JuliaK Oh wow! Das ist eine super Nachricht 🙂 Ich freue mich
Anfangs Januar war auch bei mir leider viel los, weshalb ich mich nicht in die Lesegruppe einbringen konnte. Nun habe ich das Buch aber gelesen, und dabei euren Tipp mit dem “Stammbaum” berücksichtigt. Der hat mir echt geholfen, bei all diesen spannenden Persönlichkeiten den Überblick zu behalten. Noch kurz zu den einzelnen Personen und was mich an ihnen beschäftigt hat:
Carol
Mir kommt es so vor, als hätte sie sich in das Englische leben geflüchtet und will unbedingt ein Teil der Gesellschaft davon sei, und tut dafür auch alles. Sie wendet sich komplett von der Herkunft der Eltern ab (für mich bezeichnenderweise das Joggen jeden morgen, um eine Figur nach westlichen Vorbild zu haben). Vielleicht hängt dies mit der Gruppenvergewaltigung zusammen, weil sie das Gefühl hat, ihre Herkunft sei “schuld” daran?
Bummi
Bummi ist eine unglaublich starke Frau, die es in England als Immigrantin weit gebracht hat. Was mich bei ihr beschäftigt hat ist ihre Beziehung zu Sister Omofe. War sie wirklich in sie verliebt und traute sich aufgrund des gesellschaftlichen Bildes nicht, diese Beziehung öffentlich zu leben? Oder war sie ein “Lückenfüller” für die Einsamkeit nach dem Tod von Augustine?
LaTisha
Was mich hier am meisten schockiert hat, war der Umstand, dass LaTisha für ihre drei Kinder alleine verantwortlich ist und die Männer sich einfach so aus dem Staub machen können. Dank der Unterstützung ihrer Schwester und ihrer Mutter schafft sie auch, weiterhin zu arbeiten und gut für ihre Kinder zu sorgen. Ausserdem habe ich das Gefühl, ihrer Schwester Jayla ist dasselbe oder etwas ähnliches passiert wie Carol… nur konnte Carole sich nach einem Jahr aus diesem Zustand befreien, was bei Jayla nicht der Fall war… Der One-Night-Stand mit Tray hat mich schockiert, weil dieser wiederum heil davon kam.
Shirley
Zu Shirley kann ich nicht viel sagen, da sie ein sehr “perfektes” Leben führt. Sie fühlt sich zwar benachteiligt gegenüber ihren Brüdern, bringt es jedoch auch weit. Was ich nicht verstehe, wieso sie ihre anfängliche Motivation und Begeisterung für ihre “Schützlinge” verliert und von diesen nur noch mit “Arschgesicht” benannt wird.
Winsome
Mit Winsome treffen wir auf die Mum von Shirley und genau wie Shirley ihre Beziehung zu den Eltern beschreibt, erzählt die Mutter nicht viel Gutes über Shirley - aber auch nicht wirklich Schlechtes. Irgendwie fehlt es einfach an richtiger Zuneigung, Liebe und Respekt zueinander. Das erklärt auch, wieso es für Winsome kein Problem ist, mit Lennox eine Affäre zu beginnen. Sie hat kein (nur ein wenig ein) schlechtes Gewissen und trauert immer noch, dass Lennox sie einfach so plötzlich “verlies”. Irgendwie unreflektiert von ihr, dass sie nicht merkt, dass mit dieser Affäre eine Familie in die Brüche gehen kann.
Penelope
Mit Penelope kommt erstmals eine weisse Frau vor, die uns ihre Geschichte erzählt. Interessant ist, dass ja Bummi schon die Bekanntschaft mit ihr hatte. Ich habe mich aber auf diese Szene bei Bummi ursprünglich gar nicht so geachtet. Penelope ist zusammen mit Shirley Lehrerin und obwohl sie sich anfangs nicht so gut verstanden, haben sie sich mittlerweile “angefreundet”. Teilen sie also mittlerweile die gleiche negative Einstellung bezüglich der Jugend? Sie hat mehrere Ehen hinter sich und pflegt zwar ein gutes Verhältnis zu ihren Kindern, wenn auch eher distanziert (auch im wörtlichen Sinn). Eigentlich gehört sie ja zu den “privilegierten” Personen, welche keine schlimme Erfahrung oder Diskriminierung in ihrer Kindheit oder Jugend gemacht hat. Als sie jedoch nach der Mutterschaft wieder arbeiten wollte, wurde ihr dies zuerst verwehrt. Und dass Sarah auch Hausfrau werden will schockiert mich dann, weil dies in meinen Augen zeigt, dass sich die Strukturen kaum geändert haben und es für eine Frau (bzw. für Eltern) Immer noch schwierig ist, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.
