Ich mag dieses Buch sehr, es liest sich leicht und ich finde es sehr interessant. Besonders die Arbeit in den Kriegs- und Katastrophengebieten ist eindrücklich beschrieben, ich habe viel für mich Neues erfahren. Schön auch, wie verständnisvoll und neutral Melanie Levensohn die Konflikte beschreibt!
Elsas Verletztheit ist verständlich. Ich glaube nicht, dass ein Kind verstehen kann, wieso die Mutter ständig unterwegs ist und sich nur um fremde Menschen kümmert. Ein Schlüsselerlebnis für Elsa war wohl die Abwesenheit ihrer Mutter bei der Ballettaufführung, die Johanna trotz Versprechen zugunsten ihres Jobs verpasste. Ralph ist Elsa auch keine grosse Hilfe, da er selber mit Johannas Abwesenheit hadert. Solche Erlebnisse können ein ganzes Leben lang nachhallen. Ein Gespräch auf Augenhöhe wird schwierig, weil Gefühl und Reaktion von Verletzungen in der Kindheit geprägt sind.
Johannas Handeln ist für mich nach wie vor egoistisch. Ihren Job hätte auch jemand anderes machen können, ihre Anwesenheit bei Elsa jedoch nicht, ohne dass die Mutter-Tochter-Beziehung Schaden nimmt. Wohlverstanden, ich habe nichts gegen arbeitende Mütter, Johanna geht aber mit ihrer Arbeit so weit, dass diese ihr eigentliches Leben wird. Die Sehnsucht nach Julian verhindert zudem, dass sie selbst bei ihren Aufenthalten zuhause nicht ganz bei ihrer Familie ist.
Gegenwart: Johanna leidet unter der Entfremdung, nach langem Zögern öffnet sie sich und erzählt Elsa aus ihrem Leben und auch von der grossen Liebe zu Julian. Zu Beginn zeigt Elsa absolut kein Verständnis, ihre Wut wir noch grösser. Am Ende des zweiten Drittels scheint eine Annäherung der beiden Frauen möglich zu werden. Die Entwicklung der Beziehung ist für mich nachvollziehbar erzählt.