Die nordfriesischen Halligen sind stets bedroht, bei einer Sturmflut über- oder gar weggeschwemmt zu werden. Die Erinnerung an frühere Natur- und persönliche Katastrophen durchzieht das Buch und schafft eine düstere Grundstimmung, die sich aber passagenweise erhellt. Ich würde dem Roman die Farbe Dunkelgrau geben.
Die Ereignisse spielen auf zwei Zeitebenen: vor rund 200 Jahren und heute. Im Verlauf des Romans erkennt man verschiedene Parallelen zwischen den beiden Erzählungen. Das Geschehen ist in zahlreiche Szenen und Rückblenden unterteilt. Die teils sehr detaillierten Beschreibungen enthalten viele Assoziationen, weniger die sichtbaren Fakten. Die dabei verwendete bildhafte, barocke Sprache kontrastiert mit dem lexikalischen Wissen, dass viele Personen in ihren Gesprächen von sich geben. Viele Halligleute scheinen mit ihrem Schicksal zu hadern, latente Konflikte in sich hineinzufressen und alles Neue abzulehnen. Der Umgangston ist oft barsch, abweisend, verletzend. Bis zum Schluss bleibt unklar, ob die dunklen Vorahnungen zur finalen Katastrophe führen, oder ob es ein versöhnliches Ende geben wird.
Inhaltlich geht es meiner Ansicht nach um mehrere Themen: z. B. die Suche nach Heimat und Zugehörigkeit, die Frage nach den Lebenszielen, die Fragilität der Halligen und des menschlichen Daseins, das Verhältnis zwischen Natur und Mensch.
Es ist ein ungewöhnliches Buch, das durch das Zerfallen in viele einzelne Szenen und diverse Motive (eine Art „Zapping“)stilistisch modern daher kommt. Inhaltlich hat mich das Verhalten der Personen nur an wenigen Stellen überzeugt; vieles blieb mir rätselhaft oder herbeigesucht.
Mir als ursprüngliche Holsteinerin fehlte das Norddeutsche in diesem Roman. Die Sprache der Halligleute – abgesehen von einigen plattdeutschen Sätzen – entspricht nicht unbedingt der norddeutschen Ausdrucksweise. Die Vielzahl an holländischen Namen erweckt den Eindruck, dass die Autorin keinen Unterschied zwischen West- und Nordfriesland macht. Die historischen Schilderungen passen vielleicht eher zu einem katholischen Dorf im Mittelalter als zu einer evangelischen Hallig vor 200 Jahren. Zudem frage ich mich, ob die Autorin, eine Historikerin, die damaligen politischen Verhältnisse in Schleswig-Holstein und die Rolle des dänischen Königs realitätsnah schildert.
Fazit: Es ist eindeutig kein Roman zum Einlullen oder mit Strandromantik. Durch die vielen Verweise und Stichworte sehe ich ihn auch als Einladung, sich näher mit der Geschichte und dem Leben auf den Halligen sowie mit den Herausforderungen des heutigen Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer zu befassen.