Dieses Buch ist schwere Kost, thematisiert es den Sterbeprozess der Mutter der Autorin in all seinen ungeschönten Details - ohne dabei voyeuristisch zu sein. In einer schonungslos ehrlichen Manier gelingt es Melitta Breznik, ausgebildete Ärztin, den langsamen, schmerzhaften Abschied der eigenen Mutter in einer einfühlsamen und zugleich präzisen Sprache zu dokumentieren: Tiefgründig und feinfühlig berührend - aber ohne sentimental zu werden. Diese ‘Chronik’ ermöglicht Einblicke in einen Prozess, den wir in dieser hiesigen Kultur mit allen Mitteln verdrängen versuchen. Es werden Fragen zum ‘Generationenvertrag’ anhand der vorliegenden Familiengeschichte thematisiert, die Situation von Töchtern versus Söhnen angeschnitten, Spannungen einer Mutter/Tochter-Beziehung dargestellt: Ganz unskandalös werden auf diese knapp 160 Seiten gekonnte Rückblenden der Erinnerung geschlagen, die Vergangenheit und die Gegenwart mit einer noch bevorstehenden, im wörtlichen Sinn undenkbaren Zukunft verbindet.
Tränenreicht war meine Lektüre, da sehr nahe am Wasser gebaut, weshalb ich der Lektüre mit Vorbehalten begonnen habe; nichtsdestotrotz war diese leise Reise reich an Eindrücken und Gedanken über Fragen nach Weiblichkeit verwoben mit Vergänglichkeit, Möglichkeiten von Lebensentwürfen, Themen wie Bewusstsein, Würde, Selbstbestimmung und Freiheit - auch bezogen auf Sterbehilfe - und all ihren Zweifeln und Ambivalenzen - ohne dabei mit dem moralischen Finger zu zeigen. Ein grossartiges - und vor allem überraschend aufbauendes Buch, das einen zum Nachdenken anregte - wenn auch die Lektüre aufgrund tränengefüllten Augen zeitweise unterbrochen werden musste.
Dieses Buch geht alle an: Dieser Thematik können wir uns naturgemässe nicht entziehen - auf alle Fälle sollten wir sie nicht weiter verdrängen, denn sie bergen, gerade in der Art und Weise wie sie Breznik zu beschreiben versteht, Lichtblicke und damit auch etwas Tröstliches. Sehr lesenswert. Überraschend lesenswert.