierung zum Schweizer Buchpreis 24?
• In Lorenzos Persönlichkeit nehme ich eine Ambivalenz wahr, die seine allgemeine Unsicherheit und Fragilität widerspiegelt. Figuren wie Lorenzo lösen sowohl Anziehung als auch Unbehagen aus. Sie verkörpern oft etwas, das der Protagonistin fehlt oder wonach sie sich sehnt, während sie gleichzeitig eine Bedrohung darstellen. Diese Unsicherheit könnte darauf hinweisen, dass ein Teil von Fila das Unterbewusstsein oder ein Spiegelbild ihrer eigenen Ambivalenz ist. Das fordert mich als Leser heraus und hält mich auf Trab – clever gemacht!
• Ich bemerke eine subtile Veränderung in unserer Erzählerin, die die Einflüsse ihrer surrealen Begegnungen und Erlebnisse widerspiegelt. In dieser Phase des Romans wird klar, dass sich ihre Selbstwahrnehmung und ihre Reaktionen auf die Welt um sie herum verändern. Ihre innere Stimme und ihr Verhalten entwickeln sich zu etwas Komplexerem und Reflektierterem, was auf ihre Suche nach Identität und Zugehörigkeit hindeutet. Diese Mischung aus Verwirrung, Erkenntnis und dem Drang, sich selbst zu verstehen, ist spürbar.
• Filas Interesse am historischen Fall Sisina und ihr Drang, dessen Geheimnisse zu lüften, sind tief in ihrer Suche nach Antworten und Identität verwurzelt. Der Fall Sisina, der sie so fasziniert, spiegelt ihren eigenen inneren Konflikt wider. Ihr Drang, sich in den Zeitungsartikel zu vertiefen, könnte, als Projektion ihrer Sehnsucht interpretiert werden, die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter zu entdecken. Es ist fast so, als erkenne Fila in Sisinas Geschichte Parallelen zu ihrer eigenen Familie und den ungelösten Geheimnissen ihrer Vergangenheit. Allerdings finde ich, dass dieser Teil etwas zu ausführlich geraten ist.
Filas Beschäftigung mit dem Fall könnte zudem darauf hindeuten, dass sie sich mit den Konzepten von Gerechtigkeit und Wahrheit auseinandersetzt – sowohl in der äußeren Welt als auch in ihrem eigenen Leben. Der historische Fall erlaubt es ihr, das Rätsel um Tod und Verbrechen in einer kontrollierbaren und distanzierten Weise zu erkunden, während sie gleichzeitig mit ihrer eigenen Unsicherheit und Angst kämpft. Die Geschichten von Sisina und ihrer Mutter reflektieren und verstärken sich gegenseitig, indem sie Themen wie Verlust, Schuld und die Suche nach Wahrheit beleuchten.
Ihr Antrieb, beide Fälle zu verbinden, deutet darauf hin, dass Fila unbewusst hofft, durch das Verständnis des einen Falls Klarheit über den anderen zu gewinnen. Diese Parallelität zwischen der realen und der historischen Geschichte verstärkt das Gefühl von Isolation und Verwirrung, das Fila auf ihrer Reise begleitet, und zeigt, wie tief persönliche Traumata mit historischen Mysterien verwoben sind.