Megan/Morgan
Morgan ist eine Person, die mir wieder eine ganz neue Welt öffnete, nämlich die der Transpersonen (@Lovis kann man das überhaupt so schreiben?). Ich fand es gut von Evaristo, dass sie Meghan zuerst als Frau beschrieb und erst dann die Pronomen wechselte, als sier sich dann «outete». Für mich war es ab dann eher schwierig weiterzulesen, weil ich mich an diese Form gewöhnen musste. Das war für mich eine spannende Erfahrung, weil es zeigt, wie oft wir solche Pronomen in unserem Sprachalltag benutzen und wie selbstverständlich wir mit dieser Kategorisierung umgehen. Mit der Zeit habe ich mich an die Pronomen gewöhnt und ich bin gespannt, wie lange es dauert, solche Pronomen und Anredeformen häufiger auch in anderen Texten zu lesen.
Hattie
Bei Hattie wird wiederum eine andere Generation der ersten Protagonistin des Kapitels beschrieben. Für mich hat Hattie einen sehr verbitterten Eindruck hinterlassen, die nicht unbedingt stolz auf ihre Nachkommen ist. Liegt es daran, dass sich niemand für den Hof interessiert und diesen übernehmen wollte? Da sich aber Morgan zusammen mit Bibi für den Hof einsetzt und sie unterstützt, entwickelt sie zu ihnen ein sehr gutes Verhältnis. Auch wenn sie ihre Lebenseinstellung nicht nachvollziehen kann.
Grace
Grace war für mich die «kitschigste» Figur von allen. Ihre Mutter hat sie über alles geliebt und alles für sie gemacht, bis sie dann an Tuberkulose starb. Danach kam Grace mit etwas Glück in ein Internat, wo sie die Fähigkeiten erlernte, die es als gute Hausfrau oder Dienstmädchen zu dieser Zeit brauchte. Sie fand einen attraktiven Mann mit Hof, der sie auch gut behandelte. Danach hatte es aber auch sie nicht einfach, weil sie kein lebendes Kind zur Welt brachte und das erste lebend geborene schon nach wenigen Monaten starb. Das zweite lebend geborene Kind konnte sie dann nicht annehmen und sie geriet in eine tiefe Depression. Auch hier (wie bei Carole), kam sie aber von selbst aus dieser Krise raus und war anschliessend eine gute Mutter. – Happy End
Die Premierenparty
An der Premierenparty sind natürlich alle voll des Lobes für das Stück. Dass Roland zu Wort kommt finde ich sehr spannend. Auch die Aussage, dass es für ihn ein Leben vor Yazz und nach ihr gab (s. 464). Das zeigt doch sehr deutlich, welche wichtige Rolle Kinder für die Väter spielen und die Erziehung, Ausbildung und Verantwortung von Kindern nicht als «Frauensache» abgetan werden darf. Und wie wir bei LaTisha am Schluss auch gesehen haben, sind auch für die Kinder Väter wichtig (S. 245). Das soll aber nicht heissen, dass ich gegen Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren bin. Ich denke eher, dass jedes Kind nicht nur eine Bezugsperson haben darf, sondern es gut ist, wenn noch eine weitere Person da ist, die in gewisser Weise einen Gegenpol bildet. (ich komme vom Land, vielleicht sind meine Ansichten daher ein bisschen antiquiert)
Was mir auch sehr gefiel, war, dass Penelope ihren jetzigen Freund Jeremy «aufgerissen» hat und das noch mit Mitte sechzig. Mich hat es schon ein wenig gestört im Buch, dass bei der Männerwahl die Frauen doch eher passiv waren. Dies ist aber vermutlich die Regel und mit Penelope sehen wir, dass auch hier ein Wandel passiert. (Oder wissen Frauen im Alter einfach besser, was sie wollen?)
Der Schluss fand ich dann auch sehr schön, aber für mich fast ein bisschen zu kitschig. Dafür schliesst sich so bekanntlich der Kreis. Aufgrund des Datenschutzes frage ich mich aber, ob dies überhaupt wirklich so möglich ist? Und welcher Grund hätte Hattie gehabt, sich in dieser Datenbank zu registrieren?
Alles in allem ein ausserordentlich aufschlussreiches Buch. Es werden so viele Ideen und Themen angesprochen, mit denen ich mich noch vertiefter auseinandersetzen möchte. Das Buch zeigt so schön, dass es nicht «die Lesbe», «die Hausfrau», «Trans», «die Immigrantin», «die Mutter» gibt. Unsere Welt besteht aus einer Vielzahl von spannenden Persönlichkeiten und jede davon hat ihren eigenen Weg gemacht.