Ich habe mir dieses Buch als Hörbuch vorlesen lassen. Aufgrund der fast lyrischen Sprache von Thomas hatte ich stellenweise das Gefühl, ich hörte Slam-Poetry. Das war anfangs gewöhnungsbedürftig. Ich bin aber schnell reingekommen. Denn die Geschichte hat mich berührt – und bewegt. Die Protagonistin Jella wachst in den Nullerjahren auf. Sie erzählt vom Aufwachsen und vom Dazugehören wollen, von frauenverachtendem Gangsterrap, penibler Ganzkörperrasur und sexuellen Übergriffen. Als Zuhörer*in ist man schockiert ob der Beiläufigkeit. Als Millennial fühlt man sich ertappt. Diese schwierigen, problematischen Begebenheiten – hat man sie nicht selbst als beiläufig erlebt? Auf Diät seit dreizehn, weil Thinspo und Kate Moss uns lehrten “nothing tastes as good as being skinny feels”. Stunden mit Rasierer im Bad verbracht, weil “haarige Frauen echt eklig und ungepflegt sind”. Aufdringliche Berührungen geduldet, weil “tu doch nicht so, er findet dich scharf, es ist ein Kompliment” - und schliesslich fühlte sich jede Form von Aufmerksamkeit besser an, als Aussenseiter*in zu sein. Aufwachsen im Glauben, dass Frauen* schön, ruhig, glatt, dünn, unkompliziert, niemals eifersüchtig und immer wohlduftend zu sein haben. Schliesslich steht es doch so in den pastellfarbenen Mädchenmagazinen. Dem unerreichbaren Ideal nacheifern und sich folglich niemals gut genug fühlen. Das war aufwachsen in den Nullerjahren. Und genau davon erzählt die Geschichte von Jella. Und zwar schnörkellos, persönlich und authentisch. Ganz ohne zu moralisieren. Und ob diesem Bericht von Tatsachen beginnt man selbst zu moralisieren: Das war ganz schön Schei*e, ganz schön problematisch. Dass im Dunst, der sich aus Hormonen, fehlgeleiteter Emanzipation und neuen Medien ergab, oft gar nicht klar war, wo Einverständnis aufhört und Übergriffe anfangen. Dass jedes Mädchen im Umfeld mit Zweifeln über das eigene Aussehen aufgewachsen ist. Und dass man so tat, als wäre «Frauenarzt» ein cooler Rapper und seine Texte «schon ok». Doch die Geschichte von Jella erzählt noch mehr. Sie ist die Chronik einer Beziehung die darauf aufbaut Erwartungen erfüllen zu wollen. Erwartungen der Gesellschaft, von Eltern, Freunden und Partner*in. Niemals eigene. Bis sie kippt.