Zora del Buonos “Seinetwegen” ist ein facettenreiches und emotional tiefgehendes Werk, das in einer Mischung aus Recherche, innerem Monolog und Reflexionen von Verlust und Trauer die Geschichte einer Frau erzählt, die Jahrzehnte nach dem Unfalltod ihres Vaters auf Spurensuche geht. Die Erzählweise ist in Teilen faszinierend, doch der intensive Fokus auf die inneren Gedanken und die teils unklaren Exkurse lassen die Lektüre in manchen Passagen eher zäh wirken.
Im ersten Teil (S. 7-62) begleitet man die Ich-Erzählerin auf ihrem inneren Weg durch die Konfrontation mit dem Vaterverlust, was durch authentische, detaillierte Gedanken zur Vaterlosigkeit besonders gut gelungen ist. Die Emotionen der Erzählerin wirken dabei greifbar und lassen sich gut nachvollziehen. Die vielen Exkurse (z.B. zu Automarken) wirken jedoch manchmal unnötig und weichen vom zentralen Thema ab, man kriegt das Gefühl, dass die Erzählerin die Suche aufschieben möchte.
Der zweite Teil (S. 62-121) entwickelt sich eher langsam, doch die zunehmende Suche nach dem Unfall-Verursacher und die Art und Weise, wie die Erzählerin Stück für Stück Informationen über ihn sammelt, erzeugen eine unterschwellige Spannung. Die Entscheidung, diese Ermittlungen in Fragmenten darzustellen, unterstützt die Atmosphäre der Ungewissheit, auch wenn die teilweise verwirrenden Exkurse zur Wirkung dieser Spannung hin und wieder bremsen.
Im dritten Teil (S. 121-201) wird die Recherche intensiver, die Erzählerin befragt Personen in Glarus und versucht, sich ein Bild von dem Unfall-Verursacher zu machen. Diese Passagen sind eindeutig die packendsten des Buches, da der Fokus stärker auf der Suche nach der Wahrheit liegt und weniger auf den philosophischen Abschweifungen. Besonders beeindruckend ist die Komplexität der Erzählerin, die durch die Konfrontation mit ihren widersprüchlichen Gefühlen zum Unfall-Verursacher eine enorme emotionale Tiefe erreicht.
Del Buono zeigt in ihrem Werk ein hohes Maß an Feingefühl, wenn es um die Darstellung von Gefühlen und die menschliche Auseinandersetzung mit Verlust geht. Der Schreibstil ist präzise, aber auch von einer dichten, introspektiven Qualität geprägt, die vor allem in den Dialogen und inneren Monologen zur Geltung kommt. Die Recherchequalität zum historischen Kontext, insbesondere zum Unfall-Verursacher und seiner Umgebung, ist solide und verstärkt das Gefühl, einer realen Geschichte nachzuspüren.
Fazit: “Seinetwegen” ist ein intensives und nachdenkliches Buch für Leser:innen, die sich auf eine tiefgründige, aber auch anspruchsvolle Lektüre einlassen wollen. Wer nach einem schnellen, spannungsgeladenen Thriller sucht, wird hier enttäuscht werden. Wer jedoch Interesse an einer introspektiven und emotional komplexen Auseinandersetzung mit Verlust, Verdrängung und der menschlichen Psyche hat, wird mit diesem Buch ein lohnendes, wenn auch herausforderndes Leseerlebnis finden.