Fanny Soo dann probiere ich es mal! Nachdem ich nun die ersten 120 Seiten des Romans gelesen habe, kann ich bereits sehr viel Positives dazu sagen. Es gibt bisher nur einen groben Kritikpunkt, auf den ich noch kurz eingehen werde. Jetzt aber erst mal zum Positiven 😁 Der Einstieg in den Roman hat mir sehr gut gefallen, er liest sich sehr leicht und flüssig. Die Protagonistin ist sympathisch und detailliert gezeichnet, die Leserführung ist gut und die Geschichte entfaltet sich sinnvoll und spannend. Was mir besonders gut gefällt ist, dass der Roman es schafft sehr ernste Themen anzusprechen ohne dabei zäh oder pessimistisch zu werden (e.g sexuelle Gewalt, Belästigung, Diskriminierung, Trauma) und dabei sehr echt und nahbar wirkt. Er vermittelt (emotionale) Tiefe trotz des einfachen Stils, dessen er sich bedient und ohne dabei ins Lächerliche oder Oberflächliche zu rutschen. Besonders in den Abschnitten die Erfahrungen sexueller Belästigung oder Diskriminierung beschreiben, lassen sich die Stärken dieser Erzählung ausmachen.
Leider geht diese Tiefe hin und wieder etwas verloren, wie etwa auf den Seiten 46-55, als Elizabeth und Calvin sich über ihre traumatischen Kindheitserfahrungen austauschen. Merkwürdigerweise kann das Buch genau an dieser Schlüsselstelle nicht überzeugen, die eigentlich sehr wichtig für die Skizzierung der Charaktere und die Identifikation des Lesers mit diesen ist. Stattdessen wirken die tragischen Kindheitserlebnisse überspitzt, künstlich und dadurch kitschig. Dass der Roman sein emotionales Potential genau hier nicht ausschöpfen kann, finde ich etwas schade. Gleiches gilt für die Seiten 116-120 (Calvins Sterbeszene): die Erzählung erschien mir hier plump, ungewöhnlich oberflächlich und schwach ausgearbeitet.
Ansonsten bin ich jedoch bisher sehr begeistert und lese das Buch mit grosser Freude. Die Charaktere sind schön gemacht und individuell, die Dialoge und Wendungen sind erfrischend, die Idee ist originell und abwechslungsreich. 😊
Soweit erstmal von meiner Seite 😁 Ich bin schon sehr gespannt auf die Rückmeldungen der Anderen!
Nachtrag zu deiner Frage Fanny: Ich streiche mir auch gerne Passagen in meinen Büchern an, wenn ich diese besonders gut, schlecht oder interessant finde. Tatsächlich gehöre ich aber auch zu denen (und einige von euch werden sich nun die Haare raufen), die ihre Gedanken und Kommentare direkt ins Buch hinein schreiben. Meine Bücher sehen am Ende daher meist recht “benutzt” aus (Schande über mein Haupt). Besonders gefallen hat mir folgende Stelle: “Wenn Beziehungen ein Puzzle sind, dann war ihres von Anfang an vollständig - als hätte jemand den Karton ausgeschüttet und zugeschaut, wie die einzelnen Teilchen genau dort landen, wo sie hingehörten, sich nahtlos zu einem Bild ineinanderfügten, das absolut Sinn ergab.” (S. 45). Die Puzzle-Metapher fand ich absolut bezaubernd gemacht (und ich bin Liebesszenen gegenüber eher kritisch eingestellt, weil ich sie oft als abgedroschen empfinde). 😄