So, endlich bin ich wieder einigermassen up-to-date mit den Leseaufträgen:-).
Die Frage zu den Seiten vergangener Woche bezog sich ja auf die philosophische Dimension des Romans. Um ehrlich zu sein, diese ist nach meinem Geschmack nicht wirklich ernst zu nehmen. Zu Beginn der Lektüre erinnerte mich nicht Weniges an Meursault, den Fremden im berühmten existentialistischen Roman von Camus: das zentrale Thema vom Umgang mit dem Tod, die täglichen Mittagessen bei Celeste (auch Meursault isst immer bei Celeste), die Freude am Aufzählen scheinbar uninteressanter Routine-Handlungen (z.B. S. 124: Danach wischte er mit einem feuchten Lappen über seine Budapester und putzte sich Zähne und Ohren. Um viertel nach fünf verliess er die Wohnung.) Was mich jedoch überrascht ist eine gewisse Sprunghaftigkeit inhaltlich. Es hat “irgendwie von allem etwas”… Immer nur kurze “Inputs” über das menschliche Dasein, dann wieder Beschreibungen, die an einen Schnappschuss erinnern, dann wieder in die Länge gezogene Beobachtungen der Natur und Mitmenschen, die sich ein wenig holprig lesen, oder der Versuch Momente der befreienden Komik (comic relief) einzubauen… In einem Interview sagte Biedermann einmal, dass in diesem Roman für jeden etwas dabeisei, nicht zuletzt auch, weil sich Anton mit der jungen Katharina anfreundet. Wie bereits gesagt - dieses Bestreben ein grösseres Zielpublikum anzusprechen und Verschiedenes auszuprobieren führt für meinen Geschmack zu einer gewissen Sprunghaftigkeit und Oberflächlichkeit.
Allerdings gibt es immer wieder Sätze, die ich mir anstreiche, z.B. jenen Gedanken, den Anton an Silvester plötzlich hat: “Und für einen kurzen Moment, einen Wimpernschlag, fühlte er sich so klein unter dem endlosen Himmel und der Milchstrasse, dass er im Reinen mit seiner vergänglichen Existenz war; und der Gedanke, Geschichte zu schreiben und unvergesslich zu werden, kam ihm in diesem vorbeizischenden Augenblick so hinfällig und lächerlich vor, dass er sich fast dafür schämte, ihn je gedacht zu haben.” (Seite 127-128) Hier erinnert er mich wieder an Meursault, der relativ friedlich auf den Tod und seine Vergänglichkeit blickt kurz bevor er enthauptet wird.
Es gibt noch vieles mehr, das ich interessant finde, z.B. Antons grosses Problem mit der Scham (omnipräsent), oder seine verklemmte Art zu leben… Dies unterscheidet ihn sehr von anderen Protagonisten, besonders auch vom Fremden.
Nun bin ich gespannt, wie Antons Haltung zum Leben und Sterben am Schluss des Romans aussehen wird.