Idyllisch isch sie ohne Diskussion, die Landschaft im Südtirol. Umgeben von Bergen liegt der Reschensee, unschuldig glitzert er im Sonnenlicht und birgt in seinen Tiefen eine düstere Geschichte. Von Graun in Vinschgau (Italien) ist die Rede. Und vom Kirchturm von Alt-Graun, der mitten aus dem heutigen Bergsee ragt.
Doch was ist die Geschichte hinter diesem Kirchturm? Warum steht er im Wasser?
Ein Bergdorf im Kampf zwischen Faschismus und Nationalsozialismus
Diese Fragen beantwortet Marco Balzano in Ich bleibe hier zwischen den Zeilen. Als Basis für die Handlung im Buch dienen historische Fakten. Balzano hat jahrelang recherchiert und alles studiert, was es zum Thema Graun in den Jahren 1939 bis 1943 zu lesen gab, wie er uns im Nachwort verrät. Doch letztendlich blieben «die Fakten Ausgangspunkt, nicht das Ziel», so der Autor. Figuren und Handlung sind also Fiktion.
Die Hauptfigur Trina schreibt in einem Notizbuch an ihre Tochter und erzählt von den Jahren der faschistischen Herrschaft Italiens. Aber auch vom historisch wichtigen Jahr 1939, als Hitler im Bergdorf einmarschierte und «die grosse Option» folgte.
Trina ist Deutschlehrerin mit einem starken Gewissen und Willen. Sie schliesst sich dem Widerstand gegen den italienischen Faschismus an und lehrt versteckt in Ställen und Kellern Deutsch. 1939 optiert sie aber nicht, stattdessen bleibt sie ihrer Heimat treu, widersetzt sich jeglicher Fremdbestimmung durch Italien oder Deutschland und bemüht sich stattdessen für die Unabhängigkeit ihres Bergdorfs. Als ein Energiekonzern letztlich beschliesst, einen Stausee zu bauen und Felder und Häuser zwecks Elektrizitätsgewinnung zu überfluten, wehrt sie sich mit allem, was sie hat.
Eine Familie personifiziert die Stimmung im Dorf
Balzano lässt auf grossartige Weise verschiedene damalige Standpunkte der Menschen im Dorf in einer fiktiven Familie aufeinanderprallen. Die Situation in Graun zu Beginn des Zweiten Weltkriegs personifiziert sich so in Trina und ihrem Ehemann Erich, die sowohl unter der italienischen, als auch unter der deutschen Herrschaft leiden und sich fortan weder als italienisch noch deutsch, sondern einfach als «Bauern» bezeichnen.
Dem gegenüber stehen ihre zwei Kinder. Ihr Sohn Michael vergöttert Hitler, meldet sich freiwillig bei der deutschen Wehrmacht. Die Tochter Marika flieht ins Ausland, da sie im Bergdorf keine Zukunft sieht. Die Figuren übernehmen je eine Rolle im grossen Ganzen – und eine spannende dramaturgische Verdichtung ergibt sich.
Klare Empfehlung von mir für eigentlich alle und jede:n. Das nächste Buch von Balzano steht schon auf meiner Leseliste – und Graun auf meiner Liste derjenigen historisch interessanten Orte, die ich unbedingt einmal besucht haben möchte.