Weil man mittlerweile in der Geschichte angekommen ist, liest sich der zweite Drittel um einiges schneller als der erste, zum Beispiel weil die Namen der Figuren schon bekannt sind, die Ortschaft auch, etc.
Die gelesenen Kapitel sind um einiges dramatischer als die ersten dreizehn, weil die Buchfiguren jetzt verschiedene tragische Schicksale erleiden mussten: Tote bei Explosionen, Kindesentziehung, Ausstossung, Streiks mit darauffolgenden Schiessereien. Insofern nahm das dramaturgische Tempo sehr zu und ich finde, dass es K. Seemayer sehr gut gelingt, dass man als Leser*in mitfühlen kann. Es lässt bei mir aber ein mulmiges Gefühl zurück, wenn ich daran denke, dass viele dieser Dinge tatsächlich so geschahen..
Wie ich in meinem letzten Beitrag geschrieben habe, gefällt mir das Spiel zwischen fiktiven und wahren Ereignissen und das gelingt Karin Seemayer auch im zweiten Drittel sehr gut, besonders in Bezug auf historische Personen und ihre (ebenfalls historisch belegten) Taten, beispielsweise Salvatore Villa, der tatsächlich existiert hat & als erster im Streik angeschossen wurde oder auch Luigi Dissune, der tatsächlich einer der führenden streikenden Bergarbeiter war. Hier ist es auch spannend, die Seiten 473/474 im Buch anzuschauen, auf denen die (wichtigsten) historischen Personen im Roman aufgelistet sind.
Ich finde es dennoch ein bisschen zu kitschig, dass Piero hier zu einem der Auslöser des Streiks gemacht wird, was für mich fast schon “too much” ist, auch wenn das natürlich zur Dramaturgie beiträgt.
Ob Piero die Flucht aus Göschenen gelingen wird, bleibt noch offen, aber auch andere Fragen bleiben ungeklärt. Die ganze Geschichte rund um Helenes Bruder Martin wirkt immer noch mysteriös, besonders das Verhalten von Anna Herger bezüglich einer neuen Magd.
Auch frage ich mich, wer Helene und Pietro bei ihren Eltern verpetzt hat: War es der - möglicherweise eifersüchtige - Peter, der den beiden ihr Liebesglück nicht gönnen wollte? War er der gebrochene Ruedi, der nach der Trennung von Johanna nun einen allgemeinen Hass auf Beziehungen zu den Bergarbeitern entwickelt hat? Oder war es jemand ganz anderes?