Lea Gottheil schafft mit ihrem Roman Anatol abholen eine Erzählung, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Besonders der Schreibstil der Autorin zieht in den Bann und verleiht der Geschichte eine enorme Sogkraft.
Im Mittelpunkt steht Anatol, ein hochbegabtes, neurodivergentes Kind, das grosse Schwierigkeiten hat, seinen Platz im Schulsystem zu finden. Dieser Aspekt berührt tief, da Anatols Schicksal stellvertretend für viele Kinder und Familien steht, die ähnliche Herausforderungen erleben. Gottheil vermittelt eindrücklich, welche Nöte und Sorgen entstehen, wenn Kinder nicht die Unterstützung erhalten, die sie brauchen.
Besonders emotional ist die Erzählperspektive von Anatols Mutter Jil, durch deren Augen wir die Kämpfe und Verzweiflung erleben. Sie zerbricht beinahe an Ihrer Trauer und der Wut über die Ignoranz und Starrheit des Systems, was den Leser betroffen und nachdenklich zurücklässt. Doch es gibt Hoffnung: Herr Wüthrich, eine Schlüsselfigur in der Geschichte, zeigt, dass es auch alternative Wege gibt, Kinder wie Anatol zu fördern und ihnen die nötige Unterstützung zu geben. Er stellt sich mutig gegen die herrschenden Strukturen und kämpft für Anatols Zukunft.
Trotz der ernsten Thematik ist das Buch nicht frei von humorvollen Momenten. Die Dialoge zwischen Anatol und seiner Mutter sowie die inneren Monologe mit der fiktiven Sarah Kirsch sind poetisch und gleichzeitig erfrischend humorvoll, was der Geschichte etwas Leichtigkeit verleiht.
Der versöhnliche Schluss gibt der Geschichte einen hoffnungsvollen Abschluss. Diese optimistische Wendung liess mich als Lesende dankbar zurück.
Insgesamt ist Anatol abholen ein berührendes, realistisches und absolut lesenswertes Buch, das eine wichtige und vernachlässigte Thematik literarisch sensibel behandelt. Es ist ein Roman, der zum Nachdenken anregt und die Notwendigkeit von Veränderungen im Umgang mit neurodivergenten Kindern verdeutlicht.