Jardine Libaires Geschichte, aus allwissender Perspektive und rückblickend erzählt, hat mich über das Lesen hinaus beschäftigt, weil sie mich mit der Frage konfrontierte, was Literatur ausmacht.
Die Lektüre selbst ist mir nicht leicht gefallen: Die Satzstruktur fand ich anfangs kompliziert, es dauerte, bis ich einen Überblick über die Figuren bekam und es konnte mir dann trotzdem noch passieren, dass ich an eine scheinbar bereits bekannte Figur keine Erinnerungen hatte. Vielleicht lag es an meiner Konzentration, vielleicht am Erzählstil oder an den Perspektivwechseln, ich weiss es nicht.
Libaire schreibt mir fast zu realistisch und unverstellt und reichert ihre Geschichte, die 1996 spielt, mit Details an, auf die ich hätte verzichten mögen. Spannung erzeugt die Autorin vor allem durch das Vorwegnehmen drohender Enden. So herrscht den Roman über eine latent bedrückende Stimmung. Hinzu kommen die Figuren, die bereits einige Tiefen erlebt haben und vom Leben etwas gebeutelt wirken. Kleine, kurze Lichtblicke schenken ihnen und uns jedoch gegen Ende Hoffnung, dass unabhängig von unserer Vergangenheit auch immer noch ein Neuanfang möglich ist. Das ist auch der Grund, warum ich froh bin, bis zum Schluss gelesen zu haben.
«Dein Herz, ein wildes Tier», in der Übersetzung von Eva Regul, ist keine leichte, unbeschwerte Lektüre, aber es zeugt von einem unverwechselbaren Stil, von einprägsamen Bildern und eigenwilligen Charakteren. Vielleicht ist es im Kern auch das, was Literatur – unter anderem – ausmacht.