Dieser schmale Band hat mich etwas überwältigt und das sowohl wegen des Inhalts als auch wegen der sprachlichen Ausdruckskraft.
Die Ich-Erzählerin ist zum Zeitpunkt der Erzählung eine Jugendliche. Sie kam acht Jahren ins Internat, so wie Disziplin und Ordnung gelehrt erhält und diese strikt leben muss. Sie findet Gefallen daran - die Macht der Kontrolle, die sie damit selber über sich ausübt und nicht nur erdulden muss - einen krankhaften Gefallen. Ein neues Mädchen kommt ins Internat, welches in den Augen der Erzählerin perfekt zu sein scheint und sie ist vollkommen gefangen von dieser “Neuen”, welche als eine von Wenigen mit deren Namen Frédérique erwähnt wird.
Die Geschichte erzählt weiter einige Episoden aus dem Pensionatsalltag. Einer Pension, in der lauter Mädchen aus gutsituierten Familie wohnen. Wie sie sich Frédérique gegenüber gibt und vice versa, aber auch die Beobachtungen von anderen Mädchen und wie sich das Zusammenleben abspielt. Das in sich geschlossene Leben in dieser Institution, die strikte Ordnung, Disziplin, Gehorsam. Das meiste spielt sich im Internat ab - mit Ausnahme der Spaziergänge, welche die Ich-Erzählerin am frühen Morgen ganz alleine unternimmt. Da gibt es ein Aussen, sie scheint lebendig, was sich vor allem in ihren Gedanken zeigt. Eine Umgebung, die für Menschen - speziell für junge Menschen - prägend sein muss und sich die Auswirkungen unterschiedlich zeigen können. Nicht nur gesund.
Sehr speziell ist für mich, wie Fleur Jaeggy mit der Nennung der verschiedenen Personen umgeht. So haben werden nur wenige der Mädchen mit Namen genannt. Andere einfach mit ihrer Nationalität. Ich erinnere mich nicht, den Namen der Ich-Erzählerin einmal gelesen zu haben. Wenn sie genannt wird, dann mit einem “X”.
Die Erzählung entwickelt sich für mich ganz unerwartet und das Ende hat mich sehr berührt, mit vielen Gedanken und Fragen zurückgelassen.
Sprachlich ein Genuss - wie kann man nur so schreiben. Knapp, dicht, mit so viel Aussagekraft und auch noch poetisch.
Die Inspektion fand morgens statt; dann wurde sämtliche Schränke geöffnet, und die Stapel unserer Unterwäsche und die gefalteten Pullover hatten auszusehen wie eine Mauer.
Bei der Erziehung lernt man, sich lächelnd zu bedanken. Ein verfluchtes Lächeln. Auf den Gesichtern der Zöglinge liegt irgendwie eine Leichenhausmiene.
Über die abschüssigen Wiesen glitten die Krähen im Tiefflug, missgestaltet, gefallsüchtig, grausam. Ich verglich sie mit unserer Jugend, während sie auf der Erde rund um das Internat einen Ort suchten, wohin sie ihre Krallen setzen konnten.
Diese Mädchen hatten das ganze Leben vor sich, und Frau Hofstetters (Internatsleiterin) Mann wusste, dass sie davon träumten, sich fortwährend zu amüsieren. Er hatte nichts mehr vor sich. Jedes Jahr trafen neue Mädchen ein und träumten von allen Wundern, die das Leben für sie bereithielt und die seine Frau versprach. Sie besassen eine Zukunft. Das spürte er wie einen Dorn. Manchmal hatte er daran gedacht, sich für ihre Träume zu rächen.